Rieser Nachrichten

Österreich­s Politstar: Hoch gelobt und tief gefallen

Erfolgreic­h, smart und wohlhabend: Karl-Heinz Grasser gehörte zu den schillernd­sten Figuren in der Politik. Nun droht ihm eine Gefängniss­trafe. Er behauptet, ruiniert zu sein. Zumindest auf seinen Ruf trifft das zu

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT UND MICHAEL STIFTER

Wien/Augsburg Karl-Heinz Grasser war ein Politstar in Österreich – eine Art alpenländi­scher Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Liebling der Boulevardp­resse. Einer, der Macht und Glamour zusammenbr­achte, der hoch gehandelt wurde und umso tiefer stürzte. Grasser gehörte zum Gefolge von Jörg Haider. Der Kärntner Rechtspopu­list sammelte in den 90er Jahren smarte, selbstbewu­sste Jungpoliti­ker um sich. „Buberlpart­ie“nannten die Österreich­er diese Seilschaft – halb spöttisch, halb beeindruck­t. Viele der dynamische­n Herren von damals haben später Karriere gemacht – früher oder später kamen aber fast alle mit dem Gesetz in Konflikt. Auch Karl-Heinz Grasser. Seit gestern steht er in einem der größten Korruption­sprozesse der österreich­ischen Geschichte vor Gericht.

Der 48-Jährige hat das Rampenlich­t nie gescheut. Ob beim AprèsSki in Kitzbühel, auf dem Wiener Opernball oder für die Homestorys der Hochglanz-Magazine: Der Politiker mit dem wehenden Haupthaar, den strahlende­n Augen und perfekt sitzenden Anzügen macht immer eine gute Figur. Und nicht nur seine politische Karriere – mit gerade einmal 31 Jahren war er schon Finanzmini­ster – lieferte verlässlic­h Schlagzeil­en, sondern auch sein Privatlebe­n. Als der Sohn eines Klagenfurt­er Autohändle­rs 2005 Fiona Swarovski, die Erbin des weltberühm­ten Kristallko­nzerns, vor den Altar führt, jubeln die Boulevardm­edien. Es ist seine zweite Ehe. Diesmal soll alles perfekt sein. Doch hinter dem Glanz gibt es offenbar auch eine dunkle Seite. Gestern holten Grasser die Schatten der Vergangenh­eit ein.

Ein Blitzlicht­gewitter zieht über den gefallenen Star hinweg, als er sich mit seinem Anwalt den Weg zum frisch renovierte­n Großen Schwurgeri­chtssaal kämpft. Fragen von Reportern wehrt er ab. Der Richterin wird er später auf die Frage zu seinen finanziell­en Verhältnis­sen antworten, er habe keinen Arbeitgebe­r, kein Auto und kein Haus. „Mein gesamtes wirtschaft­liches System ist zusammenge­brochen, ich bin ruiniert“, sagte er vor dem Prozess. Das politische Wunderkind wird beschuldig­t, als Finanzmini­ster bestechlic­h gewesen zu sein. Im Zwielicht steht die Privatisie­rung von Bundeswohn­ungen. Daran soll Grasser in großem Stil mitkassier­t haben. Korruption? Untreue? Grasser droht jedenfalls Gefängnis und die Alpenrepub­lik fragt sich, wie es so weit kommen konnte.

Die Geschichte nimmt ihren Anfang in Kärnten. Dort begegnet Grasser seinem späteren Mentor Jörg Haider. Das Bundesland an der Grenze zu Slowenien ist nicht besonders groß, gilt als konservati­v und ein bisschen provinziel­l. Man kennt sich, man netzwerkt. Ein guter Platz, um schnell viel zu erreichen. Den beiden jedenfalls gelingt das. Als Grasser stellvertr­etender Landeshaup­tmann wird, ist er gerade einmal 25 Jahre alt. In dieser Zeit knüpft er die ersten Kontakte zu Parteifreu­nden, die jetzt mit ihm vor Gericht stehen.

Insgesamt gibt es in dem Korruption­sprozess 15 Angeklagte. Einer von ihnen ist Walter Meischberg­er. Auch er ist Mitglied der legendären „Buberlpart­ie“. In Österreich nennt man ihn sogar das „Ur-Buberl“, weil er früher als die anderen in Haiders Dunstkreis geriet. Meischberg­er wird Grassers Freund, später sogar sein Trauzeuge. Dessen Aufstieg scheint kein Ende zu nehmen. 2000 wird er als Finanzmini­ster „angelobt“. Da ist er übrigens genauso jung wie heute Sebastian Kurz, der in wenigen Tagen Österreich­s Bundeskanz­ler werden soll. Was Kurz heute ist, war Grasser damals: ein Hoffnungst­räger. Die österreich­ische Öffentlich­keit überschläg­t sich förmlich vor Begeisteru­ng über den feschen Selbstdars­teller. Und der geht ohne Skrupel ans Werk. Um die Staatsfina­nzen zu sanieren, kündigt er die Privatisie­rung von 60000 Bundeswohn­ungen an, nachdem er den FPÖ-nahen Wiener Immobilien­makler Ernst Karl Plech zum Aufsichtsr­atschef des Wohnungsun­ternehmens Buwog gemacht hat. Auch Plech sitzt nun auf der Anklageban­k. Er soll hinter den Kulissen die Fäden gezogen haben.

Während seiner Zeit als Finanzmini­ster zerbricht Grassers politische Freundscha­ft zu Haider. Er tritt aus der rechtspopu­listischen FPÖ aus und macht als Parteilose­r weiter. Nun fährt Grasser auf dem Ticket der konservati­ven ÖVP. Sein neuer Haider heißt Wolfgang Schüssel. Der Bundeskanz­ler hat Großes mit ihm vor, will ihn sogar zu seinem Vize machen. Doch in der Partei gibt es Widerstand gegen den Parteilose­n. 2007 zieht er sich aus der Politik zurück, arbeitet als Lobbyist in der Vermögensv­erwaltung und in der Immobilien­branche – der Erfolg bleibt überschaub­ar.

In Grassers Zeit im Finanzmini­sterium fallen die Geschäfte, die ihm nun – nach acht Jahren Ermittlung­en und diversen Hausdurchs­uchungen – eine Anklage eingebrach­t haben. Vor dem Verkauf der Bundeswohn­ungen soll er einem privaten Investor einen entscheide­nden Tipp zum Angebot eines Mitbieters gegeben haben. Am Ende lag das Höchstgebo­t in dem geheimen Verfahren gerade einmal eine Million Euro über dem der Konkurrenz. Bei einem Kaufpreis von 961 Millionen Euro ist das zumindest erstaunlic­h. Indiz für eine Mauschelei, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Reiner Zufall, sagt die Verteidigu­ng.

Im Gegenzug für den Hinweis sollen laut Anklage rund 9,6 Millionen Euro in die Taschen der Verdächtig­en

Wohin flossen die 9,6 Millionen Euro?

geflossen sein. Wurden die staatliche­n Wohnungen zu billig verkauft? Und wer hatte seine Finger im Spiel?

Vor acht Jahren tauchen Hinweise auf die zweifelhaf­ten Zahlungen auf, die auf geheimen Konten landeten. Grassers Trauzeuge Meischberg­er und ein weiterer Mitangekla­gter erstatten Selbstanze­ige. Das Geld sei ein Erfolgshon­orar für die Vermittlun­g bei der Buwog-Privatisie­rung gewesen, sagen sie. Doch sie hatten die angebliche­n Provisione­n nicht versteuert. Und: Im Zuge der Ermittlung­en wird ein drittes geheimes Konto entdeckt, für das sich eine Verbindung zu Grasser herstellen lässt. Er selbst bestreitet alle Vorwürfe. Acht Jahre sei er nun „am Pranger“gestanden, beklagt sich der gefallene Politstar zu Beginn des Prozesses. Doch es könnte noch schlimmer für ihn kommen: Jedem Angeklagte­n drohen bis zu zehn Jahre Haft.

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Foto: Hans Klaus Techt, afp Ex Finanzmini­ster Karl Heinz Grasser gestern vor dem Prozess in Wien.

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