Einst Werkstatt, heute Wirtsstube
Im Jahr 1912 zog Paul Stippler mit seiner Frau in die Alerheimer Straße nach Deiningen, um eine Wagnerei zu eröffnen. Heute dienen die Räume einem anderen Zweck
Deiningen Das Feuer knistert im Ofen, und es macht sich eine gemütliche Wärme breit in dem urigen, unkonventionellen Gastraum der Alten Wagnerei in Deiningen. Mit Fichtengrün festlich geschmückt, wartet er auf die obligatorischen Weihnachtsfeiern, die vor den Feiertagen auch hier stattfinden. Ein Blick an die Decke verrät die ursprüngliche Nutzung des Raumes. Die Kappendecke mit den Eisenträgern zwischen den einzelnen Segmenttonnen war früher typisch für ein Stallgebäude, und tatsächlich standen hier einmal sechs bis zwölf Stück Vieh.
Nebenan, wo die Toiletten untergebracht sind, tummelten sich früher die Schweine. Die kleine Landwirtschaft sicherte den Hofbewohnern die Existenz, denn nur vom Handwerk alleine hätte früher keine Familie auf dem Land leben können. Das galt auch für den Wagnermeister Paul Stippler, der 1912 mit seiner Frau hierher in die Alerheimer Straße zog und seine Werkstatt einrichtete. Mit einer Bandsäge, einer Hobelbank und einer Drehbank begann er seinen Betrieb, der später um einen niedrigeren Anbau erweitert wurde. Damals zählte der Wag- neben dem Schmied zu den wichtigsten Handwerkern im Ort, denn er fertigte nicht nur Wagen, sondern vielerlei Arbeitsgerät vom Pflug bis zum Rechen. Auch seinen Sohn Karl Stippler bildete er aus, der die Werkstatt nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm.
In Zusammenarbeit mit den örtlichen Schmieden Bäuerle und Bachmann entstanden bis Anfang der 1960er Jahre noch Leiterwagen, doch mit der zunehmenden Verwendung von Eisen und Stahl geriet der Wagner allmählich ins Hintertreffen. Die Verbreitung von gummibereiften Wagen trug schließlich vollends zu seinem Niedergang bei. Viele Wagner fanden im Karosseriebau ein neues Betätigungsfeld, doch Karl Stippler war dafür schon zu alt. Neben Holzreparaturarbeiten verlegte er sich auf das Drechseln. Karlheinz Stippler hat diesen Wandel im Beruf seines Vaters selber miterlebt. Und er erinnert sich auch, wie er als Kind am Ende des Jahres zu den Kunden geschickt wurde: „Einen schönen Gruß von meinem Vater und da hab ich die Rechnung.“Eine Rechnung, für die der „Wanger“ein ganzes Jahr mit Arbeit und Material in Vorleistung gegangen war. Dennoch hätte der spätere Bürgermeister von Deinin- gen gerne einen Holzberuf gelernt, sein Vater riet ihm aber zum Landmaschinenmechaniker, womit er nach mehr als zwei Generationen quasi die Seite wechselte. Mitte der 1960er Jahre habe er für Reparaturen noch Metallreifen auf Holzräder aufgezogen.
Heute steht die Werkstatt leer, nur noch die Metallsprossenfenster und zwei großen Holztore erinnern an sie. Durch die Gaube im Dachgener schoss wurden einst die Bretter ins Holzlager auf dem Dachboden befördert, wo sie „im Wasser“gelagert wurden, damit sie nicht „windisch“wurden, weiß der Wagner-Sohn zu erzählen.
Doch auch das Wohnhaus, in dem Karlheinz Stippler geboren ist, steht leer. Bis letztes Jahr wohnte hier seine Tochter Eva Bowman mit Familie. Sie kämpften nicht nur mit Schimmel und Salpeter, auch Proben von Holz und Gemäuer hätten eine erhebliche Schadstoffbelastung ergeben. Schweren Herzens entschieden sie sich deshalb für einen Abriss des Hauses aus dem 18. Jahrhundert, der für 2018 geplant ist. Der Neubau soll jedoch ziemlich genau dem jetzigen Haus entsprechen, denn „gerade die gemütliche und ursprüngliche Atmosphäre unseres Hofes ist es, was unsere Gäste schätzen“, versichert Eva Bowman. Zusammen mit ihrem Mann Anthony betreibt sie seit 2014 erfolgreich Biergarten und Wirtsstube, für die die alten Stallungen hergerichtet wurden. Auch Karlheinz Stippler, der hier quasi zu Hause ist, stellt sich unter dem „Eh do-Faktor“gelegentlich als Wirt zur Verfügung. Vor allem aber freut er sich, dass die Alte Wagnerei so zumindest dem Namen nach in Erinnerung bleibt.