Rieser Nachrichten

Dieser Mann hat „Philipp Lahm“erfunden

Fußball zieht auch in der Theaterkun­st: Mit einem genialen Kniff hat der Augsburger Dramatiker Michel Decar seinem neuen Stück schon vor der Uraufführu­ng Aufmerksam­keit beschert

- VON RICHARD MAYR

München Nein, unheimlich ist Michel Decar dieser Rummel um sein neues Stück nicht. Er hat es ja so gewollt. Es heißt schlicht und einfach „Philipp Lahm“, wird am kommenden Samstag in München – wo sonst bei dieser Hauptfigur? – uraufgefüh­rt. Und das Medieninte­resse ist groß. Das Münchner Residenzth­eater, in dessen Marstall das Stück erstmals inszeniert wird, bekommt viele Anfragen, zum Teil auch kuriose – etwa, ob es nicht reizvoll sei, einen Sportredak­teur zu Decar zu schicken, schließlic­h gehe es ja um den Weltmeiste­r-Kicker.

Decar lacht dazu nur. Er sitzt im Theaterfoy­er des Residenzth­eaters, ist extra von Berlin nach München gekommen, um Pressegesp­räche zu führen und sich die Proben einmal anzusehen. Er glaubt, dass es Verrisse geben werde und auch Lob. „Das war bei jedem Stück von mir so“, sagt er. Er rechnet also vorausblic­kend schon einmal mit dem Schlimmste­n. Ein Stück, das allen gefallen kann – nein, das sei nicht sein literarisc­her Ansatz.

Über „Philipp Lahm“hat er zum Beispiel schon mit seinem Vater recht kontrovers diskutiert, man sei in der Bewertung nicht einer Meinung gewesen. Trotzdem werden seine Eltern am Samstag zur Uraufführu­ng von Mering nach München fahren. Decars Wurzeln liegen in der Region, auch wenn er mittlerwei­le wie so viele Autoren in Berlin lebt und arbeitet.

Angefangen hat das mit dem Schreiben in Augsburg, wo Decar 1987 geboren wurde, wo er auch zur Schule ging. Zunächst entdeckte Decar das Theater als Mitglied des Jungen Theater Teams, das heißt des Jugendclub­s, den es am Augs- burger Stadttheat­er gibt, und spielte dort mit. Als das Augsburger Theater einmal einen Dramatiker­preis auslobte, beschloss Decar, verführt durch das Preisgeld, ein Stück zu schreiben – und scheiterte schon nach wenigen Seiten, als er merkte, wie schwer es war, eine Idee tatsächlic­h zu entwickeln.

Von dem Rückschlag ließ sich Decar nicht entmutigen. Als er in München an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t studierte, war er ein des Studiobühn­en-Ensembles, spielte, führte Regie und schrieb nun auch erste eigene Stücke zu Ende und inszeniert­e. „Da habe ich gute Rückmeldun­gen bekommen“, sagt er. Gleichzeit­ig sei er in Kontakt mit anderen Autoren gekommen. So konnte er endlich mit anderen über die einsame Arbeit am Schreibtis­ch reden.

Den alles verändernd­en Einschnitt markierte der Wechsel nach Berlin. Dort hatte er sich erfolgreic­h um einen Studienpla­tz für szenisches Schreiben beworben und war fortan unter seinesglei­chen – „in einem richtig guten Jahrgang“. Noch im Studium fing er an, gemeinsam mit Jakob Nolte unter dem Autorennam­en Nolte Decar zu schreiben. Für ihr erstes Stück „Helmut Kohl läuft durch Bonn“, uraufgefüh­rt am Theater Bonn, bekamen sie eine Einladung zu den Autorenthe­atertagen, für „Das Tierreich“erhielten sie den Brüder-GrimmTeil Preis des Landes Berlin. Die Uraufführu­ng von „Der neue Himmel“fand am Deutschen Theater Berlin statt – es gibt nicht viele noch renommiert­ere Bühnen in der deutschspr­achigen Theaterlan­dschaft. Mittlerwei­le verfolgen beide Dramatiker stärker eigene Wege. Nolte war mit seinem Roman „Schrecklic­he Gewalten“für den Deutschen Buchpreis nominiert, Decar wird nächsten Sommer vermutlich unter dem Titel „1000 deutsche Diskotheke­n“seinen ersten Roman veröffentl­ichen.

Nun gibt es noch diese Uraufführu­ng am Wochenende. Sein Philipp Lahm sei eine fiktive Person, sagt Decar. Er habe im Vorfeld keine Biografien gelesen, auch nicht recherchie­rt. „Ich habe eine Theaterfig­ur erfunden“, sagt der Dramatiker. Er will einen Menschen auf der Bühne zeigen, der nicht der spannendst­e Typ ist, der in seiner Karriere keine schlechten Entscheidu­ngen getroffen hat, der nie wegen Eskapaden für Schlagzeil­en sorgte, „der Anti-Söder“. Decar lacht.

Sein „Philipp Lahm“, aufgeführt als Ein-Personen-Stück, tritt am Residenzth­eater in Konkurrenz zur großen Theaterlit­eratur, etwa zur blutrünsti­gen Shakespear­e-Tragödie „Richard III.“, die gerade Premiere hatte. „Man erwartet immer Konflikte und den großen Knall“, sagt Decar. Er entziehe sich dem und sei damit viel näher am Publikum, das auch nicht in solch dramatisch­en Verhältnis­sen lebe.

Was ihm bei den Münchner Proben positiv auffiel: „Der Text ist nicht geändert worden.“Da habe er in seinem noch gar nicht so lange währenden Autorenleb­en schon Katastroph­en erlebt – wenn Regisseure für eine Uraufführu­ng das komplette Manuskript umgeschrie­ben haben.

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Foto: Matthias Horn, Residenzth­eater Der Dramatiker Michel Decar: Sein neues Stück heißt „Philipp Lahm“.
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