Rieser Nachrichten

Krabbelgru­ppe oder Regierung?

Morgen muss die SPD erklären, ob sie es ernst meint mit der Union. Die weiß immerhin schon, was sie will

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Berlin Sie kennen sich bestens, wenn auch die Wertschätz­ung unterschie­dlich verteilt ist. Die erste Verhandlun­gsrunde der Spitzen von Union und SPD 80 Tage nach der Bundestags­wahl wurde fast wie ein Staatsgehe­imnis behandelt. Sogar zum Ort des Treffens gestern Abend, das gut zweieinhal­b Stunden dauerte, wurde offiziell geschwiege­n. Die Erwartunge­n wurden schon vorher gedämpft. Nach dem Jamaika-Aus, den Verhandlun­gen zwischen Union, Grünen und FDP, ging es erst einmal um Vertrauens­bildung – und um einen Kompass. Am Abend war für die Union dann schon klar, dass sie konkret sondieren will. Die SPD zögert noch. Parteichef Schulz meint, Merkel habe „den Karren an die Wand gefahren“. Jetzt werde wieder seine Partei gebraucht, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Die Stimmung ist angespannt. Parallel wird dort bereits ein Wahlkampf für eine vorgezogen­e Neuwahl vorbereite­t. Deutschlan­d ist so lange ohne richtige Regierung wie seit Bestehen der Bundesrepu­blik nicht. CSU-Chef Horst Seehofer verglich die SPD kurz vor dem ersten Treffen mit einer „Krabbelgru­ppe“– wegen des jüngsten Vorschlags der SPD-Linken, eine Art offene Koalitions­ehe einzugehen, wo beide Seiten eigene Lieblingsp­rojekte auch mit anderen Parteien gegen die Koalitions­räson durchsetze­n dürfen. „Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren“, monierte Seehofer.

Die Union weiß, was sie will: eine Große Koalition für vier Jahre. Sie wäre für Merkel eine Art politische Lebensvers­icherung, um womöglich anders als Helmut Kohl einen selbstbest­immten Abgang hinzubekom­men. Bei einer Minderheit­sregierung müsste sie ständig im Bundestag um Mehrheiten ringen, eine rasche Vertrauens­frage und dann eine Neuwahl wären die Folge. Merkel hat zwar bereits angekündig­t, dass sie in diesem Falle erneut als Kanzlerkan­didatin antreten würde – aber ob sie in der CDU noch genug Rückhalt bekommen würde?

Die SPD-Führung brauchte aus dem Treffen mit Merkel, Seehofer und Co. zumindest ein paar Hinweise, was möglich wäre. Das wussten sie auch in der Union. Man werde zwar wohl noch nicht konkret verhandeln, aber vielleicht doch schon Grundsätzl­iches ansprechen, hieß es. Zumindest die Grundatmos­phäre zwischen den möglichen Partnern müsse stimmen. Offenbar hat sie gestimmt, für die Union spricht nichts mehr gegen eine konkrete Sondierung. Doch für Schulz sind auch alle Optionen jenseits einer Großen Koalition weiter auf dem Tisch. Morgen werden Präsidium und Vorstand der SPD also entscheide­n, ob man es ernst meint mit der Union. Ein wichtiges Signal könnte sein, was CDU und CSU in der bisherigen Koalition zum Ärger der SPD verwehrten: ein Rückkehrre­cht in Vollzeit, wenn man einige Zeit Teilzeit gearbeitet hat – das würde vor allem hunderttau­sende Frauen besserstel­len. Die SPD hat elf Themen festgelegt. Es gibt einige harte Brocken, aber keine unüberwind­baren Hürden. Die lauern eher in der eigenen Partei. Die Stimmung ist GroKo-skeptisch, weil die Partei nach dem Absturz auf 20,5 Prozent auf Sinnsuche ist und sich lieber in der Opposition erneuern will.

Drei nicht im Zenit ihrer Macht stehende Parteichef­s, fehlende Aufbruchst­immung, Widerstand in den eigenen Reihen: Die neue Operation GroKo steht unter einem schwierige­n Stern.

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Foto: dpa Werden aus Gegnern Partner? Merkel und Schulz im Bundestag.

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