Kinder vor Missbrauch schützen
Christiane Schuler von der Fachstelle gegen sexuelle Gewalt vermisst weiterhin das Bewusstsein in der Gesellschaft. Ein aktueller Fall macht besonders betroffen
Eine Expertin vermisst ein gewisses Bewusstsein in der Gesellschaft. Ein aktueller Fall macht besonders betroffen.
Landkreis Ein 15-jähriges Mädchen aus dem Landkreis Donau-Ries wird im Kindesalter in der Familie sexuell missbraucht. Die Folge: psychiatrische Auffälligkeiten. Seit zwei Jahren befindet sie sich in stationärer Behandlung, besucht verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen, kommt dort aber nicht zurecht. Sie verletzt sich selbst massiv, versucht, sich umzubringen. Vor einer Woche schluckt sie eine große Menge an Tabletten, sie hört auf zu atmen. Das Mädchen kann gerettet werden, befindet sich seitdem aber wieder in stationärer psychiatrischer Behandlung.
Beispiele wie dieses oder die Übergriffe des ehemaligen Nördlinger Dekans zeigen, wie wichtig die Fachstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Landkreis Donau-Ries ist. Doch Diplom-Psychologin Christiane Schuler betont, dass man nicht erst bei solch dramatischen Fällen von sexueller Gewalt spricht: „Übergriffe beginnen meist banal. Zum Beispiel, wenn jemand nach dem Sport häufiger einmal in die Dusche platzt. Da gilt es anzusprechen, dass das Verhalten nicht in Ordnung ist und eine Grenzüberschreitung vorliegt. Es geht darum – gerade als Erwachsener – Distanz und Intimität zu wahren.“Auch sexualisierte Sprache sei bereits ein Regelverstoß. Diese können sich dann steigern.
Die Fachstelle einzurichten, hat der Kreistag vor vier Jahren entschieden. Seit 2014 gibt es einen festen Jahresetat in Höhe von 20000 Euro. Jedoch ist die Stelle nicht im Landratsamt Donau-Ries untergebracht, sondern bei der Katholischen Jugendfürsorge (KJF). „Kinder und Jugendliche haben häufig eine Hemmschwelle, zum Jugendamt zu gehen. Dieses hat eine gewisse Beratungs- und Kontrollfunktion“, erklärt Schuler.
Die Aufgaben der Fachstelle fügen sich aus drei Pfeilern zusammen. „Das Herzstück ist sicherlich die Beratung und Begleitung für Betroffene. Sie brauchen einen Ort, wo sie Unterstützung finden“, sagt die Psychologin. Eine weitere Aufgabe sei die Beratung und Schulung von pädagogischen Fachkräften. Diese richte sich an Erzieher und Lehrkräfte. Der dritte Pfeiler bestehe aus der Sensibilisierung durch Information. Diese beinhaltet Vorträge, Elternabende und Projekte mit Schulklassen.
Eines dieser Projekte ist das Theaterstück „Geheimsache Igel“, über das sich Schuler besonders freut: „Die Kiwanis in Donauwörth und Nördlingen veranstalten seit 2012 das Stück kostenlos an Schulen. Das finde ich bemerkenwert. Es richtet sich an Eltern und Lehrer und verfolgt die Idee, alle zu befähigen, eine Stimme zu haben.“
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie wichtig das Thema gerade in der Schule ist: 30 der 39 Betroffenen in diesem Jahr waren im schulpflichtigen Alter. 32 sind weiblich – eine typische Verteilung, weiß die Expertin: „Ein sexueller Übergriff passt nicht zum Selbstbild eines Buben, dass etwas gegen seinen Willen geschehen ist. Zudem handelt es sich in den meisten Fällen um einen homosexuellen Übergriff, was die Hemmschwelle weiter erhöht.“In diesem Jahr wurden zwei Drittel der gemeldeten Fälle angezeigt.
Woran es laut Schuler nach wie vor fehlt, ist das Bewusstsein in der Gesellschaft. „Viele Menschen verstehen nicht, dass solche Verhaltensweisen real sind. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen. Wir müssen kleine Kinder informieren, dass sie Rechte haben, eine Selbstbestimmung über ihren Körper; dass sie Nein sagen dürfen.“Doch die Diplom-Psychologin stellt auch klar: „Es ist nicht die Aufgabe des Kindes, einen sexuellen Übergriff zu verhindern.“
Ein weiteres Problem sei, dass Opfer oft nicht einordnen können, was passiert ist, „da ihnen die Täter erzählen, dass es gut ist, ein Zeichen einer intimen und wertschätzenden Beziehung. Kinder tun sich schwer damit, das Erlebte jemandem zu erzählen. Sie brauchen im Schnitt fünf Ansätze, bis ein Erwachsener ihnen Glauben schenkt. Viele haben da schon aufgegeben“, sagt Schuler und resümiert: „Je mehr Bewusstsein besteht, desto früher kann den Beteiligten geholfen werden – auch den Tätern, die zum Teil ihr eigenes Verhalten kritisch hinterfragen und selbst zu uns kommen.“