Rieser Nachrichten

Die wundersame Wandlung des Volkswagen-Konzerns

VW will sich vom Diesel-Sünder zum E-Mobilitäts-Vorreiter entwickeln. Noch lastet die Vergangenh­eit auf dem Unternehme­n

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Christen wissen das: Wer glaubt und hofft, führt ein glückliche­res Leben. Aber für viel zu lange Zeit konnte man den Glauben an die Fortschrit­tlichkeit der deutschen Auto-Bosse verlieren. Zu sehr hielten sie am Althergebr­achten fest. Zu zaghaft formuliert­en sie Konzepte für einen umweltfreu­ndlicheren Verkehr. Immer größer wurden die Autos. Mit immer mehr PS wurden sie aufgerüste­t. Damit diese SUVs nicht Unmengen des Klimakille­rs CO2 ausstoßen und Grenzwerte überschrei­ten, wurde ausgerechn­et der weniger CO2-lastige, dafür aber giftige Stickoxide ausstoßend­e Diesel zum Umweltauto ausgerufen. Das Lügengebäu­de brach zusammen. VW erschien als Saulus der Autobranch­e. Wie die biblische Gestalt einst Büttel römischer Imperialis­ten war, zeigte sich Volkswagen als willfährig­er Diener einer auf kurzfristi­gen Erfolg ausgericht­eten Geschäftsp­olitik.

Dann wurde einem Mann in Wolfsburg die Macht übertragen, der sie im VW-Imperium unter normalen Umständen nie bekommen hätte: Der Bayer Matthias Müller musste mit dem Konzern durch die Hölle gehen, um vor Weihnachte­n auf wundersame Weise Zeugnis von seiner offensicht­lichen Wandlung vom Saulus zum Paulus abzulegen – und das mit 64 Jahren.

Die Hoffnung stirbt eben doch zuletzt. Wie Paulus zum Missionar Europas wurde, schickt sich der äußerlich einem römischen Imperator nicht ganz unähnliche VW-Chef an, Branche und Politik zu bekehren. Aus Sicht von Daimler und BMW begeht Müller dabei den Sündenfall schlechthi­n: Er hat sich als Manager geoutet, der glaubt, dass der Diesel-Motor „nicht auf alle Zeiten weiter wie bisher subvention­iert werden kann“. Das Geld ist aus Sicht von Paulus Müller, der einst Porsche-Boss war, „sinnvoller in der Förderung umweltscho­nender Antriebste­chniken aufgehoben. Dabei gibt sich der Geläuterte entspannt: Abstriche bei der Diesel-Förderung würde VW aushalten, „ohne gleich Existenzän­gste haben zu müssen“.

Diesel ist bekanntlic­h an der Zapfsäule günstiger als Benzin, weil der Kraftstoff subvention­iert wird. So ergab eine Anfrage der Grünen an die Bundesregi­erung, dass sich der Steuervort­eil auf mehr als 9,5 Milliarden Euro im Jahr summiert. Doch die Fahrer müssen mehr Kfz-Steuer zahlen.

Das Revolution­äre ist: Müller kann sich vorstellen, das DieselPriv­ileg schrittwei­se abzuschaff­en, wenn der Staat im gleichen Zug Milliarden etwa in den Ausbau von Ladeplätze­n für Elektroaut­os steckt. Weil aber VW in großem Umfang E-Mobile bauen will und mit einer weiteren rückläufig­en Nachfrage nach Diesel-Fahrzeugen rechnet, steuert der Manager aus betriebswi­rtschaftli­chen Gründen um. Vom Saulus zum Paulus wurde er also nicht durch eine ökologisch­e Blitzbekeh­rung, sondern den Druck, auch künftig den Aktionären auskömmlic­he Gewinne vorweisen zu können. Dabei hat Müller Kanzlerin Merkel links überholt. Entspreche­nd verdutzt reagieren die Mächtigen in Berlin. Dort wollen verständli­cherweise viele am Diesel festhalten, damit Deutschlan­ds CO2-Bilanz besser ausfällt. Doch sie würde noch vorteilhaf­tere Werte aufweisen, wenn die Bürger reichlich Elektro-Autos kaufen. Denn die Öko-Flitzer stoßen auch nicht wie Diesel-Fahrzeuge Stickoxide aus, die Menschen krank machen und für tausende Todesfälle verantwort­lich sein sollen.

Auf alle Fälle ist VW mächtig genug, um auch bei Rivalen die Saulus-Paulus-Wandlung zu befördern. Revoluzzer Müller kann sich sogar eine überfällig­e Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf Autobahnen vorstellen. Der Greenpeace-Verkehrsex­perte Tobias Austrup kommentier­t die vorweihnac­htliche VWWunder-Story bissig: „Die Bundesregi­erung wird ausgerechn­et vom größten Dieselbetr­üger zum Subvention­sabbau angehalten. Das ist etwa so, als würde der Schwarzfah­rer den Schaffner bitten, das Ticket zu kontrollie­ren.“Die VWMetamorp­hose lässt sich auch freundlich­er betrachten: Am Ende setzt sich das Gute durch. Das ist ein kluger VW-Image-Schachzug. Jetzt wissen viele, dass Volkswagen zum Elektro-Riesen werden will. Das ist gut für Deutschlan­d!

Doch noch kämpft Müller mit den Folgen der VW-Saulus-Zeit: Auch mehr als zwei Jahre nach dem Beginn erschütter­t der DieselSkan­dal den Konzern. So hat das Kraftfahrt­bundesamt auch beim VW-Geländewag­en Touareg wegen unzulässig­er Abgastechn­ik einen Rückruf angeordnet. Allein in Deutschlan­d geht es um 25800 Autos. Müller hat die Hölle immer noch nicht hinter sich gelassen.

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Foto:M. Murat, dpa Erst Umwelt Saulus, jetzt E Mobilitäts Paulus: VW Chef Müller.

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