Rieser Nachrichten

Zum Himmel hoch

Wenn in wenigen Tagen wieder eine Ariane-Rakete startet, sind auch Teile aus Augsburg an Bord. Ziel der Mission: ein eigenes europäisch­es Navigation­ssystem

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Reise zu bayerische­n Raumfahrt-Wurzeln führt an einer Kleingarte­n-Siedlung vorbei. Die Holzhäusch­en sind auf den Winter vorbereite­t. Kein Mensch und kein Blühen weit und breit. Durch den Zaun fällt der Blick auf ein Rehgeweih, das eines der Hütten schmückt. Auf einem Bahngleis stehen rostige Güterwaggo­ns. Es riecht nach der nahen Papierfabr­ik.

Lech und Wertach sind nicht weit. Feuchte Kühle und Melancholi­e schleichen durch die Franz-Josef-Strauß-Straße. Dass dort einer der interessan­testen Raumfahrtu­nd Luftfahrts­tandorte Deutschlan­ds bis heute besteht, erschließt sich erst auf den zweiten Blick und hat viel mit der Leidenscha­ft des Mannes zu tun, nach dem die Straße benannt ist. Denn der frühere bayerische Ministerpr­äsident liebte als Hobby-Pilot alles, was fliegt. So setzte er sich konsequent für den Aufbau des europäisch­en BoeingKonk­urrenten Airbus ein. Auch deswegen werden noch heute mit großem Erfolg Tanks für AirbusFlug­zeuge im Werk der Firma MT Aerospace AG an der Franz-JosefStrau­ß-Straße gefertigt.

Der CSU-Mann und Bayern wollten aber noch viel höher hinaus. Dem Freistaat sollte ein Tor zum Weltall offen stehen. Ein großer Teil dieses Tors öffnet sich gegenüber der Kleingarte­nsiedlung in Gestalt von MT Aerospace. Denn dort werden etwa die Feststofft­anks für die Weltraum-Rakete Ariane 5 hergestell­t. In der Fachsprach­e heißen die Bauteile „Booster“. Ohne solche Raketen-Motorgehäu­se kann keine Ariane mit Satelliten­fracht ins All starten. Noch werden die großen Baugruppen aus Stahl produziert. Künftig sollen die Augsburger Booster aus Kohlefaser­verbund-Werkstoffe­n – im Fachjargon CFK oder umgangsspr­achlich Carbon genannt – bestehen. Hier ist MT Aerospace in der Entwicklun­g für die am Ende über zwölf Meter langen Teile, die einen Durchmesse­r von 3,5 Metern aufweisen, sehr weit. Wenn die neue Ariane-6-Rakete wohl Mitte 2020 das erste Mal vom Weltraumba­hnhof in Kourou (Französisc­h-Guayana) abhebt, werden die gegenüber Stahl-Feststofft­anks deutlich leichteren CFK-Booster eine wichtige Rolle spielen.

Dass der Augsburger Standort mit seinen rund 750 Mitarbeite­rn in hohem Umfang an dem Programm beteiligt wurde, ist nicht selbstvers­tändlich. Denn es war reichlich Zähigkeit und Verhandlun­gsgeschick von Unternehme­ns-Chef Hans J. Steininger notwendig, um zu verhindern, dass Augsburg und damit das Raumfahrte­rbe von Franz Josef Strauß verspielt werden. Es bestand schließlic­h ernsthaft die Gefahr, dass der schwäbisch­e Standort zu einem reinen Produktion­swerk degradiert wird und damit die Entwicklun­gskompeten­z verliert.

So ging im Jahr 2014 vor allem unter den damals 120 Ingenieure­n von MT Aerospace die Angst um, Augsburg wäre am Schluss nur noch eine verlängert­e Werkbank. Denn Produzente­n wie der Riese Ariane Group, hinter dem sich Airbus und der französisc­he Konzern Safran verbergen, würden die Entwicklun­gs-Filetstück­e zulasten Augsburgs an sich reißen. Letztlich beDie fürchtete Steininger, das W stünde mit Auslaufen des Aria 5-Programms 2020 vor dem Aus.

Doch der Manager erwies sich erfolgreic­her Kämpfer und findi Netzwerker. Gerade in der C wollte niemand das Raumfahrte von Franz Josef Strauß gefährd Daher wurde hinter den Kulis hart gerungen, um den mittelstän schen Betrieb nicht im europäisch Kräftespie­l untergehen zu lassen.

Das bayerische Wirtschaft­smin terium mit Ressort-Chefin Ilse A ner und ihrem schwäbisch Staatssekr­etär Franz Jo Pschierer wurde akt Auch ein Gewe schafter und Sozi demokrat spie eine wichtige R le: IG-Met Vorstandsm­itglied Jürgen K ner half MT Ae space aus seiner H matstadt Augsburg. funktionie­rt Industrie litik in Deutschlan­d. Am En erinnert sich ein Insider, habe a das Engagement von Ministerpr­ä dent Horst Seehofer den Dur bruch für MT Aerospace gebrach

Raumfahrt ist ein politische­s schäft. Das Ergebnis der Lobbybeit kann sich sehen lassen: Gut Prozent der Bauteile für die Arian kommen künftig von der Augsb ger Firma. Neben den Feststo tanks aus leichten Kohlefaser-V bundwerkst­offen sind das im groß Maße Tank- und Strukturba­ut aus Aluminium.

Weil die neue Europa-Rak wieder über 25 Jahre hinweg z Einsatz kommen soll, lässt s hochrechne­n, dass Bayerns Tor z Weltraum wohl bis 2045 of

ibt. Demnach wären Standort d Stellen in Augsburg langfristi­g her. Der Kampf Steininger­s hat h also ausgezahlt. Seit 2005 cht er in Augsburg mit. Damals er mit dem mittelstän­dischen mer Raumfahrtu­nternehmen B die Firma vom MAN-Konn übernommen. Steininger gehö30 Prozent an MT Aerospace. Doch trotz des Erfolgs ist der uck auf die Mitarbeite­r in Augsg groß. Die neue Rakete muss tlich günstiger werden als ihr rgängermod­ell Ariane 5. Von bis 50 Prozent für einzelne Bauteile die Rede. Der Wettbewerb in m früher behüteten Geschäft ist gemütlich geworden, gerade weil h der US-Konkurrent SpaceX als isbrecher betätigt. Hinter dieser ketenfirma steckt wie beim Elekauto-Produzente­n Tesla der erikanisch­e Visionär Elon Musk. ne Aggressivi­tät wirkt sich bis h Augsburg aus: MT Aerospace ss die Kosten drücken. Das geht besten durch effiziente­re Fertigspro­zesse. So hat die Firma 15 llionen Euro in eine neue Halle einer extra angefertig­ten giganhen Schweißanl­age investiert. Hier können die Metall-Tankdel mit einem Durchmesse­r von 0 Metern schneller in einem spelen Verfahren geschweißt wer. Mit der Technik lassen sich pro r knapp 90 der Mega-Tankdel für die Ariane 6 bauen. Mit der herigen Methode entstehen 30 ckel für die Ariane 5.

Noch wird der alte erfolgreic­he opäische Lastenesel gebraucht: soll am 12. Dezember eine solche kete von Kourou aus abheben d ihre Satelliten-Fracht ins All ördern, die unter der Regie der mer OHB-Gruppe entstand. Damit werden vier weitere GalileoSat­elliten ins All geschossen, ein besonderer Tag für Europa, denn das Projekt wird überwiegen­d von der Europäisch­en Union, also den Steuerzahl­ern finanziert.

Die Satelliten sind nach Kindern benannt, die sich die Ehre bei einem Malwettbew­erb der Europäisch­en Kommission erzeichnet haben. Ein Satellit heißt Alba, ein anderer Oriana. Auch Kinder, die Adam und Anastasia heißen, haben gewonnen. Insgesamt hat die EU 34 der Satelliten bei OHB bestellt.

Doch warum schickt Europa derart viele Satelliten ins All auf eine Umlaufbahn von etwa 23000 Kilometern? Das Prestigepr­ojekt ist schließlic­h kostspieli­g. Allein der Vertrag über die ersten 14 Satelliten hat ein Volumen von 566 Millionen Euro. Die Nachbestel­lung für vier weitere schlug noch mal mit 158 Millionen Euro zu Buche. So geht das weiter. Ein Fall von chronische­r Verschwend­ung von Steuergeld?

Der Raumfahrt-Freund Franz Josef Strauß hätte energisch widersproc­hen. Seine Tochter tut es auch. Denn die CSU-Europaabge­ordnete Monika Hohlmeier ist Vorsitzend­e einer überpartei­lichen Arbeitsgru­ppe von EU-Politikern, die sich um Luft- und Raumfahrtt­hemen kümmert. Die Liebe dazu habe sie vom Vater mitbekomme­n, sagt Monika Hohlmeier im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Politikeri­n ist zu einer wesentlich­en Strippenzi­eherin für Galileo, das eigene europäisch­e Satelliten­system geworden. „Wir wollten unabhängig werden von Amerikaner­n und Russen“, sagt sie.

Das US-System GPS wurde vom US-Verteidigu­ngsministe­rium entwickelt. Doch längst wird es auch im zivilen Bereich genutzt und greift auch auf Galileo-Daten zurück. „Und die sind exakter als bei GPS“, berichtet Hohlmeier. Bekannt ist etwa, dass GPS in Hochhaussc­hluchten schnell an Grenzen stößt, während Galileo Nutzern von Smartphone­s und Auto-Navigation­ssystemen weiter exakte Dienste leistet. Weil das europäisch­e Programm offen ist, greifen viele darauf zurück: US-Chipkonzer­ne bauen es ein. Selbst in Russland und China wird auf Galileo gesetzt. Auch die neuesten iPhones von Apple sind mit dem System verbunden. Wie in Europa schnelle Datennetze oder Straßen ausgebaut werden, soll mit Galileo eine bessere Satelliten-Infrastruk­tur geschaffen werden.

Hohlmeier kann sich etwa vorstellen, dass dank Galileo-Daten Traktoren autonom ohne Fahrer auf Feldern unterwegs sind. Und derzeit würde auf europäisch­er Ebene diskutiert, ob sich mit den Satelliten nicht frühzeitig Flüchtling­sströme erkennen ließen. „So können wir schneller darauf reagieren, nicht erst wenn die Migranten schon in Booten sitzen“, meint die CSU-Politikeri­n. Natürlich lässt sich Galileo auch für die Klimaforsc­hung, bei Erdbeben und Vulkanausb­rüchen einsetzen. Kein Wunder, dass EuropaPoli­tiker von Steuergeld-Verschwend­ung nichts wissen wollen.

Obwohl noch nicht alle Satelliten im All sind, funktionie­rten längst viele der Dienste. Die Ortung soll mit modernen Smartphone­s schon auf den Meter genau möglich sein.

Interessan­t, dass Europa die für Verbrauche­r gute Botschaft nicht offensiv und plakativ verkauft. Dabei bräuchte es mehr gute Beispiele, um die Akzeptanz der EU unter den Bürgern zu erhöhen. Doch Europa ist komplizier­t wie die Raumfahrt.

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Raumfahrt made in Augsburg: Produktion von Teilen für die Ariane Rakete bei MT Aerospace.
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Fotos: Ulrich Wagner
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