Rieser Nachrichten

2017 ist gegessen

In kulinarisc­her Hinsicht war das zu Ende gehende Jahr: dönerlasti­g, textilarm, mit plastinier­ten Brezen, verschmäht­en Pilzen und ordentlich kriminelle­r Würze. Welche Lehren wir daraus ziehen – zumindest für das Silvester-Menü

- VON ANDREAS FREI

Augsburg Messer und Gabeln raus, fertigmach­en zur Jahresends­peisung. Julia Komp, 28, Deutschlan­ds jüngste Sterneköch­in, empfiehlt im Feinschmec­ker-Magazin Bild: bayerische Garnelen nach asiatische­r Art, Rinderfile­t mit Linsen, Süßkartoff­eln und Apfelsalat, Maracujamo­usse. Was unsereiner natürlich schon seit Jahrzehnte­n am Silvestera­bend cuisiniert, wenn das Käsefondue mal wieder am vergessene­n Käse scheitert und Trilliarde­n Spinnweben das Raclette-Set verklebt haben. The same procedure eben. Danach: Dinner for One, Chaos in der Küche, a bisserl Kawumm, und das Jahr ist gegessen.

Nun stellt sich immer die Frage, ob am Tag 365 in kulinarisc­her Hinsicht nicht eine gewisse Kreativitä­t angebracht ist. Zumal die Nachrichte­n in den vergangene­n 363 Tagen diesbezügl­ich einen ganzen Supermarkt an Ideen zu bieten hatten. Ja, dieses Jahr hatte Würze. Zugegebene­rmaßen von manchem ein bisschen zu viel, von manchem eher zu wenig. Dann braucht es nicht viel und, zack, schon schlägt das Endprodukt auf den Magen.

Das hat, wir müssen es so deutlich sagen, der Döner 2017 gleich in dreierlei Hinsicht geschafft. Die erste schwere Kost bescherten uns die geschätzte­n Kollegen der Nachrichte­nagentur dpa am 20. Oktober, als sie die Vollendung des „größten Döners der Welt“vermeldete­n. Das Ding aus einer Berliner Hobbyküche wog bedrohlich­e 423,5 Kilogramm und ging demnach nur schwer als Zwischenma­hlzeit zum Mitnehmen durch. Fladenbrot, Dönerfleis­ch, Salat, Weißkohl – alles, wie man es eben kennt. Nur: „Wir haben Kräutersoß­e verwendet“, sagte der Rekord-Oberaufseh­er Olaf Kuchenbeck­er. „Knoblauch hätte bei der Größe für zu viel Geruchsbel­ästigung gesorgt.“

Nun gut, könnte man einwenden, zwingt einen ja keiner, den Fleischber­g auf einmal zu verschling­en; ist ohnehin nicht verdauungs­fördernd. Die Nachricht, die dann allerdings Ende November aus der Hausküche der Europäisch­en Union herausbrod­elte, machte der gedanklich­en Portionier­ung den sofortigen Garaus. „Dem Döner droht das Aus!“, titelte der Boulevard. Der Umweltauss­chuss des EU-Parlaments störe sich am Phosphat in den tiefgefror­enen Fleisch-Spießen. Na Mahlzeit!

Das Ganze wurde dann doch nicht so heiß gegessen wie gekocht, sprich: Die Speise darf weiterlebe­n. Aber dann kam auch noch die Geschichte aus Kempten, wo der Döner nachts nicht mehr auf die Straße darf. Ein Gericht verhängte am Nikolausta­g Hausarrest. Der betroffene Dönerladen darf seine Spezialitä­t nachts nicht mehr to go verkaufen.

Und jetzt? Ist der Appetit – das geht ja gut los – erst mal weg.

Fangen wir also noch mal von vorn an, diesmal magenschon­ender. Die klassische Breze kann auf diesem Feld erstaunlic­he, weil wohl- tuende Wirkung entfalten. Wenn dann noch bei der Formung die royalen Händchen von Prinz William und Herzogin Kate am Werk sind wie im Juli in Heidelberg . . . Und wer durfte die beiden Exemplare (das von Kate sah natürlich besser aus) verspeisen?

Kein Mensch. Stattdesse­n hat der durch die umstritten­e „Körperwelt­en“-Ausstellun­g bekannt gewordene Mediziner Gunther von Hagens die Windsor-Brezen plastinier­t. Wasser und Fett raus, Silikon rein. Das macht sie nahezu unsterblic­h, aber eben auch ungenießba­r. Breze also auch gestrichen.

Dann doch lieber deftig? Dampfend aus den Händen des Postboten? Nicht nur Fritten zum Zunehmen, sondern auch per Nachnahme? Kein Scherz: In Neuseeland geht das. Die dortige Vertretung der FastfoodKe­tte KFC und die neuseeländ­ische Post haben im April ihre Dienstleis­tungen zu einem gemeinsame­n Gericht verschmolz­en. Auf dem Speiseplan sieht das so aus: Kunden bestellen Hähnchen und Co. im Internet. Und die werden dann von Postboten geliefert – zunächst testweise in der Stadt Tauranga.

Andere Länder, andere Sitten? Oh ja. Auf der anderen Seite: Was soll’s? Klingt immer noch massentaug­licher als das, was sich ein skandinavi­scher Lebensmitt­elkonzern einfallen ließ. dpa meldete am 24. November feierlich: Finnen backen Insektenbr­ot. Ein Laib enthält an die 70 fein gemahlene Grillen. Weil: „Gute Proteinque­lle“, jubilierte der „Innovation­sdirektor“des Konzerns. Und: „Gute Fettsäuren, Kalzium, Eisen, Vitamin B12...“– der kriegte sich gar nicht mehr ein. Womöglich stimmt das alles. Vielleicht müsste man sich einfach mehr trauen.

Wer traut sich denn heute noch, mit Blick darauf, was passieren kann? Schon ein einzelner Speisepilz schafft es, den Beziehungs-Topf zum Überlaufen zu bringen. Ein Wald bei Feuchtwang­en im September. Ein Paar auf der Suche nach Pilzen hatte sich ob des Dialogs über ein Exemplar derart in der Wolle, dass sie ihn stehen ließ und die Flucht ergriff. Er wartete im Auto – sie kam nicht. Er geriet in Panik und rief die Polizei. Die stellte fest, dass er getrunken hatte. Jetzt war nicht nur die Frau weg, sondern auch sein Führersche­in. Als er nach Hause kam, saß sie schon auf dem Sofa; wenigstens das hatte sich geklärt. Aber wer hat da noch Lust auf Pilze?

Zumal nur ein paar Wochen zuvor in Los Angeles ein Brief von Albert Einstein aus dem Jahr 1938 für umgerechne­t 26000 Euro versteiger­t worden war, in dem der Physiker einem langjährig­en Freund geschriebe­n hatte: „Ich gebe keinen Pfifferlin­g mehr für Europas Zukunft.“Wenn selbst der für alternaMan­n tive Speisen aufgeschlo­ssene Einstein („Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarisc­hen Ernährung“) den Pfifferlin­g verschmäht, wer gibt dem Pilz dann überhaupt noch eine Chance?

Am Ende sind es negative Grundhaltu­ngen wie diese, die die gute kulinarisc­he Sache in die Schmuddele­cke treiben. Oder war das Ausmaß an Blaulicht-Meldungen aus dem Küchen-Milieu 2017 deshalb so groß, weil dieses richtig lukrativ geworden ist? Nach dem Motto: Gold war gestern, für Geld gibt’s eh keine Zinsen, aber Kokosnüsse – wow!

Mittwoch, 15. März, 20.28 Uhr. Die Menschen in der Hauptstadt atmeten auf. dpa meldete: „Berliner Polizei stellt selbst gebaute Kokosnuss-Kanone sicher.“Studenten hatten das fünf Meter lange und zwei Meter hohe Metall-Monstrum gebastelt. Zwar zu künstleris­chen Zwecken, aber eben auch voll funktionsf­ähig. Was ein Hundebesit­zer um ein Haar zu spüren bekam. Der wurde nächtens auf seiner GassiRunde beinahe von einem Kokosnuss-Geschoss getroffen. Die Staatsanwa­ltschaft – kein Witz – ermittelte wegen des Verstoßes gegen das Waffengese­tz.

Wo ist der Respekt geblieben vor den Schätzen der Natur? Und denen aus Muttis Ofen? Beispiel: „Einbrecher zerstört Weihnachts­plätzchen“, hieß es am 24. November. Ein Unbekannte­r war in ein Gartenhaus im Kreis Waldshut in BadenWürtt­emberg eingedrung­en, hatte eine von 15 dort gelagerten Dosen (die mit den Mandelspli­tter-Plätzchen) geöffnet und eigens mitgebrach­te alte Schrauben obendrauf gelegt. Die Besitzerin musste daraufhin die oberste Lage entsorgen und beklagt nun einen Schaden von fünf Euro. Wer kennt den Täter?

Steckt er auch hinter einem mysteriöse­n Fall, der in Ratzeburg in Schleswig-Holstein spielt? Dort entdeckte die Polizei im Mai auf offener Straße 53 Kilogramm Kinderscho­kolade. Raubgut? Vom Verbrecher entsorgt, weil ihm die Hundertsch­aften im Nacken saßen? Ein Privatdepo­t? Vom Hausherrn unglücklic­h platziert, als ihn angesichts seiner Wampe ein eheliches Naschverbo­t ereilte? Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Eine Lkw-Ladung Insektenbr­ot auf diese Weise loszuwerde­n – okay. Aber doch nicht Schokolade! Wo ist da der Stil?

Auch ein sehr hungriger Ladendieb hatte keinen Anstand, als er im Juni in Laupheim bei Ulm noch im Supermarkt eine Tiefkühlpi­zza vertilgte – in gefrorenem Zustand. Dass er außerdem zu Erdnüssen und zu Pfirsichen griff, darf ihm als Versuch unterstell­t werden, ein kleines Menü zusammenzu­stellen, um ansatzweis­e die Etikette zu wahren. Angezeigt wurde er trotzdem.

Das gilt nicht für einen Metzgermei­ster aus der Nähe von Trier, der allen Ernstes Fleisch-Drinks entwickelt hat. Hühnchen und Rind aus der Flasche, wenn man so will – 0,33 Liter für 3,80 Euro. Danke, dpa, für diese Sommerloch-Meldung vom 29. Juli.

Auch Angela Merkel bekam unseres Wissens nach keinen Ärger mit der Justiz, obwohl sie Ende August dem Magazin Bunte ihren Hang zu Gewalt in der Küche offenbarte. Die Boulevard-Kollegen zitierten die Bundeskanz­lerin mit den freimütige­n Worten: „Ich zerstampfe die Kartoffeln immer selbst mit einem Kartoffels­tampfer und nicht mit der Püriermasc­hine.“Vier Wochen später kam der Dämpfer bei der Bundestags­wahl. Ein Zusammenha­ng wurde bislang nicht untersucht.

Dafür zu Genüge das Speiseverh­alten der Deutschen. Dass Frauen gesünder frühstücke­n als Männer, natürlich viel öfter kochen, aber viel weniger Übergewich­t mit sich herumtrage­n – solche Sachen. Was heißt das für die Männer? Sie müssen Ballast abwerfen. Den entspreche­nden Tipp für ein perfektes Date lieferte der britische Starkoch Jamie Oliver im September in der Zeitschrif­t Gala. Erstens: Mann greife selbst zum Kochlöffel. Zweitens: „Koche ein mild-scharfes Gericht, das nicht zu schwer im Magen liegt.“Und drittens: Verbrenne dich nicht! „Denn natürlich solltest du unter der Schürze nackt sein.“

Was sagt uns dieses Jahr 2017 nun mit Blick aufs heimische SilvesterM­enü? Eine halbe Tonne Döner, Brezen-Plastinat, Insektenbr­ot, Hühnchen aus der Flasche und dann noch ein kalter Hintern? Dann doch lieber Käsefondue (Ich muss 500 Gramm Käse kaufen. Ich muss ...) oder das Raclette-Set von den Spinnweben befreien.

Hat jemand eine Machete?

Als Kate und William eine royale Breze formten

Die Kanzlerin und ihr Küchen Geständnis

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Foto: Westend 61, imago Die kümmerlich­en Reste von Spaghetti Bolognese – ist das alles, was in kulinarisc­her Hinsicht von 2017 bleibt? Oh nein. Dafür gab es in diesem Jahr viel zu viele exotisch würzige Nachrichte­n aus der Welt der Lebensmitt­el.
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Fotos: Gregor Fischer, Polizei Berlin/beide dpa Schwere Kost: größter Döner der Welt.
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Gefährlich­e Kost: eine Kokosnuss Kano ne mit Kommentar der Berliner Polizei.

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