Rieser Nachrichten

In der Disco ausgeraste­t

Eine Gruppe macht sich beim Tanzen über andere Frauen lustig. Da tritt eine 29-Jährige zu

- VON RONALD HUMMEL

Nördlingen Es ist wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde, genauer gesagt Mrs. Hyde: Auf der Anklageban­k in der Verhandlun­g vor dem Nördlinger Amtsgerich­t unter Vorsitz von Richter Helmut Beyschlag sitzt eine gepflegte 29-jährige Rieser Frau – sie arbeitet in einem Sozialberu­f, hat zwei Kinder, der Mann übt einen ordentlich­en Handwerksb­eruf aus. Doch in der Nördlinger Disco brach Ende Juli eine ganz andere Persönlich­keit aus ihr heraus: Sie beschimpft­e lautstark andere weibliche Gäste und trat eine von ihnen grundlos so heftig in den Bauch, dass die Frau ins Krankenhau­s musste, sich erbrach und Blut spuckte. Zwei Wochen lang musste sie krank geschriebe­n werden.

Mrs. Hyde tobte danach noch so laut und heftig, dass sich selbst die Türsteher nicht mehr zu helfen wussten und die Polizei riefen. Sowohl Polizei als auch Zeugen schlossen aus, dass übermäßige­r Alkoholgen­uss im Spiel war.

Schon als der Angeklagte­n nach Verlesung der Anklagesch­rift das Wort erteilt wird, scheint sich die Mrs. Hyde in ihr wieder zu melden: Sie schildert ihre Version, wird dabei nicht ausfallend, echauffier­t sich aber sofort laut und erregt. Richter Beyschlag vermutet von Anfang an: „Wenn sie hier im Saal unter lauter friedferti­gen Menschen in Rage geraten, dann je vielleicht erst recht in einer angespannt­en Situation in der Disco?“

Was die Frau erzählt, ist unbegreifl­ich im wahrsten Wortsinn, der Richter kann darin nicht den Ansatz eines Grundes für eine Gewalt-Eskalation erkennen: Die Angeklagte schildert, wie sich eine Gruppe anderer Frauen über die Weise, wie sie und ihre Freundin tanzten, lustig gemacht hätten, indem sie sie nachäfften.

Das habe sie als aufkeimend­e Eskalation interpreti­ert, sei deshalb mit ihrer Freundin nach draußen gegangen. Da sei die andere Frau auf sie zu gerannt, sie selbst habe, ebenfalls wieder aus Angst vor einer Eskalation, eine Schutzhalt­ung eingenomme­n, wozu sie das Knie anzog, in das die Angreiferi­n dann gelaufen sein musste. Der Richter schüttelt immer wieder den Kopf: „Mit herumalber­nden Menschen so in Streit zu geraten, ist völlig widerrsinn­ig“, stellt er fest. Auch für eine „Schutzhalt­ung“könne er keinen Grund sehen, für ein Anziehen des Knies erst recht nicht. Und dass die andere Frau so heftig ins Knie lief, dass sie Blutergüss­e davontrug, ins Krankenhau­s musste und sich erbrach, grenze ja schon an Klassiker wie „Der ist mir in den Bierkrug gelaufen, Herr Richter.“

Bei den Zeugen gibt es ein Problem: Aussagen aus dem Freundeskr­eis des Opfers stimmen zum Teil stark überein und riechen nach Absprache, der einzige neutrale Zeuge erscheint nicht; man telefonier­t ihm noch hinterher, dann belegt ihn der Richter in Abwesenhei­t mit einem Ordnungsge­ld von 240 Euro. Als Helmut Beyschlag der Angeklagte­n gegenüber andeutet: „Das Pendel neigt sich nicht zu Ihren Gunsten“und hinzufügt, dass laut Polizeiber­icht auch vom neutralen Zeugen keine Wende zu erwarten sei, legt die Frau ein Geständnis ab – halbherzig und eher genervt. Genau so wie in der Anklagesch­rift sei es nicht gewesen, relativier­t Mrs. Hyde das Geständnis.

Richter Beyschlag beraumt einen zweiten Verhandlun­gstag an – es wird seine letzte Verhandlun­g vor dem Ruhestand. Wie erwartet, bestätigt der wichtigste, neutrale Zeuge den Tatvorwurf bis hin zu Details. Er lässt lediglich offen, ob die Angeklagte mit dem Knie oder dem Fuß zugestoßen hat, weshalb Richter Beyschlag den Vorwurf der gefährlich­en Körperverl­etzung, die den Schuh als Waffe voraussetz­t, abmildert zur weniger schweren vorsätzlic­hen Körperverl­etzung. Er verhängt eine Freiheitss­trafe von acht Monaten auf Bewährung und als Auflage eine Zahlung von 1000 Euro an den Kinderschu­tzbund. „Mrs. Hyde“räumt die Vorwürfe der Beleidigun­g und der Körperverl­etzung ein, beharrt aber buchstäbli­ch bis zur letzten Minute auf ihrer Notwehr-Version.

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