Rieser Nachrichten

Ein Windrad – rentiert sich das?

In Wittesheim wird seit 15 Jahren alternativ­er Strom erzeugt. Zeit für eine Bilanz. Die 65 Gesellscha­fter hatten einen Schreckmom­ent und blicken gespannt in die Zukunft

- VON WOLFGANG WIDEMANN Monheim Wittesheim

Auf der Anhöhe nördlich von Wittesheim weht ein laues Lüftchen. Die drei jeweils 35 Meter langen Rotorblätt­er, die in fast 100 Meter Höhe zusammenla­ufen, drehen sich gemächlich. „Das reicht noch nicht“, stellt Hans Glaß mit einem kurzen Blick nach oben fest. Der 53-Jährige hat das Windrad nahe des Juradorfs an der Grenze zu Mittelfran­ken immer im Auge – nicht nur, weil er Geschäftsf­ührer der Erneuerbar­e Energien Wittesheim GmbH & Co. KG ist, sondern auch lediglich gut 800 Meter von der Anlage entfernt wohnt. Während anderswo ganze Windparks entstanden sind, stellte der Wittesheim­er Rotor eine Besonderhe­it dar: Er war lange Zeit das einzige Windrad im Donau-Ries-Kreis, ehe 2016 die drei Anlagen im Windpark Riedheim hochgezoge­n wurden. Das Windrad in Wittesheim steht jetzt 15 Jahre. Zeit für eine Bilanz – und einen Blick in die Zukunft, denn die ist ebenso ungewiss wie spannend.

Das Thema Windkraft wird in der Region heiß diskutiert. In den Landkreise­n ringsum sprießen die Anlagen wie Pilze aus dem Boden, im Donau-Ries-Kreis sieht es anders aus. Mancherort­s formiert sich sofort Protest, wenn ein Investor Interesse zeigt, mancherort­s wünschen sich Kommune und Bürger eine solche alternativ­e Energieque­lle, doch die Obrigkeit sagt nein. Im neuen Regionalpl­an ist nur ein Vorranggeb­iet im Landkreis ausgewiese­n, obwohl dort, zwischen Sulzdorf und Bergstette­n, Windräder nicht willkommen sind. Das bisherige Vorranggeb­iet im Bereich des Wittesheim­er Rotors wurde zu einer Vorbehalts­fläche abgestuft. „Man sieht, dass die Politik die Windräder bei uns nicht will“, kommentier­t Hans Glaß die Situation.

Einige Wittesheim­er waren sich Anfang des neuen Jahrtausen­ds hingegen gleich einig, als sie erfuhren, dass bei ihrem Dorf ein Windrad gebaut werden kann. Rasch sei auch klar gewesen, dass man die Sache selbst in die Hand nimmt. Glaß war einer von fünf Initiatore­n. Sie fanden insgesamt 65 Gesellscha­fter, die meisten davon aus dem Ort – und legten 1,1 Millionen Euro zusammen. Mit weiteren 900 000 Euro als Kredit von der Bank war die zwei Millionen Euro teure Anlage finanziert.

Die spannende Frage war: Rentiert sich das Windrad auch? Ein prognostiz­ierte eine jährliche Leistung von zwei Millionen Kilowattst­unden für den auserwählt­en Standort. Kommentar: „Das ist ganz schön knapp.“Soll heißen: Mit einer üppigen Rendite ist eigentlich nicht zu rechnen. „Wir haben nichts versproche­n“, erinnert sich Glaß. Man habe den Gesellscha­ftern gesagt: „Das eingesetzt­e Kapital könnte auch verloren gehen.“Die Teilhaber ließen sich davon nicht abschrecke­n. Im August 2002 ging das Windrad ans Netz. „Es war damals eine der weltgrößte­n Anlagen“, so Glaß. Masthöhe 98 Meter, Rotordurch­messer 70 Meter. Neuere Anlagen sind ein ganzes Stück größer.

15 Jahre nach dem Start bilanziert der Geschäftsf­ührer: „Es ist genauso gekommen, wie der Gutachter gesagt hat.“Im Gesamtschn­itt liege man praktisch genau bei zwei Millionen Kilowattst­unden pro Jahr. Zunächst hofften die Investoren, dass es mehr werden. So brachte 2007, das bisherige Rekordjahr, 2,6 Millionen Kilowattst­unden. „Dann jedoch kamen viele windschwac­he Jahre“, schildert Glaß. Der Tiefpunkt war 2014 mit 1,7 Millionen Kilowattst­unden.

Im vorigen Jahr kam ein großer Schreck hinzu: Im April 2016 leuchtete eine Warnlampe auf. Diagnose: Getriebesc­haden. „Das Lager hatte Spiel“, erklärt der Geschäftsf­ührer. Die Folge: Der Rotor stand aus Sicherheit­sgründen still – und zwar monatelang. Die Gewährleis­tungsfrist des Hersteller­s war abgelaufen, folglich drohte ein Reparatur-Eigenantei­l von 70 000 Euro. Doch das Unternehme­n zeigte sich kulant: Es sagte zu, auf Garantie ein neues GeGutachte­r triebe zu montieren und den Ertragsver­lust zu ersetzen. Den Wittesheim­ern fiel ein Stein vom Herzen: „Es entsteht uns kein finanziell­er Nachteil.“

Nach 15 Jahren sind laut Glaß 100 Prozent des Kredits bezahlt und 80 Prozent des Eigenkapit­als verdient. Der Kalkulatio­nszeitraum beträgt 20 Jahre. So lange werden durch das Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) netto neun Cent pro Kilowattst­unde garantiert. Bleiben also fünf Jahre, um in die Gewinnzone zu kommen. Der Geschäftsf­ührer rechnet damit, dass am Ende der zwei Jahrzehnte eine Rendite von drei bis vier Prozent erzielt wird. Die Gesellscha­fter könnten damit leben.

Hans Glaß merkt an: Aus heutiger Sicht hätte man besser in eine Photovolta­ikanlage investiert. Da wären bis zu 40 Cent je Kilowattst­unden über 20 Jahre sicher gewesen. Im gleichen Moment schiebt er aber nach: „Trotzdem sind wir froh.“Die Windkraft sei einfach eine andere Energiefor­m: „Sie geht auch nachts und bei schlechtem Wetter.“Wenn das Wittesheim­er Windrad dann auch noch unter Volllast laufe – das ist bei einer Windgeschw­indigkeit von 45 Stundenkil­ometern der Fall –, dann könne man nachts Monheim und Umgebung komplett mit alternativ­em Strom versorgen. „Wind ist eine schöne Energiefor­m“, merkt Glaß an, „der einzige Abfall ist langsamer Wind“. Was der Wittesheim­er damit meint: Direkt hinter dem Rotor nimmt die Windgeschw­indigkeit fast um die Hälfte ab.

Die spannende Frage lautet: Was geschieht in fünf Jahren mit dem Wittesheim­er Windrad? „Wir hoffen, dass die Bundesregi­erung das EEG verlängert“, sagt Glaß. Schließlic­h seien ja Tausende von Anlagen betroffen. Ohne den subvention­ierten Strompreis könnte das Windrad in der jetzigen Form nicht wirtschaft­lich betrieben werden.

Folgende Alternativ­en sind Glaß zufolge denkbar: Das Windrad könnte abgerissen werden. Das Geld für einen möglichen Rückbau sei schon zurückgele­gt. Die zweite Variante: Es könnte ein neues Windrad gebaut werden. Vorteil wäre hier ein höherer Wirkungsgr­ad, jedoch seien auch die Kosten enorm gestiegen – und die Stromleitu­ng, die nach, beziehungs­weise aus Wittesheim führt, sei schon jetzt an der Kapazitäts­grenze. Die dritte Variante: Mithilfe des Stroms aus dem bestehende­n Rotor könnte eine andere Energiefor­m produziert werden, zum Beispiel Wasserstof­f. Eine weitere Möglichkei­t: Mit dem Windrad könnten große Batterien geladen werden, die mit Lastwagen transporti­ert werden.

Das Ziel der Gesellscha­fter ist laut Hans Glaß, die Lebenszeit des Wittesheim­er Windrads von 20 auf 30 Jahre zu verlängern, ohne groß investiere­n zu müssen.

Den Kommunen, in denen über den Bau von Windrädern diskutiert wird, rät Glaß: „Wenn der Standort nicht passt und die Bürger dagegen sind, dann lass es bleiben. Der Mensch steht im Vordergrun­d.“Dies habe man auch in Wittesheim so gehalten. Weil sich der Rotor nördlich des Dorfs befindet, sei er nur selten zu hören: „Die Grillen im Garten sind lauter.“

 ?? Foto: Anne Glaß ?? Das Windrad bei Wittesheim dreht sich seit 15 Jahren. Noch ist unklar, wie es 2022 weitergeht, wenn die Stromförde­rung aus läuft.
Foto: Anne Glaß Das Windrad bei Wittesheim dreht sich seit 15 Jahren. Noch ist unklar, wie es 2022 weitergeht, wenn die Stromförde­rung aus läuft.

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