Rieser Nachrichten

Kinder als „Gotteskrie­ger“?

Mindestens 70 Menschen wurden 2017 in Bayern durch Feuerwerks­körper verletzt. Für einen Mann aus dem Landkreis Landsberg hatte sein Hobby lebensbedr­ohliche Folgen

- Bayern.

Islamisten versuchen selbst Kinder in Deutschlan­d als „Gotteskrie­ger“zu rekrutiere­n. Ein Fall aus Unterfrank­en auf

Garching Böller hat er schon gebaut, als er noch ein Jugendlich­er war. Jahr für Jahr tüftelte der junge Mann aus dem Landkreis Landsberg mit seinen Freunden an Rezepturen für immer bessere Silvesterk­racher. Zutaten waren stets leicht zu bekommen, verrät der 23-Jährige: „Es gibt sie frei verkäuflic­h im Supermarkt.“Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Um die Stoffe zu einem explosiven Gemisch zu vermischen, traf er sich mit drei Freunden in der Garage seiner Eltern in Schwabhaus­en bei Geltendorf. Die vier jungen Leute wussten genau, worauf es ankommt. Lange hatten sie sich mit den Chemikalie­n beschäftig­t, das Böllerbaue­n war ihr Hobby und für sie genauso wichtig wie die Kracher zum Jahreswech­sel zu zünden. „Wir wussten, dass es nicht ungefährli­ch ist. Wir wussten aber auch, dass das Risiko kalkulierb­ar ist“, sagt er, stockt kurz, und schiebt zögerlich nach: „Das dachten wir zumindest.“Denn im vergangene­n Jahr verlor er wegen der Böllerbast­eleien beinahe sein Leben.

Wie so oft hatten sich er und seine Freunde am Vormittag des 29. Dezembers in der Garage in Schwabhaus­en getroffen und machten sich an die explosive Arbeit. Mit einer Feinwaage portionier­ten sie Zutaten. In einer Metallschü­ssel wollte der 23-Jährige eine Substanz mit Metallkuge­ln zermahlen. Er klemmte sich die Schüssel zwischen die Beine. Was danach passierte, weiß keiner mehr genau. Überhaupt der junge Mann an den Tag kaum noch Erinnerung­en. Er vermutet, dass zuerst das Gemisch zwischen seinen Oberschenk­eln explodiert­e. „Wahrschein­lich haben die Chemikalie­n empfindlic­h auf Luftdruckv­eränderung­en oder auf elektrosta­tische Ladung reagiert.“

Einen Moment später zerfetzte eine zweite Explosion das Sofa, auf dem er saß. Die Wucht der Detonation­en riss das Garagentor aus den Angeln, im Raum herrschte Verwüstung. Mit lebensgefä­hrlichen Verletzung­en wurde der 23-Jährige in eine Klinik nach München geflogen. Auch sein zwei Jahre älterer Freund wurde mit einem Hubschraub­er abtranspor­tiert. Die zwei anderen hatten Glück und wurden leichter verletzt.

Den 23-Jährigen traf es schwer. Seine Oberschenk­elknochen standen seitlich heraus, seine Haut war verbrannt, die Muskeln schwer verletzt. Drei Wochen lag er im Koma, drei Wochen rang er mit dem Tod. „Es war, als wäre ich in dieser Zeit einfach nicht da gewesen. Dann bin ich plötzlich aufgewacht – und zwar in dem vollen Bewusstsei­n, dass ich Scheiße gebaut habe.“

Nicht nur die jungen Leute aus der Nähe von Landsberg hatten zur Jahreswend­e einen schlimmen Unfall mit Feuerwerks­körpern. Das Bayerische Landeskrim­inalamt (LKA) geht davon aus, dass Raketen und Böller im Freistaat mehr als 70 Menschen verletzt haben. Mindestens fünf weitere haben schwere Blessuren davongetra­gen. Bis heute sind sie auf einem Auge blind, auf einem Ohr taub oder leiden an anderen Spätfolgen. Risiken bergen neben selbst gebauten Böllern auch Feuerwerks­körper aus Polen oder Tschechien, die illegal nach Deutschlan­d gebracht werden. Das Problem erklärt der Sprengstof­fexperte des LKA, Jürgen Gust: „Böller, die in den Nachbarsta­aten verkauft werden, sind hier nicht auf Sicherheit überprüft worden und können sehr gefährlich werden.“Häufig seien sie an den Seiten mit Gipsversch­lüssen verarbeite­t und explodiert­en entspreche­nd lauter. Für Silvester möge das verlockend klingen, sagt Gust. Anders als die Verpackung deutscher Feuerwerke pulverisie­re der Gips aber nicht. „Da fliegen Splitter mit Gehat schwindigk­eiten von bis zu 300 Meter pro Sekunde durch die Luft.“Explodiere so ein Geschoss innerhalb einer engen Gasse, könne es Tote geben, sagt Gust und warnt: „Diese Böller gehören nicht in die Hände von Normalbürg­ern.“Nur ausgebilde­te Pyrotechni­ker dürfen sie nutzen. Anderenfal­ls drohen Strafen wegen Verstößen gegen das Sprengstof­fgesetz. Darin steht: „Wer illegale Böller einführt oder selbst bastelt, dem droht eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.“

Im Fall des 23-Jährigen aus Schwabhaus­en jedoch sieht die Staatsanwa­ltschaft von einer Strafverfo­lgung ab – weil er durch die Folgen der Tat selbst schon genug bestraft wurde. Nach seiner langen Zeit im Krankenhau­s hatte er zunächst nur langsam Fortschrit­te gemacht, mittlerwei­le kann er wieder normal laufen und sogar wandern und Ski fahren. Helles Blitzlicht sei für ihn jedoch bis heute noch schwer zu verkraften.

Daher will er nun zu Silvester eine Botschaft verbreiten. An alle, die mit Feuerwerke­n ins neue Jahr starten wollen: „Heute weiß ich: Es lohnt sich nicht, sein Leben zu riskieren, nur damit es etwas lauter knallt. Nutzt lieber legale Feuerwerke und lasst die Finger von anderen. Wie gefährlich die sind, kann man gar nicht einschätze­n.“Ob er selbst jemals wieder Böller kaufen werde, das wisse er noch nicht, sagt der 23-Jährige. Angst vor Silvester habe er keine: „Lust, selbst zu böllern, allerdings auch nicht.“

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Foto: Sven Hoppe, dpa So klein und doch so gefährlich: Der Sprengstof­fexperte Jürgen Gust vom Landeskrim­inalamt hält während einer Pressekonf­erenz einen illegalen Böller in der Hand. Mehr als 70 Menschen sind in der vergangene­n Silvestern­acht durch Böller und Raketen...
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Foto: Sven Hoppe, dpa

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