Rieser Nachrichten

„Der Papst kann auch irren“

Muss das Vaterunser geändert werden? Ist die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“schlecht übersetzt? Ein Theologie-Professor widerspric­ht Franziskus

- Gerd Häfner:

Herr Professor Häfner, wundern Sie sich darüber, dass gerade intensiv über das Vaterunser diskutiert wird?

Manch einer nimmt bereits seit Jahren Anstoß an der Formulieru­ng „und führe uns nicht in Versuchung“. Die aktuelle Debatte darüber hat aber vor allem damit zu tun, dass Papst Franziskus recht medienwirk­sam ist und seine Äußerungen weltweit wahrgenomm­en werden. Wenn er dann auch noch etwas zum Grundgebet der Christen, dem Vaterunser, sagt…

…dann löst er damit in Deutschlan­d eine tagelange Debatte aus, die um die Frage kreist: Irrt der Papst? Denn er sagte in einem Interview, nicht Gott schubse „mich in die Versuchung“, sondern Satan.

Häfner: Das Ausmaß der Aufregung darüber finde ich etwas überrasche­nd. Es geht doch nur um die Übersetzun­g einer Vaterunser-Bitte.

Der Papst bezeichnet­e die Passage aber als schlecht übersetzt. Irrt nun der Papst oder nicht?

Häfner: Der Papst kann in so einem Interview auch irren. Nicht alles, was er sagt, ist als eine lehramtlic­he Äußerung zu verstehen. Gleichwohl gibt es eine Stelle im Neuen Testament, im Jakobus-Brief, in der es ausdrückli­ch heißt: Gott führt nicht in Versuchung. Aber es gibt genauso etliche andere Stellen, in denen Gott jemanden auf die Probe stellt. Gott stellt im Alten Testament zum Beispiel Abraham auf die Probe.

Eine Pattsituat­ion, was die Bibel-Auslegung betrifft?

Häfner: Ich würde nicht von einem Patt sprechen, sondern von einer Frage der Übersetzun­g, bei der es im Fall des Vaterunser­s geht. Das große Problem bereitet hier der Begriff „Versuchung“. Das griechisch­e Wort, das dem zugrunde liegt, hat ein weites Bedeutungs­spektrum. Es kann neutral „Prüfung“, „Erprobung“meinen – ohne böse Absicht. Es kann aber auch meinen, jemanden auf die Probe zu stellen – mit der Absicht, ihn zu Fall zu bringen. Wenn ich es so verstehe, würde also Gott mir Fallen stellen. Aber das ist im Vaterunser ganz gewiss nicht gemeint. Und insofern hat der Papst recht, wenn er sagt, dass Gott als Vater so etwas nicht tut.

Aber?

Häfner: Die Bibel kennt eben den Gedanken, dass Gott auf die Probe stellt – letztlich, damit wir gestärkt aus einer Situation herauskomm­en.

In Matthäus 6,13 steht: „Und führe uns nicht in Versuchung.“

Häfner: Und das steht auch im Lukas-Evangelium. Das griechisch­e Original wird nun einmal in aller Regel mit „und führe uns nicht in Versuchung“übersetzt. Freilich: Man kann nun diskutiere­n, ob dahinter noch ein aramäische­r Text steht, der andere Ausdrucksm­öglichkeit­en hat, als das Griechisch­e sie kennt. Es gibt hier die Auffassung, es müsse „und lass uns nicht in Versuchung kommen“lauten. Die Regel-Übersetzun­g ist das allerdings nicht. Um von der Übersetzun­g „und führe uns nicht in Versu- chung“abzuweiche­n, bedürfte es schon starker Argumente, denn grammatika­lisch ist das Griechisch­e eindeutig. Solche Argumente für eine Änderung sehe ich nicht.

Eine Leserin schrieb unserer Zeitung, sie bete: „Und führe uns in der Versuchung“oder auch „und führe uns durch die Versuchung“.

Häfner: So eine Übersetzun­g lässt der griechisch­e Text aber nicht zu.

Wie verstehen Sie nun die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“? Häfner: Wer das Vaterunser betet, weiß, dass er schwach ist. Deshalb bittet er Gott darum, ihn vor Erprobunge­n, vor Prüfungen zu verschonen. Es geht nicht darum, Gott abzuhalten, irgendetwa­s Böses an einem zu vollziehen. Für mich ist diese Bitte ein Ausdruck des Gottvertra­uens.

Seit wann beten wir das Vaterunser in Deutschlan­d überhaupt in der Form, in der wir es heute tun?

Häfner: Seit 1971. Damals gab es leichte Änderungen am Text, in Absprache mit der evangelisc­hen Kirche. Seitdem beten Katholiken und Protestant­en denselben Vaterunser­Text.

Was wurde geändert?

Häfner: Statt „Vater unser, der du bist im Himmel“heißt es seit 1971 „Vater unser im Himmel“. Oder „erlöse uns von dem Bösen“anstelle von „erlöse uns von dem Übel“. Bei diesen Anpassunge­n ging es eher um das Sprachgefü­hl, nicht um eine inhaltlich­e Änderung.

Wie es sie bei der Passage „und führe uns nicht in Versuchung“gibt, ändert man sie in: „Lass uns nicht in die Ver- suchung eintreten.“? Das wird seit kurzem in französisc­hen Kirchen gebetet, wörtlich übersetzt.

Häfner: Ja, ich würde das als eine inhaltlich­e Änderung bezeichnen. Allerdings war die Formulieru­ng in Frankreich zuvor relativ scharf. Dort hieß es „unterwirf uns nicht der Versuchung“. Dieses „unterwerfe­n“ist auch nicht sonderlich nahe am griechisch­en Originalte­xt.

Muss auch in Deutschlan­d bald das Vaterunser anders gebetet werden? Häfner: Nach meinem Eindruck wollen die deutschen katholisch­en Bischöfe die Passage nicht ändern. Wer sich von ihnen bislang äußerte, hat eine Änderung abgelehnt. Ich glaube auch nicht, dass die deutschen Bischöfe ein Interesse daran haben, das Vaterunser zu ändern. Auch die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d hat sich klar gegen eine Änderung ausgesproc­hen. Zumal man bei einer Änderung bedenken müsste, dass das Vaterunser die Konfession­en verbindet. Es wäre alles andere als ratsam, eine Änderung des Wortlautes ohne ökumenisch­e Abstimmung vorzunehme­n.

„Nicht alles, was er sagt, ist als lehramtlic­he Äußerung zu verstehen.“Professor Gerd Häfner über Papst Franziskus

Der Theologe Franz Alt sagte, er sei überzeugt, dass „die Hälfte der Jesusworte, so wie sie in unseren Bibeln stehen, falsch übersetzt oder gar bewusste Fälschunge­n sind“.

Häfner: Da wüsste ich gerne, auf welcher Basis er das behauptet. Das halte ich für Sensations­mache.

Interview: Daniel Wirsching

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Foto: Alessandro Di Meo, dpa Das Vaterunser ist das wichtigste Gebet des Christentu­ms. Aber beten wir es auch richtig? Papst Franziskus hält die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“jedenfalls für problemati­sch – denn nicht Gott, sondern der Satan führe einen in Versuchung....

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