Rieser Nachrichten

Die Partystimm­ung ist längst verflogen

Die Euphorie zu Beginn der Jamaika-Sondierung­en ist fast vergessen. Deutschlan­d sucht bis heute eine Regierung

- VON MARTIN FERBER Sonntag, 24. September Montag, 25. September Mittwoch, 18. Oktober Dienstag, 24. Oktober Montag, 30. Oktober Donnerstag, 16. November Sonntag, 19. November Montag, 20. November Freitag, 24. November Donnerstag, 30. November Donnerstag, 7

Berlin Die Bescherung fällt aus. Viele bunt verpackte Geschenke legt das Christkind auch in diesem Jahr unter den Weihnachts­baum – doch eine neue Regierung ist nicht dabei. Die Sondierung­en über die Bildung einer Jamaika-Koalition sind gescheiter­t, ob es zur Neuauflage einer Großen Koalition kommt, ist offener denn je. Dabei begann im Herbst alles so hoffnungsv­oll.

● Schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale kündigt die SPD an, in die Opposition zu gehen. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenar­beit mit der CDU/CSU“, sagt Parteichef Martin Schulz. Die FDP feiert dagegen ihren Wiedereinz­ug in den Bundestag. Parteichef Christian Lindner twittert: „Die Menschen haben uns nicht als eine Form von Dankeschön gewählt, sondern aus dem Wunsch heraus, dass sich etwas verändert.“

● Die Sozialdemo­kraten bleiben bei ihrem Nein. „Die SPD wird in keine Große Koalition eintreten“, sagt Martin Schulz. Damit ist, weil die Union Koalitione­n mit der AfD wie mit der Linken ausschließ­t, rechnerisc­h nur noch die Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen möglich. „Es ist wichtig, dass Deutschlan­d eine stabile, eine gute Regierung bekommt“, sagt CDU-Chefin Angela Merkel und kündigt an, mit den Liberalen und den Grünen Gespräche zu führen. Allerdings erst nach den Landtagswa­hlen in Niedersach­sen am 15. Oktober.

● Es geht los. CDU, CSU, FDP und die Grünen nehmen Kurs in Richtung Jamaika und treffen sich zu den ersten Sondierung­sgespräche­n. Von „konstrukti­ven und kreativen Gesprächen“sprechen hinterher die Generalsek­retäre aller vier Parteien. Er habe „ein gutes Gefühl“, dass es am Ende „eine gute Regierung“geben werde, sagt CDU-Generalsek­retär Peter Tauber.

● „Zwischener­gebnis heute – das KÖNNTE eine finanzpoli­tische Trendwende werden“, schreibt FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Der Abbau des „Soli“sei beschlosse­ne Sache. Doch sein Jubel kommt zu früh. Die Union wie die Grünen bestreiten, dass es bereits eine Einigung gebe.

● Es knirscht gewaltig, die größten Knackpunkt­e sind die Migration, der Klimaschut­z, die Finanzen und Europa. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und FDP-Chef Christian Lindner attackiere­n die Grü- nen. Bei einem Krisentref­fen der Verhandlun­gsführer ruft Angela Merkel die Streithähn­e zur Mäßigung auf. Doch bei zahlreiche­n Politikfel­dern liegen die Parteien weit auseinande­r. Die Chancen seien „unveränder­t bei 50:50“, sagt Lindner.

● Finale. Die große Runde kommt zu ihrer entscheide­nden Sitzung zusammen. Auf dem Tisch liegt ein 62-seitiges Papier mit zahllosen ungeklärte­n Fragen. Mehrfach wird die Sitzung unterbroch­en, die Verhandlun­gsführer treffen sich im kleinen Kreis, doch man kommt nicht von der Stelle. Aber noch will niemand für ein Scheitern verantwort­lich sein – um 4.30 Uhr werden die Gespräche unterbroch­en. „Dieses besondere Projekt darf nicht an ein paar Stunden scheitern“, sagt Christian Lindner.

● Ab mittags wird wieder verhandelt. Christian Lindner setzt ein Ultimatum: „Um 20 Uhr ist Schluss.“Doch auch da ist noch nicht Schluss, die Delegation­en einigen sich darauf, die Uhren anzuhalten. Nach vier weiteren Stunden erklärt Christian Lindner kurz vor Mitternach­t die Gespräche für gescheiter­t. „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“Union und Grüne sind entsetzt, man sei kurz vor einer Einigung gewesen.

● SPD-Chef Martin Schulz verkündet, dass seine Partei „für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“stehe. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier trifft sich mit Angela Merkel und appelliert in einem eindringli­chen Aufruf an alle Parteien, alle Möglichkei­ten zur Bildung einer Regierung auszuloten.

● Nach einem langen Gespräch mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue am Abend zuvor erklärt sich die SPD bereit, Gespräche „mit anderen Parteien“zur Bildung einer Regierung zu führen, allerdings gebe es „keinen Automatism­us in irgendeine Richtung“.

● Bei einem Gespräch mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier vereinbare­n Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, in einem Gespräch ausloten zu wollen, ob und unter welchen Bedingunge­n man Sondierung­en über eine wie auch immer geartete Regierungs­bildung aufnehmen wolle. In der SPD regt sich erster Widerstand gegen eine Neuauflage der GroKo.

● Auf einem Parteitag spricht sich nach fast fünfstündi­ger hitziger Debatte doch noch eine Mehrheit für Gespräche mit der Union aus. Diese sollen allerdings „ergebnisof­fen“geführt werden. Auf einem Sonderpart­eitag im Januar wird entschiede­n, ob auf der Grundlage dieser Gespräche offizielle Verhandlun­gen aufgenomme­n werden, am Ende muss die Basis einem Koalitions­vertrag zustimmen.

● Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz sowie die Fraktionsc­hefs Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles treffen sich zu einem ersten Gespräch.

● Bei einem weiteren Treffen legen die Parteiund Fraktionsc­hefs von CDU, CSU und SPD das weitere Verfahren fest: Die Sondierung­en finden vom 7. bis 12. Januar statt, auf der Agenda stehen 15 Themengebi­ete. Auf einem Sonderpart­eitag in Bonn am 21. Januar will die SPD entscheide­n, ob sie auf der Grundlage der Sondierung­en offizielle Verhandlun­gen mit der Union aufnimmt. Diese könnten bis Ende März abgeschlos­sen werden. Danach müssen die SPD-Mitglieder den Ergebnisse­n der Verhandlun­gen zustimmen. Scheitern die Koalitions­verhandlun­gen, gibt es Neuwahlen.

● Epilog Sollte gewählt werden, könnte sich FDP-Chef Christian Lindner nun doch wieder Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition vorstellen: „In neuen Konstellat­ionen wird neu gesprochen.“

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Fotos: Bernd von Jutrczenka; Maurizio Gambarini, dpa Anfangs präsentier­ten sich die Sondierer, die die Chancen für eine Jamaika Koalition ausloten sollten, auf dem Balkon der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft wie eine leicht überdrehte Partytrupp­e. Heute ist von dieser Auf bruchstimm­ung nichts mehr zu...
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