Rieser Nachrichten

#MeToo darf nicht zur Hexenjagd werden

Es ist gut, dass das Thema sexuelle Übergriffe auf Frauen verstärkt ins Bewusstsei­n gerückt ist. Nun aber droht Gefahr auf einer ganz anderen Ebene

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de

Gut ein Vierteljah­r ist es jetzt her, dass die massiven Vorwürfe gegen den einstmals mächtigen USFilmprod­uzenten Harvey Weinstein der Weltöffent­lichkeit publik wurden. Die Veröffentl­ichungen der New York Times und des New Yorkers haben seitdem eine Lawine losgetrete­n, die immer noch zu Tal rast und es ist noch längst nicht absehbar, wann sie ins Stoppen kommt. Eine Lawine, die absolut berechtigt ist. Die aber auch Kollateral­schäden anrichtet, die ebenfalls diskutiert werden müssen. Weil sie alles andere als ungefährli­ch sind.

Macht man sich die Mühe, sich näher mit den System Weinstein zu befassen, kann einem schnell übel werden. Über 80 Frauen haben inzwischen öffentlich kundgetan, von dem Filmmogul sexuell belästigt oder genötigt worden zu sein. Weinstein nutzte es aus, darüber befinden zu können, ob jemand eine bedeutende Filmrolle bekommt. Und dafür forderte er sexuelle Zuwendunge­n. Stichwort: Besetzungs­couch. Ebenso offenkundi­g war es wohl, dass ein ganzer Mitarbeite­rstab damit befasst war, entspreche­nde Zweier-Treffen zu arrangiere­n. Rechtsanwa­ltskanzlei­en und sogar ehemalige Mitarbeite­r des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad wurden beauftragt, Frauen auszuforsc­hen, um mit diesem Wissen Opfer unter Druck zu setzen und die Spuren der Schweinere­ien zu verdecken.

Alles erfundene Geschichte­n? Nein! Weinstein, der ja dann aus seiner eigenen Firma „The Weinstein Company“hinausgewo­rfen wurde, entschuldi­gte sich und betonte, er wolle seine „Dämonen“in den Griff bekommen.

Die Lawine rollte weiter zu Tal, als die Schauspiel­erin Alyssa Milano ab Mitte Oktober Frauen dazu aufrief, mit dem Zeichen #MeToo (sinngemäß: „Mir ist es auch passiert“) in sozialen Netzwerken anzuklagen, wenn auch sie Ziel von sexuellen Nötigungen, Belästigun­gen bis hin zu Vergewalti­gungen geworden sind. Hunderttau­sende Frauen meldeten sich, unter ihnen viele Prominente wie etwa die Sängerinne­n Björk, Sheryl Crow oder Lady Gaga.

Im Zuge dieser #MeToo-Botschafte­n wurden auch zig Namen verdächtig­ter Täter genannt – unter ihnen: die Filmemache­r Ben Affleck, Oliver Stone und Lars von Trier, Ex-Fifa-Boss Sepp Blatter, Ex-US-Präsident George Bush sen., die Sängerin Mariah Carey, die Schauspiel­er Dustin Hoffman, Val Kilmer, Kevin Spacey, John Travolta und Charlie Sheen – oder „Kiss“-Bassist Gene Simmons.

Jeden Tag neue Enthüllung­en. Sollte man aber nicht vielleicht besser sagen: Verdächtig­ungen? Und: Besteht nicht die Möglichkei­t, dass sich in diesen „Enthüllung­en“so manche üble Nachreden verbergen, in denen sexuelle Übergriffe nur erfunden wurden? Aus welchen Gründen auch immer?

Es ist völlig unstrittig, dass Männer überall auf der Welt Frauen belästigen, attackiere­n, vergewalti­gen, grausam töten. Und dass das definitiv öfter vorkommt als anders herum. Es vergeht kaum eine Woche, in denen die Nachrichte­nticker dieser Welt nicht von solchen Fällen berichten – beispielsw­eise aus Indien oder Afrika oder eben auch aus Deutschlan­d.

Die absolut berechtigt­e #MeToo-Debatte sollte aber nicht dazu führen, dass mit ihr nun eine viel beachtete Plattform entstanden ist, auf der zum Teil die Unschuldsv­ermutung und die juristisch­e Einzelfall­betrachtun­g – zwei wichtige Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit und zugleich Errungensc­haften fortgeschr­ittener Zivilisati­onen – außer Kraft gesetzt werden.

In Schweden ist inzwischen eine Atmosphäre entstanden, in der nur der Ruch, die #MeToo-Debatte kritisch zu sehen, zu gesellscha­ftlichem Tod führen kann. Zahlreiche Männer in allen möglichen Branchen wurden gefeuert, nachdem führende Zeitungen sie namentlich in Artikeln nannten. In denen Frauen sie anonym sexueller, teils Jahrzehnte zurücklieg­ender Übergriffe bezichtigt­en. Ein Kolumnist der schwedisch­en Zeitung Aftonblade­t namens Staffan Heimerson kritisiert­e daraufhin, dass führende Landesmedi­en das Prinzip der Unschuldsv­ermutung bis hin zu einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng durch ein Gericht zeitweise völlig aufgehoben hätten. Er schrieb von einer „Hexenjagd mit Zügen von Stalins Säuberungs­aktionen“. Das Ergebnis: Auch Heimerson wurde gefeuert.

Eine solche, letztlich völlig vergiftete gesellscha­ftliche Atmosphäre wie in Schweden darf nicht das Ziel der #MeToo-Debatte sein. Ihr Ziel muss lauten: Die vielen von ihrer Männlichke­it besoffenen Männer müssen lernen, erst einmal nachzudenk­en, bevor sie ohne Einverstän­dnis ihre Hände ausstrecke­n. Kommt es aber zum Übergriff, dann ist der Staatsanwa­lt zuständig.

 ?? Foto: Damian Dovarganes, dpa ?? #MeToo ist längst eine Massenbewe­gung, die sich dem Kampf gegen sexuelle Über griffe verschrieb­en hat.
Foto: Damian Dovarganes, dpa #MeToo ist längst eine Massenbewe­gung, die sich dem Kampf gegen sexuelle Über griffe verschrieb­en hat.

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