Rieser Nachrichten

Humanistis­che Reden – harte Taten

Mit einem neuen Migrations­gesetz will Präsident Macron Europa stärker in die Pflicht nehmen. Hilfsorgan­isationen sind skeptisch

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Er sei ein Präsident, der Verspreche­n hält – das versichert Emmanuel Macron seit seiner Wahl. Mit einem Verspreche­n ist er aber gescheiter­t, das er Ende Juli in einer Rede vor neu eingebürge­rten Franzosen gab: „Bis zum Jahresende will ich, dass keine Männer und Frauen mehr in den Straßen, in den Wäldern schlafen“, verkündete er. „Ich will überall Notunterkü­nfte.“

Doch in den Metropolen, aber auch Grenzregio­nen im Norden und im Süden kampieren Flüchtling­e mit Kindern auch im Winter. „Es wurden zwar neue Plätze geschaffen, aber das sind Minimallös­ungen“, sagt Pierre Henry, Chef der Organisati­on „France Terre d’Asile“(„Frankreich Boden für Asyl“). Bürgermeis­ter beklagen mangelnde Mittel vom Staat, um dem Zustrom von Flüchtling­en und dem Anstieg von Asylanträg­en zu begegnen. Die Kapazitäte­n eines Aufnahmeze­ntrums für Männer in Paris, das vor einem Jahr öffnete, liegen derart unter dem Bedarf, dass täglich hunderte abgewiesen werden.

Noch als Wirtschaft­sminister hatte Macron als einer der wenigen französisc­hen Politiker Angela Merkel lautstark für ihre Flüchtling­spolitik gelobt: Sie rette die Würde Europas. Doch heute werfen ihm Kritiker vor, er halte zwar wohlklinge­nd humanistis­che Reden – doch verschärfe zugleich den Umgang mit Migranten. Es heißt, die Polizei zerstöre systematis­ch behelfsmäß­ige Behausunge­n: Laut Human Rights Watch wurden in Calais Menschen teilweise im Schlaf mit Tränengas vertrieben, ihnen Decken weggenomme­n. Obwohl das große Lager in der nordfranzö­sischen Hafenstadt, wo ein Tunnel nach Großbritan­nien führt, im Herbst 2016 aufgelöst wurde und man die Insassen auf Aufnahmeze­ntren im ganzen Land verteilte, bilden sich dort ständig neue Verstecke – die wieder zerstört werden. Innenminis­ter Gérard Collomb, ein enger Vertrauter Macrons, gilt als Hardliner, der die zuständige­n Präfekten dazu auffordert­e, Menschen ohne Asylrecht konsequent­er abzuschieb­en. Auch ordnete er Personenko­ntrollen in Notaufnahm­ezentren an. Dabei war bislang geschützt, wer dort unterkam; dazu gehören auch die zahlreiche­n „Papierlose­n“in Frankreich, die oft einer Arbeit nachgehen, ohne einen geregelten Aufenthalt­sstatus zu besitzen. „Kann man sich ein humanitäre­s Zentrum vorstellen, bei dem die Regierung auswählt, welche Kategorien von Menschen medizinisc­he Nothilfe bekommen?“, empörten sich drei ehemalige Minister und Staatssekr­etäre in einem offenen Brief an Macron.

Für dieses Frühjahr bereitet seine Regierung ein neues Migrations­gesetz vor: Vorgesehen ist die Verkürzung der Bearbeitun­gszeit von Asylanträg­en von derzeit 14 Monaten auf höchstens sechs, Menschen ohne Ausweispap­iere können vor ihrer Abschiebun­g dann 90 statt bisher 45 Tage in Auffanglag­ern festgehalt­en werden. Bis 2019 will Frankreich 10000 Menschen aus Lagern im Libanon und Jordanien, vor allem aber dem Niger und dem Tschad aufnehmen. In diesen beiden Ländern baut das französisc­he Büro für den Schutz von Flüchtling­en und Heimatlose­n „Ofpra“Asylzentre­n auf, um vor Ort festzustel­len, wer kommen darf. Mittelfris­tig setzt Macron auf mehr europäisch­e Zusammenar­beit. Bis Juni wollen die Mitgliedst­aaten eine Reform des bisherigen Asylsystem­s auf den Weg bringen und dabei auch die umstritten­e Dublin-Regelung angehen.

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Foto: afp Kündigt neues Migrations­gesetz an: Prä sident Emmanuel Macron.

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