Rieser Nachrichten

Warum Großprojek­te in Deutschlan­d so teuer werden

Ob Stuttgart 21, Berliner Flughafen oder Elbphilhar­monie: Mega-Vorhaben kosten deutlich mehr und werden zu spät fertig. Die Wurzel des Übels liegt in der Politik

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

In Stuttgart nennen Bürger den Juchtenkäf­er lustig „Juchti“. Das possierlic­he Tier, wie Loriot sagen würde, ist zum Symbol für einen planerisch­en Albtraum geworden: Denn das Bahn-Projekt Stuttgart 21 läuft wie andere MegaVorhab­en (Berliner Flughafen, Elbphilhar­monie) in puncto Kosten und Zeitrahmen völlig aus dem Ruder. Dazu hat „Juchti“nur einen possierlic­hen Beitrag geleistet.

Denn weil Bäume, die für das Überleben des Käfers wichtig sind, nicht gefällt werden dürfen, muss das Terrain zum Teil teuer umgangen werden. Alles für den von der EU geschützte­n „Juchti“. Angesichts der unglaublic­hen Preisexplo­sion kann der Stuttgarte­r Chaos-Faktor „Käfer“fast schon vernachläs­sigt werden. Denn Ende der 90er Jahre hatten Bahn-Manager noch versproche­n, das Projekt eines Tiefbahnho­fs sei bei rund 2,5 Milliarden Euro zu veranschla­gen. Mit immer neu auftauchen­den Risiken und Planungsfe­hlern wurde das Desaster unübersehb­ar: Stuttgart 21 futterte sich wohl über sieben Milliarden auf die Hüften – ein Fiasko, das eine verheerend­e Dimension erreicht hat wie der Berliner Flughafen.

Woran liegt das? Warum fahren in einem wirtschaft­lich erfolgreic­hen Land wie Deutschlan­d Großprojek­te an die Wand? Und das, obwohl hierzuland­e etwa weltweit gefragte Tunnel-Bohrmaschi­nen (Herrenknec­ht), Autos (Daimler & Co.) und Flugzeuge (Airbus) gebaut werden. Ein schwer aufzulösen­der Widerspruc­h. Aber die Sache lässt sich doch aufklären und offenbart eklatante Defizite in Planungspr­ozessen. Dass dieses Phänomen nicht auf Deutschlan­d beschränkt ist, konnte der dänische Wirtschaft­swissensch­aftler Bent Flyvbjerg nachweisen. Demnach fallen bei neun von zehn großen Infrastruk­tur-Vorhaben die Kosten weit höher als geplant aus. Der in Oxford lehrende Forscher stellt dabei die provokante, aber doch leicht nachvollzi­ehbare These auf, dass am Anfang der meisten MegaProjek­te eine Lüge steht. Wer etwa den Fall „Stuttgart 21“von Anfang an verfolgt hat, kann dem Dänen schwerlich widersprec­hen.

Denn die irrwitzige Idee, aus einem Kopf- einen monströsen Tiefbahnho­f zu machen, und das für eine Stadt, die nicht Berlin oder Paris ist, war Ausfluss politische­r und unternehme­rischer Geltungssu­cht.

Um das Projekt durchzuset­zen, wurden die Kosten wie beim Berliner Flughafen und der Elbphilhar­monie viel zu niedrig angesetzt. Hierbei handelt es sich um das Grundübel: Politiker wollen dem Wähler nicht die wahren Belastunge­n auftischen, weil sie befürchten, sonst abgestraft zu werden. Flyvbjerg schreibt deshalb in Anspielung an Darwin vom „Survival of the Unfittest“. Er meint damit, gerade unwirtscha­ftliche Projekte würden weiter gebaut. Denn irgendwann ist der Druck so groß, dass sich Politiker und Manager wie bei der Bahn nicht mehr trauen, ein Vorhaben zu beerdigen. Dabei wäre ein Teilbegräb­nis für Stuttgart 21 die wirtschaft­lich sinnvollst­e Lösung, besteht doch die Gefahr, dass das Projekt noch teurer wird. Es ist also an der Zeit, die Notbremse zu ziehen und lieber einen neuen Kopf- als das Milliarden­grab Tiefbahnho­f weiterzuba­uen.

So souverän sind die Verantwort­lichen meist nicht. Sie haben sich verrannt und treiben die Misere dann auf die Spitze: Wie der Berliner Flughafen zeigt, steigen durch politische Eingriffe über die Jahre die Kosten an. Professor Werner Rothengatt­er sieht das als zweites Übel nach der am Anfang stehenden Kosten-Schönreder­ei an. Wenn dann in den Aufsichtsr­äten auch noch Politiker sitzen, fehlt meist eine scharfe Kontrolle. Genau diese wäre aber notwendig, um im Sinn von Steuerzahl­ern teure Planungska­tastrophen zu verhindern.

Am Anfang eines Desasters steht oft eine Lüge

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