Lieber GroKo als Neuwahlen
Die Deutschen freunden sich mit einer Fortsetzung der Großen Koalition an. Die FDP und ihr Chef Christian Lindner verlieren hingegen rapide an Zustimmung
Augsburg/Berlin Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag durchgerungen, zumindest mit CDU und CSU zu reden. Die Kanzlerin regiert sowieso am liebsten in einer Großen Koalition. Und nach all dem Hin und Her um Jamaika freunden sich inzwischen auch viele Bürger wieder mit einer Neuauflage des schwarz-roten Bündnisses an. Im aktuellen Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen haben sich jedenfalls 47 Prozent der Befragten für eine Große Koalition ausgesprochen. Damit liegt diese Option klar vor Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung. Im Deutschlandtrend von Infratest dimap steht zwar noch eine knappe Mehrheit einer Regierung von Union und SPD skeptisch gegenüber, allerdings wuchs auch in dieser Umfrage die Zustimmung.
Großer Verlierer dieser Entwicklung ist die FDP. Viele Menschen haben offenbar wenig Verständnis dafür, dass die Liberalen die Jamaika-Sondierungen platzen ließen. In beiden Umfragen verliert die FDP mehrere Prozentpunkte und fällt jeweils auf den letzten Platz der im Bundestag vertretenen Parteien zurück. Dass aus Jamaika nichts geworden ist, lasten die Bürger auch Christian Lindner an. Die Zufriedenheit mit dem FDP-Chef ist dramatisch gesunken. Anfang November waren laut Deutschlandtrend 45 Prozent der Deutschen mit seiner Arbeit zufrieden, jetzt sind es nur noch 28 Prozent. Besonders enttäuscht sind die Anhänger der Union. Deren Zustimmung zu Lindner hat sich von 60 auf 30 Prozent halbiert. Angesprochen auf diesen Absturz, sagte er in einem Interview: „Die FDP ist kein Waschmittelproduzent, der auf immer höheren Marktanteil drängt.“Steigern konnte der Liberale seinen Marktwert nur bei einer Gruppe: Sein Ansehen unter AfD-Anhängern stieg von 39 Prozent auf 64 Prozent.
Auch im Politbarometer ist Lindner der Verlierer des Monats. Im Ranking der zehn wichtigsten Politiker rutscht er um drei Plätze ab. Der wiedergewählte SPD-Vorsitzende Martin Schulz und sein Vorgänger Sigmar Gabriel machten Boden gut. Führen sie ihre Partei nun in eine neue Große Koalition?
Die Sozialdemokraten zieren sich noch und legen die Latte für die Gespräche mit der Union hoch. Im Gespräch mit unserer Zeitung nannte die neue stellvertretende Parteichefin Natascha Kohnen ihre Bedingungen. Dazu gehören ein Rechtsanspruch auf die Rückkehr von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle, ein Einwanderungsgesetz und die Abschaffung der Abgeltungsteuer, mit deren Hilfe Kapitalerträge günstiger besteuert werden als Löhne und Gehälter. Auch die strengen Regelungen für den Familiennachzug für Flüchtlinge will die SPD ab Frühjahr wieder lockern. „Familie ist ein hohes Gut“, sagte die 50-jährige Münchnerin im Gespräch mit unserer Zeitung. „Deswegen sollten wir zur Normalität zurückkehren und den Geflüchteten erlauben, ihre Ehepartner und Kinder nachzuholen.“Anders als von der CSU immer noch behauptet, gehe es dabei nicht um 750000 Menschen, sondern um maximal 60 000.
In der Politik finden Sie unser Interview mit Natascha Kohnen und weitere Hintergründe zum SPDParteitag. Auch auf Panorama geht es heute um Politik: „Jamaika-Aus“wurde nämlich zum „Wort des Jahres“gekürt. Und im Feuilleton liegt Michael Schreiner mit seinem persönlichen Wort der Woche ganz im Trend: Es heißt „GroKo“.
Nur bei AfD Anhängern kann Lindner punkten
Frau Kohnen, eigentlich will die SPD keine Neuauflage der Großen Koalition mehr. Kann sie sie noch verhindern? Kohnen: Wir gehen schrittweise vor. Der erste Schritt ist ein Gespräch, bei dem wir unsere Vorstellungen auf den Tisch legen und unsere Gegenüber bitten, das ebenfalls zu tun. Dann wird man sehen, ob es überhaupt Punkte gibt, auf die man sich verständigen kann. Wichtig ist mir dabei, dass die Menschen sehen, wofür die SPD steht. Dass es sachlich zugeht, ernsthaft und ruhig.
Wo muss die Union sich denn bewegen, damit Sie einschlagen?
Kohnen: Ein Punkt ist das Rückkehrrecht von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle. Das haben wir schon in der letzten Großen Koalition vereinbart, aber immer noch nicht eingeführt. Wir wollen die Abgeltungsteuer wieder abschaffen, damit Arbeit nicht höher besteuert wird als Kapital. Wir brauchen eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte und wir können uns auch eine Wiedereinführung der Vermögensteuer vorstellen, wenn die Gerichte entschieden haben. Wir müssen das Rentenniveau sichern und dafür sorgen, dass die Beiträge nicht weiter steigen – hier meint die Union ja, es gebe nichts zu tun. Und wir wollen ein Einwanderungsgesetz und ein Ende der Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Medizin mit der Bürgerversicherung für alle als Ziel.
Den Familiennachzug hat die SPD gemeinsam mit der Union für einen großen Teil der Flüchtlinge bis Februar 2018 ausgesetzt. Warum wollen Sie diese Regelung nicht mehr verlängern? Kohnen: Das war ein Kompromiss, den wir in der letzten Großen Koalition geschlossen haben. Familie ist ein hohes Gut. Familie heißt Geborgenheit, Unterstützung und Liebe. Deswegen sollten wir zur Normalität zurückkehren und den Geflüchteten erlauben, ihre Ehepartner und Kinder nachzuholen. Es geht dabei um maximal 60000 Menschen. Gerade bei diesem Thema ist Sachlichkeit wichtig.
Die CSU spricht von bis zu 750000. Rechnen Sie die Lage nicht schön? Kohnen: Es gibt eine einzige wissen- schaftliche Untersuchung darüber, wie viele Menschen über den Familiennachzug nach Deutschland kommen könnten. Diese Untersuchung kommt vom Institut für Arbeitsmarktforschung. Demnach sind es maximal 60000 Ehepartner und Kinder. Diese Zahlen sollten wir verwenden, wenn wir über das Thema reden. Alles andere ist unseriös.
Sie sind jetzt stellvertretende Parteivorsitzende. Sondieren Sie eigentlich mit?
Kohnen: (lacht) Ich bin ja gerade erst gewählt worden. Lassen Sie mir doch ein paar Tage Zeit, dann sehen wir klarer.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz wurde von den Delegierten mit einem Ergebnis von nicht einmal 60 Prozent abgewatscht. Was sagt das eigentlich über eine Partei aus, wenn sie den einzigen Spitzengenossen, der regelmäßig Wahlen gewinnt, so demütigt? Kohnen: Ich schätze Olaf Scholz sehr und ich habe kein Verständnis dafür, dass man einen erfolgreichen Ministerpräsidenten mit einem solchen Ergebnis bestraft.
Ist er der Partei zu konservativ? Hat er im Hintergrund gegen Schulz gearbeitet? Haben Sie eine Erklärung? Kohnen: Nein, die habe ich nicht, und darüber möchte ich auch nicht spekulieren, solange ich nicht mit Olaf Scholz selbst gesprochen habe.
Martin Schulz blieb ein größerer Denkzettel erspart, obwohl er als Kanzlerkandidat das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren hat. Wie fest sitzt er als Parteichef noch im Sattel?
Kohnen: Er hat klipp und klar gesagt, dass er das Ergebnis vom 24. September mit zu verantworten hat. So gesehen ist sein Wahlergebnis von 81,9 Prozent ein ehrliches und ein realistisches Ergebnis – und so sieht das auch Martin Schulz selbst.
Die Niederlage bei der Bundestagswahl war bitter. Was lernen Sie daraus für den bayerischen Landtagswahlkampf?
Kohnen: Nicht nur die SPD, die Politik insgesamt muss einen neuen Stil finden. Die Menschen haben immer mehr das Gefühl, dass wir ihnen nicht mehr zuhören, dass wir uns nicht mehr um ihre Sorgen und Nöte kümmern. Für uns als SPD heißt das: Auf die Menschen hören, eine Sprache sprechen, die jeder versteht, und die Themen annehmen, die den Leuten auf den Nägeln brennen. In Bayern ist das zum Beispiel das Thema bezahlbarer Wohnraum, damit wiederum hängt ganz stark die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammen, weil viele Familien schon durch die hohen Lebenskosten dazu gezwungen werden, dass auch in der Rushhour des Lebens beide Elternteile arbeiten.
Was heißt das konkret?
Kohnen: Ich denke dabei zum Beispiel an den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung und eine Familienarbeitszeit, bei der sich beide Elternteile ihre Arbeitszeit weitgehend
„Von der Ego Show, die die CSU im Moment abzieht, haben die Leute die Nase voll.“
Natascha Kohnen
selbst einteilen können. Und ich denke dabei auch an eine Reduzierung der Arbeitszeit, ein Thema, das wir gerade intensiv mit den Gewerkschaften diskutieren.
Wie sehr verändern eigentlich die Personalentscheidungen bei der CSU die Ausgangslage für die Landtagswahl? Ist Markus Söder für Sie ein härterer Gegner, als es Horst Seehofer gewesen wäre, ein Ministerpräsident in der Schlusskurve seiner Karriere? Kohnen: Dass es wieder ein Mann wird, war absehbar. Ich werde diese Auseinandersetzung mit großer Sachlichkeit führen und mich um die Probleme kümmern, die die Menschen im wahren Leben haben. Von der Ego-Show, die die CSU im Moment abzieht, haben die Leute doch die Nase voll. Interview: Rudi Wais
Oist seit Mai Lan desvorsitzende der Bayern SPD und seit Donnerstag auch stellvertretende Vor sitzende der Bundespartei. Die 50 jäh rige Münchnerin hat Biologie studiert und als Redakteurin und Lektorin gearbei tet. Sie war Generalsekretärin der Landes partei, sitzt seit 2008 im Landtag und führt die SPD im nächsten Jahr als Spit zenkandidatin in die Landtagswahl.