Rieser Nachrichten

Den Siechenden zur Hilf’

Die Geschichte unserer modernen Krankenhäu­ser und Seniorenhe­ime geht auf Spitäler zurück, die ihre Wurzeln schon im Mittelalte­r hatten. Eine Zeitreise durch die Jahrhunder­te

- VON ADALBERT RIEHL

Landkreis Was hatte die Edelfrau Winpurc wohl dazu bewogen, vor vermutlich 1100 Jahren in Wemding ein Spital zu gründen? Wir wissen es heute nicht mehr. Allerdings war es im Mittelalte­r und in der frühen Neuzeit gar nicht so unüblich, dass Persönlich­keiten zur „immerwähre­nden Erinnerung“oder für „ewige Jahrtage“einen Gutteil ihres Vermögens hingaben zum Zwecke der Gemeinnütz­igkeit. Oft zerstörten Kriege, Neuordnung der Grundabgab­en, Säkularisa­tion oder Geldentwer­tung „für immer und ewig“diese Stiftungen. Nicht so im Falle der Edelfrau Winpurc. Ihre Sozialeinr­ichtungen überdauert­en Kriege und Katastroph­en – in Wemding ebenso wie in Nördlingen, Oettingen, Donauwörth und Rain.

Nördlingen­s Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel sprach jetzt beim „Verein für ambulante Krankenpfl­ege Wemding“über die Geschichte der Spitäler in der Region. Spitäler gehörten schon im Mittelalte­r zur Infrastruk­tur einer Stadt, sie sorgten für Alte, Witwen und Waisen. Und sie boten Unterkunft für Pilger, hatten eigene Gotteshäus­er und waren nahezu autarke Wirtschaft­sbetriebe.

In Nördlingen steht das Spital für eine Basis des mittelalte­rlichen und frühneuzei­tlichen Sozialwese­ns. Gegründet an einer Eger-Furt teilt es sich – stadtauswä­rts gesehen – in den geistlich-karitative­n Bereich rechter Hand und den gewerblich­en und landwirtsc­haftlichen Teil zur linken Seite. Mit der Stadterwei­terung (1327) lag das Spital innerhalb der heutigen Stadtmauer. „St. Johannis“für Patienten mit ansteckend­en Krankheite­n und Aussatz wurde vor die Stadtmauer verlegt. Wohl schon um 1200 errichtet, wurde das Spital erstmals 1233 erwähnt – und zwar in der ältesten im Stadtarchi­v verwahrten Urkunde. König Heinrich VII. bestätigte darin eine Stiftung an das „Spital des Heiligen Geistes“. Papst Gregor IX. nahm die Einrichtun­g im Jahr 1237 in seinen Schutz. Bald nach 1250 verloren die bisher leitenden geistliche­n Brüder die Verwaltung an einen vom Rat der Stadt bestellten weltlichen Spitalmeis­ter.

Bis zur Reformatio­n war der Grundbesit­z durch viele Schenkunge­n bedeutend mehr geworden. Der Spitalmeis­ter waltete im 17. Jahrhunder­t in 50 Orten über Abgabepfli­chtige. „Bettstatt-Pfründen“waren mit der Auflage verbunden, dass der Stifter die Personen benennen durfte, die in den Genuss von Kost und Wohnung kamen. Pfründner konnten Einzelpers­onen, Eheleute, Ledige, Verwitwete, Einheimisc­he, Auswärtige, Bürger und Adelige sein, außerdem Alte, Arme und Waisenkind­er aus dem Ries und der Umgebung. Und die Höhe der Stiftung bestimmte die Güte der Versorgung – der Speiseplan war für Ober-, Mittel- und Unterpfrün­dner unterschie­dlich.

Das Ende des Spitals war ein neuer Anfang in Etappen: 1806 bis 1819 war der Stadt vom Königreich Bayern, dem es nunmehr angehörte, die Verwaltung entzogen. Aus 900 Stiftungen gingen 1828 die „Vereinigte­n Wohltätigk­eitsstiftu­ngen“hervor, 1829 entstand im Spital die „Dienstbote­nheilansta­lt“– dem Vorläufer des 1887/88 im Rückgebäud­e geschaffen­en Krankenhau­ses. Ab 1954 wurde ein neues Zeitalter eingeläute­t – mit dem Bau des Krankenhau­ses am Stoffelsbe­rg.

Die ehemals Freie Reichsstad­t Bopfingen weist viele Parallelen zu Nördlingen auf. Erhalten ist noch das „Seelhaus“, ein Fachwerkba­u von 1505, Teil des Heilig-Geist-Spitals. Seit 1987 ist hier das „Haus der Geschichte“untergebra­cht. Erstmals erwähnt ist das stets durch die Stadt verwaltete Spital im Jahr 1371. Das Sondersiec­henhaus vor den Toren bestand mindestens seit 1307.

Das 1420 in Donauwörth gegründete Spital- und Pilgerhaus wurde 1491 in ein Spital umgewandel­t. Um 1860 gibt es eine Darstellun­g der Kapellstra­ße mit den beiden Einrichtun­gen: Deutschord­enshaus und Bürgerspit­al mit Kirche. Das erstere wurde im frühen 19. Jahrhunder­t aufgelöst. Das bürgerlich­e Spital unter der Trägerscha­ft der Stadt be- steht noch. Auf die Agenda hat der Stadtrat einen Neubau außerhalb der Altstadt gesetzt. Der historisch­e Standort soll gleichzeit­ig beibehalte­n werden.

Einen langen Weg und einiger Verhandlun­gen bedurfte es, bis in der Stadt Rain ab 1468 das Spital gebaut wurde. Die Äbtissin des Klosters Niederschö­nenfeld gab ihren Widerstand erst 1463 auf – gegen die Zusage des Patronates für ihren Orden. Niklas Synderlin und Niklas Grünwald legten mit namhaften Stiftungen den Grundstock. Wohl bis zu 24 Insassen konnte die Stiftung ernähren, bis ins 20. Jahrhunder­t konnte es mit den Zinserträg­en gut leben. Die Inflation von 1923 machte dem allerdings ein Ende.

Spitäler, Siechen- und Leprosenhä­user in doppelter Ausgabe – das ist die Besonderhe­it von Oettingen. Ausgangspu­nkt war die Teilung der Residenzst­adt im frühen 15. Jahrhunder­t. Nicht nur Schule oder Kirche waren nun zweifach vorhanden, sondern auch die Sozialeinr­ichtungen. Später kam auch noch die Glaubenssp­altung dazu. Erstmals erwähnt ist in Oettingen ein Spital anno 1242, neben dem Unteren Schloss. Mit dem Abbruch der alten Burg und den Deutschord­ensgebäude­n (um 1850) wurde dieses Spital abgetragen. Auch weitere „Sozialgebä­ude“sind verschwund­en. Erhalten sind die 1502 eingeweiht­e Leonhardsk­apelle mit dem „oberen Siechenhau­s“und die Anna-Kapelle mit dem Leprosenha­us jenseits der Wörnitz. Die 1945 beschädigt­e Kapelle wurde vereinfach­t wieder hergestell­t, das Siechenhau­s für eine Schwestern­schule umgestalte­t.

Sponsel beendete seine Zeitreise in Wemding, das sich bei Stadtgrund­riss, Lage des Spitals und der „Siechenhäu­ser“mit Nördlingen vergleiche­n lässt. Und da ist noch die Kaiserurku­nde von 898, in der Arnulf bestätigte, dass Winpurc ihren Hof zu Nördlingen mit dem Kloster St. Emmeram in Regensburg gegen den Ort Wemding eintauscht. Winpurc wird die Gründung des Spitals im Jahre 917 zugeschrie­ben. Der Chronist des 19. Jahrhunder­ts, Pfarrer Joseph Laber, schreibt jedoch, dass zu dieser Tradition „nicht viel Zuverlässi­ges auf uns gekommen“ist. Man gebe Winpurc der Überliefer­ung nach jedoch die Ehre, das Spitalhaus mit Kirchlein erbaut zu haben. Sponsel teilt diese Zweifel. Unter der Herrschaft der Oettinger sind im 14. und 15. Jahrhunder­t eine Reihe von Zustiftung­en erfolgt, ab 1380 hat das Spital auf jeden Fall bestanden.

Eine Zäsur folgte mit dem Verkauf von Wemding mit Laub und Teilen von Amerbach und Fünfstette­n an Herzog Ludwig „den Reichen“(1467). 1710 erfolgte der Neubau des Spitalpfar­rhofs und 1722 die Spitalverg­rößerung wegen der stark gewachsene­n Pfründnerz­ahl. 1909/10 folgte eine Baumaßnahm­e, um in einem Teil des Spitals das städtische Krankenhau­s einzuricht­en. Vier Frauen aus dem Augsburger Mutterhaus der Barmherzig­en Schwestern traten am 29. März 1910 ihren Dienst an. Zur gleichen Zeit war der Verein für Ambulante Krankenpfl­ege gegründet worden. Durch die Initiative der Ärzte Dr. Engelbert Jakob Bayr und Karl Josef Suess gelang es nach dem Ersten Weltkrieg für Wemding und Umgebung eine fast vollständi­ge Krankenver­sorgung zu gewährleis­ten.

20 Altenheimp­lätze im Erdgeschos­s und 42 Krankenbet­ten im Obergescho­ss gab es nach 1955. Die Neuglieder­ung der oberen Stockwerke schuf 1968 bis 1971 ein zeitgemäße­s Krankenhau­s der Grundverso­rgung. Doch das Ende besiegelte­n die Krankenkas­sen, als sie dem Wemdinger Haus zum Jahresende 1981 den Finanzieru­ngsstatus absprachen. Das Spital kehrte zu seinen Wurzeln – der Altenpfleg­e – zurück. Die „Vinzentine­rinnen“wurden nach knapp 75 Jahren ins Mutterhaus zurückgeru­fen. Mit dem Weggang der Ordensfrau­en wurde am 22. März 1984 der Krankenpfl­egeverein gegründet. Schließlic­h wurde das Spitalvier­tel in seiner heutigen Form geschaffen: Der Kreis eröffnete 1988 das Altenund Pflegeheim mit 80 Plätzen, die Stiftung richtete nach 1990 18 Wohneinhei­ten ein.

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Foto: Liebenswer­tes Wemding/Georg Schlecht Durch die Initiative der Ärzte Dr. Engelbert Jakob Bayr (im Foto) und Karl Josef Suess gelang es nach dem Ersten Weltkrieg für Wemding und Umgebung eine fast vollständi­ge Krankenver­sorgung zu gewährleis­ten.

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