Ein Windrad – rentiert sich das?
In Wittesheim wird seit 15 Jahren alternativer Strom erzeugt. Zeit für eine Bilanz. Die 65 Gesellschafter hatten einen Schreckmoment und blicken gespannt in die Zukunft
Auf der Anhöhe nördlich von Wittesheim weht ein laues Lüftchen. Die drei jeweils 35 Meter langen Rotorblätter, die in fast 100 Meter Höhe zusammenlaufen, drehen sich gemächlich. „Das reicht noch nicht“, stellt Hans Glaß mit einem kurzen Blick nach oben fest. Der 53-Jährige hat das Windrad nahe des Juradorfs an der Grenze zu Mittelfranken immer im Auge – nicht nur, weil er Geschäftsführer der Erneuerbare Energien Wittesheim GmbH & Co. KG ist, sondern auch lediglich gut 800 Meter von der Anlage entfernt wohnt. Während anderswo ganze Windparks entstanden sind, stellte der Wittesheimer Rotor eine Besonderheit dar: Er war lange Zeit das einzige Windrad im Donau-Ries-Kreis, ehe 2016 die drei Anlagen im Windpark Riedheim hochgezogen wurden. Das Windrad in Wittesheim steht jetzt 15 Jahre. Zeit für eine Bilanz – und einen Blick in die Zukunft, denn die ist ebenso ungewiss wie spannend.
Das Thema Windkraft wird in der Region heiß diskutiert. In den Landkreisen ringsum sprießen die Anlagen wie Pilze aus dem Boden, im Donau-Ries-Kreis sieht es anders aus. Mancherorts formiert sich sofort Protest, wenn ein Investor Interesse zeigt, mancherorts wünschen sich Kommune und Bürger eine solche alternative Energiequelle, doch die Obrigkeit sagt nein. Im neuen Regionalplan ist nur ein Vorranggebiet im Landkreis ausgewiesen, obwohl dort, zwischen Sulzdorf und Bergstetten, Windräder nicht willkommen sind. Das bisherige Vorranggebiet im Bereich des Wittesheimer Rotors wurde zu einer Vorbehaltsfläche abgestuft. „Man sieht, dass die Politik die Windräder bei uns nicht will“, kommentiert Hans Glaß die Situation.
Einige Wittesheimer waren sich Anfang des neuen Jahrtausends hingegen gleich einig, als sie erfuhren, dass bei ihrem Dorf ein Windrad gebaut werden kann. Rasch sei auch klar gewesen, dass man die Sache selbst in die Hand nimmt. Glaß war einer von fünf Initiatoren. Sie fanden insgesamt 65 Gesellschafter, die meisten davon aus dem Ort – und legten 1,1 Millionen Euro zusammen. Mit weiteren 900 000 Euro als Kredit von der Bank war die zwei Millionen Euro teure Anlage finanziert.
Die spannende Frage war: Rentiert sich das Windrad auch? Ein prognostizierte eine jährliche Leistung von zwei Millionen Kilowattstunden für den auserwählten Standort. Kommentar: „Das ist ganz schön knapp.“Soll heißen: Mit einer üppigen Rendite ist eigentlich nicht zu rechnen. „Wir haben nichts versprochen“, erinnert sich Glaß. Man habe den Gesellschaftern gesagt: „Das eingesetzte Kapital könnte auch verloren gehen.“Die Teilhaber ließen sich davon nicht abschrecken. Im August 2002 ging das Windrad ans Netz. „Es war damals eine der weltgrößten Anlagen“, so Glaß. Masthöhe 98 Meter, Rotordurchmesser 70 Meter. Neuere Anlagen sind ein ganzes Stück größer.
15 Jahre nach dem Start bilanziert der Geschäftsführer: „Es ist genauso gekommen, wie der Gutachter gesagt hat.“Im Gesamtschnitt liege man praktisch genau bei zwei Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Zunächst hofften die Investoren, dass es mehr werden. So brachte 2007, das bisherige Rekordjahr, 2,6 Millionen Kilowattstunden. „Dann jedoch kamen viele windschwache Jahre“, schildert Glaß. Der Tiefpunkt war 2014 mit 1,7 Millionen Kilowattstunden.
Im vorigen Jahr kam ein großer Schreck hinzu: Im April 2016 leuchtete eine Warnlampe auf. Diagnose: Getriebeschaden. „Das Lager hatte Spiel“, erklärt der Geschäftsführer. Die Folge: Der Rotor stand aus Sicherheitsgründen still – und zwar monatelang. Die Gewährleistungsfrist des Herstellers war abgelaufen, folglich drohte ein Reparatur-Eigenanteil von 70 000 Euro. Doch das Unternehmen zeigte sich kulant: Es sagte zu, auf Garantie ein neues GeGutachter triebe zu montieren und den Ertragsverlust zu ersetzen. Den Wittesheimern fiel ein Stein vom Herzen: „Es entsteht uns kein finanzieller Nachteil.“
Nach 15 Jahren sind laut Glaß 100 Prozent des Kredits bezahlt und 80 Prozent des Eigenkapitals verdient. Der Kalkulationszeitraum beträgt 20 Jahre. So lange werden durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) netto neun Cent pro Kilowattstunde garantiert. Bleiben also fünf Jahre, um in die Gewinnzone zu kommen. Der Geschäftsführer rechnet damit, dass am Ende der zwei Jahrzehnte eine Rendite von drei bis vier Prozent erzielt wird. Die Gesellschafter könnten damit leben.
Hans Glaß merkt an: Aus heutiger Sicht hätte man besser in eine Photovoltaikanlage investiert. Da wären bis zu 40 Cent je Kilowattstunden über 20 Jahre sicher gewesen. Im gleichen Moment schiebt er aber nach: „Trotzdem sind wir froh.“Die Windkraft sei einfach eine andere Energieform: „Sie geht auch nachts und bei schlechtem Wetter.“Wenn das Wittesheimer Windrad dann auch noch unter Volllast laufe – das ist bei einer Windgeschwindigkeit von 45 Stundenkilometern der Fall –, dann könne man nachts Monheim und Umgebung komplett mit alternativem Strom versorgen. „Wind ist eine schöne Energieform“, merkt Glaß an, „der einzige Abfall ist langsamer Wind“. Was der Wittesheimer damit meint: Direkt hinter dem Rotor nimmt die Windgeschwindigkeit fast um die Hälfte ab.
Die spannende Frage lautet: Was geschieht in fünf Jahren mit dem Wittesheimer Windrad? „Wir hoffen, dass die Bundesregierung das EEG verlängert“, sagt Glaß. Schließlich seien ja Tausende von Anlagen betroffen. Ohne den subventionierten Strompreis könnte das Windrad in der jetzigen Form nicht wirtschaftlich betrieben werden.
Folgende Alternativen sind Glaß zufolge denkbar: Das Windrad könnte abgerissen werden. Das Geld für einen möglichen Rückbau sei schon zurückgelegt. Die zweite Variante: Es könnte ein neues Windrad gebaut werden. Vorteil wäre hier ein höherer Wirkungsgrad, jedoch seien auch die Kosten enorm gestiegen – und die Stromleitung, die nach, beziehungsweise aus Wittesheim führt, sei schon jetzt an der Kapazitätsgrenze. Die dritte Variante: Mithilfe des Stroms aus dem bestehenden Rotor könnte eine andere Energieform produziert werden, zum Beispiel Wasserstoff. Eine weitere Möglichkeit: Mit dem Windrad könnten große Batterien geladen werden, die mit Lastwagen transportiert werden.
Das Ziel der Gesellschafter ist laut Hans Glaß, die Lebenszeit des Wittesheimer Windrads von 20 auf 30 Jahre zu verlängern, ohne groß investieren zu müssen.
Den Kommunen, in denen über den Bau von Windrädern diskutiert wird, rät Glaß: „Wenn der Standort nicht passt und die Bürger dagegen sind, dann lass es bleiben. Der Mensch steht im Vordergrund.“Dies habe man auch in Wittesheim so gehalten. Weil sich der Rotor nördlich des Dorfs befindet, sei er nur selten zu hören: „Die Grillen im Garten sind lauter.“