Großbaustelle Bahn
Die Eröffnung der Strecke München–Berlin ist von Pannen begleitet, die Kosten von Stuttgart 21 explodieren. Und das ist nicht alles
Berlin Es sollte die größte Angebotsverbesserung in der Geschichte der Deutschen Bahn sein. Doch die vollmundigen Werbebotschaften von Bahnchef Richard Lutz sind nach dem Fehlstart der neuen Vorzeigestrecke Berlin–München verklungen. „Pannenserie“, „Chaos“schallt es dem Bahnchef entgegen. Erst stecken Ehrengäste fest, dann treffen Probleme mit der Leittechnik und den Zügen auch normale Kunden. Dabei geht fast unter, dass die meisten Züge dort planmäßig fahren und dass am Wochenende hunderte Flüge ausfielen, weil es schneite. BahnManagerin Birgit Bohle bemüht sich am Mittwoch, das Bild geradezurücken, sprach aber auch über Schwächen des eigenen Unternehmens. Derweil tagen die Aufsichtsräte zur Problembaustelle Stuttgart 21. Die Bahn steht vor vielen Herausforderungen.
● Schnellstrecke Gleich am ersten Tag hat sich die Bahn mit ihrer neuen Strecke München–Berlin blamiert. Kaum mit einem Gala-Abend eröffnet, wurde ein ICE mit Ehrengästen vom Zugsicherungssystem ETCS ausgebremst. Der Grund: Ein Raddurchmesser war in der Werkstatt falsch eingegeben worden. Das führte zu falschen Tempoberechnungen während der Fahrt, ETCS war verwirrt und ordnete eine Zwangsbremsung an. Auch andere Züge mussten ab Sonntag wegen diverser Fehler mit der Software langsamer fahren oder auf die alte Zugs- trecke ausweichen. Der Chef der Lokführergewerkschaft (GDL), Claus Weselsky, warf da der Bahn eine unzureichende Vorbereitung auf den Start der Neubaustrecke vor. „Unsere Lokführer tun ihr Bestes“, sagte Weselsky der FunkeMediengruppe. „Es hat aber keinen Probebetrieb für sie gegeben“, kritisierte er. „Sie fahren nur mithilfe der Instrukteure, die einen solchen Probebetrieb gefahren sind.“Hinzu kämen in der ICE-Baureihe 401 Probleme wie das Ausfallen des Displays im Führerstand. „Dann müssen die Züge angehalten werden“, sagte Weselsky. Das neue automatische Zugleitsystem ETCS sei zwar „ein funktionierendes System, aber wie so oft läuft manches nicht sofort beim Start reibungslos“.
Aus Sicht der Bahn sei ETCS als Ganzes nicht das Problem und anderswo erprobt. Es seien „verschiedene, kleine Ursachen“, die Kopfzerbrechen machten, sagte Fernverkehrschefin Birgit Bohle. Zusammen mit Experten des ETCS-Herstellers Alstom sei man den Fehlern auf der Spur.
● Verspätungen Die Bahn kann das häufigste Ärgernis für die Kunden nicht abstellen: verspätete Züge. Jeder vierte Fernzug war im Oktober zu spät – das heißt bei der Bahn: sechs Minuten oder mehr. Das lag auch an Herbststürmen und Baustellen, aber auch im Gesamtjahr wird die Bahn ihr Ziel von 81 Prozent pünktlicher Züge klar verfeh- len. Bahnchef Lutz steckt in der Zwickmühle, wie er selbst sagt. Die Bahn muss das Netz sanieren, aber Baustellen bringen Verspätungen. Das Langfristziel „85 Prozent pünktlich“gibt Lutz aber nicht auf.
● Milliardenprojekt Stuttgart 21
Tunnel in schwierigem Gestein, der Brandschutz im Tiefbahnhof, Eidechsen und Käfer, steigende Preise – es gibt viele Schwierigkeiten beim Bahnprojekt Stuttgart 21. Der Kopfbahnhof kommt weg, die unterirdische Durchgangsstation mit neuen Streckenabschnitten soll Fahrtzeiten verkürzen und Baugrund in der Stadt bringen. Seit 2010 wird gebaut – mindestens bis 2024. Rund 7,6 Milliarden Euro soll das inzwischen kosten, worüber der Aufsichtsrat am Mittwoch diskutierte. „Ich bin fest entschlossen, dieses Projekt zu Ende zu führen, und zwar zu einem guten Ende“, hat Lutz verkündet. Aus Sicht von Kritikern ist es unnötiger Luxus.
● Sanierungsstau Brücken, Weichen, Gleise – die Bahn hat jahrelang nicht genug saniert, nun stauen sich die Vorhaben. In diesem Jahr gab es im deutschen Netz bis zu 850 Baustellen gleichzeitig. Der Konzern investierte die Rekordsumme von 7,5 Milliarden Euro, davon 2,3 Milliarden Euro für den Neu- und Ausbau von Strecken. Der Großteil des Geldes kommt vom Bund – doch bis die Neubauten Effekte zeigen, dauert es Jahre. Gebunden an die Schiene ist die Bahn deutlich schwerfälliger als ihre Wettbewerber.
● Bus und Flugzeug Die Konkurrenz wächst. Seit einigen Jahren machen die Fernbusse der Bahn Beine – was Bahnkunden daran merken, dass es nun WLAN im ICE gibt und die Fahrkartenpreise nur noch wenig steigen. Nun dringt Easyjet auf den innerdeutschen Markt. Die Briten scheuen sich nicht, der Bahn über ihrer neuen Rennstrecke nach München Konkurrenz zu machen – zu Preisen ab 49 Euro. Und Flixbus ärgert die Bahn nun auch auf der Schiene. Die einzigen privaten Fernzüge Locomore und HKX sollen einen zweiten Frühling erleben, indem der Fernbus-Rivale die Fahrkarten verkauft und durch passende Busfahrten Fahrgäste bringt. In drei Monaten hat Flixbus 70000 Zugfahrkarten verkauft. Bernd Röder
und Burkhard Fraune, dpa