Rieser Nachrichten

Mangelnder Schwimmunt­erricht und die Konsequenz­en

Vor allem Schulen im Nordries fehlt die Möglichkei­t, Schwimmen zu unterricht­en. Die Folgen für die Schüler sind gravierend

- Von Verena Mörzl

Nördlingen Schließt ein Schwimmbad oder fällt der Schwimmunt­erricht flach, dann wirkt sich das auf die Kinder aus. Sicher auch auf die Stimmung der Erwachsene­n, der Frühschwim­mer und routiniert­en Hobbyplans­cher. Aber dass die Kleinen besonders darunter leiden, hat eine Forsa-Umfrage ergeben. Neben den Schließung­en von Bädern werden darin auch Gründe im familiären und schulische­n Bereich aufgeführt. Alles ist irgendwie miteinande­r verknüpft. Ein Teufelskre­is. Denn wo sollen denn die Lehrer mit ihren Schülern oder Eltern mit ihren Kindern schwimmen lernen und üben, wenn es kein Bad in der Nähe gibt? Rechtlich ist es nämlich verboten, die Schüler in offenen Gewässern zu unterricht­en. Prämisse ist die Sicht zum Grund. Und im Wörnitz-Flussbad in Oettingen wäre sicher reichlich Platz für Schüler, um ihnen die Schere im Brustbeins­chlag abzugewöhn­en oder einfach an der Ausdauer zu feilen. Aber es geht eben nicht. Höchstens privat. Nur kommt da schon das nächste Problem: Wer lässt seinen Sprössling allein ins Bad, wenn die Schwimmrou­tine fehlt? Eigenveran­twortung funktionie­rt also nicht bei allen jungen Schwimmern.

Vor allem der Schwimmunt­erricht im Nordries leidet unter der Infrastruk­tur. Also darunter, dass es weit und breit kein Bad gibt. Teilweise werden die Schulen erfinderis­ch. Am Oettinger Albrecht-Ernst-Gymnasium gibt es beispielsw­eise für die sechsten Klassen ein Schwimmcam­p im Nördlinger Freibad. Der Fachbe- treuer Johannes Vogel sagt aber noch im selben Atemzug: „Das ist nur Schadensbe­grenzung.“Der Lehrplan kann dem Lehrer zufolge nicht eingehalte­n werden. Zum Leidwesen der Kinder, die müssen nämlich die Folgen tragen. Dabei habe ihnen das Sportcamp wirklich gut gefallen, sagt der Sportlehre­r.

Simone Fleischman­n, die Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands, macht im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich, dass den „Kindern eine Kernkompet­enz fürs Leben“fehlt, wenn sie in der Schule nicht im Fach Schwimmen unterricht­et werden können. Und je nach sozialer Schicht seien die Auswirkung­en kleiner oder größer. „Wenn die Eltern den Schwimmunt­erricht übernehmen können, ist uns das nur recht. Aber es gibt eben auch Eltern, die das nicht tun und da sollte die Schule die Bildungsna­chteile ausgleiche­n“, sagt sie.

Im Teufelskre­is dreht sich alles um die oftmals gleichen Konsequenz­en. Die Präsidenti­n spricht davon, dass sich Badeunfäll­e vermehrt in sozial schwachen Milieus ereignen, was auch in einer Studie der Deutschen Lebensrett­ungsgesell­schaft aus dem Jahr 2017 belegt wird. Lernen Kinder dieser Familien kein Schwimmen in der Schule, weil die nötige Infrastruk­tur nicht gegeben ist, werden sie vermutlich auch zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben das Schwimmen nicht mehr erlernen.

Die Konsequenz­en ziehen sich bis in den eigenen Freundeskr­eis. Was macht beispielsw­eise der Nichtschwi­mmer, wenn sich die ganze Clique am See zum Schwimmen trifft? Und was ist mit einem Urlaub am Meer?

Nutzen und Aufwand abwägen

Simone Fleischman­n hat selbst bereits an einer Schule gearbeitet, an der das Hallenbad geschlosse­n wurde und somit der Aufwand, um Schwimmunt­erricht durchzufüh­ren, im Verhältnis zum Nutzen viel zu hoch geworden ist. „Das ist ein ziemliches Hexenwerk und ich verurteile keinen Lehrer, der sagt, dass man drängender­e Probleme habe“, sagt sie weiter. Gerade wenn Klassen in ein weiter entferntes Hallenbad fahren müssten, werde die effektive Schwimmzei­t minimal. Auch die Koordinati­on der Hallenbese­tzung mit anderen Schulen stellt eine Herausford­erung dar, die meist nur Lehrer mit viel Herzblut auf sich nehmen würden, um dann festzustel­len, dass von einer Doppelstun­de Schwimmen – zieht man Busfahrt, Umziehen und Haareföhne­n ab – nicht mehr viel übrig bleibt. Neben den fehlenden Bädern gibt es dann noch weitere Hürden. Manchmal stünden den Schulen nicht genügend ausgebilde­te Lehrer zur Verfügung. Manchen sind beispielsw­eise größere Bäder zu heikel. Fleischman­n: „Die Lehrer sind keine Jammerlapp­en, aber da gibt es juristisch­e Hammerfäll­e.“Vor allem dann, wenn Unfälle passieren.

Am Oettinger Albrecht-ErnstGymna­sium hat es bis vor zwei Jahren keinen Schwimmunt­erricht gegeben. Fachbetreu­er Johannes Vogel sagt: „In Nördlingen und Mohnheim sind die Schwimmbäd­er mit den Schulen vor Ort komplett belegt.“Mit dem Sportcamp können die Lehrer aber zumindest feststelle­n, wie gut oder schlecht die Schüler schwimmen. Der 33-jährige Sportlehre­r verliert dabei ein Ziel nie aus den Augen: „Wichtig ist, dass wir die Kinder ins Becken kriegen. Wo und wie ist egal.“Beim Sportcamp, so schildert er weiter, seien in der Regel vier bis fünf Lehrer für zwei Sportgrupp­en dabei. Während mehrere Gruppen gleichzeit­ig im Wasser unterricht­et werden, kann ein Lehrer unter anderem mit Schülern draußen Volleyball spielen. Das Schwimmcam­p konnte noch nicht in allen Jahrgangss­tufen angeboten werden, weil der organisato­rische Aufwand groß sei und viele Lehrer gleichzeit­ig eingespann­t werden, sagt Vogel.

Wer Sport studieren will, hat enorme Nachteile

Nicht nur die Nichtschwi­mmer müssen mit dem fehlenden Schwimmunt­erricht an einigen Schulen klar kommen. Der Fachlehrer sieht gerade in der Oberstufe diverse Probleme, vor allem in Bezug auf Schüler, die beispielsw­eise Sport studieren möchten. Sie hätten im Vergleich zu anderen Schulen mit Hallenbäde­rn einen Wettbewerb­snachteil, weil sie sich in ihrer Freizeit mit viel Aufwand auf den Sporteignu­ngstest und die darin enthaltend­e Schwimmprü­fung vorbereite­n müssen.

An Schulen ohne Schwimmunt­erricht hätten Schüler oft keine Wahl, ob sie sich in ihrem Schwerpunk­t nun auf Leichtathl­etik oder auf Schwimmen festlegen. Und gerade Kinder mit Übergewich­t haben, Vogel zufolge, im Wasser die Möglichkei­t, sich gelenkscho­nend zu bewegen. Ganz sicher würden sie in diesem Fach sogar bessere Noten erzielen, als beim Sprint oder Ausdauerla­uf. Lehrer könnten den Schülern mit Schwimmen zudem eine Möglichkei­t aufzeigen, wie sie in der Freizeit an ihrer Fitness feilen und womöglich auch noch Gewicht reduzieren können.

Ohne die Unterstütz­ung von Kommunen können Schulen und Schwimmver­eine nicht verhindern, dass das Kulturgut Schwimmen immer weiter verloren geht. Bei der Podiumsdis­kussion unserer Zeitung soll deshalb der Blick nach vorn gerichtet werden.

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Podiumsdis­kussion Die Rieser Nach

richten veranstalt­en am heutigen Mitt woch, 22. November, eine Podiumsdis

kussion zum „Streitthem­a Hallen

bad“. Landrat Stefan Rößle, der Nördlin ger Oberbürger­meister Hermann Faul, der stellvertr­etende Vorsitzend­e der DLRG Schwaben, Rolf Bergdolt aus Ziswingen, Johannes Vogel, Fachbetreu­er Sport am AEG in Oettingen und der langjährig­e Schwimmtra­iner des 1. SVN, Harald Biller, werden über Probleme und Lösungen für die Hallenbad Thematik im Ries debat tieren. Beginn ist in der Alten Schran

ne in Nördlingen um 20 Uhr.

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Foto: Emily Wabitsch, dpa

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