In Lauerstellung
Andreas Wellinger ist der Stimmungsmacher im deutschen Team. Gestern beim Qualifikationssieg von Richard Freitag verhagelte es dem Ruhpoldinger aber die Laune
Oberstdorf Andreas Wellinger gibt sich in diesen Tagen als Genussmensch. Er habe Weihnachten genossen – mit „jeder Menge Platzerl“. Er genieße die Tournee, „weil es Spaß macht, Skisprung-Deutschland zu repräsentieren“. Und er genieße die tolle Stimmung in der Mannschaft. Den viel beschworenen neuen Teamgeist kann aber auch der 22-Jährige vom SC Ruhpolding nicht so recht erklären. Man sei eben eine große Wohngemeinschaft, sitze 250 Tage von sieben Uhr morgens bis spät in der Nacht beieinander. Und da werde bisweilen viel geflachst: „Je blöder man sich anmacht, desto besser versteht man sich“, sagt Wellinger. „Das ist vielleicht unser Geheimnis.“
Wie ehedem die österreichischen Super-Springer Thomas Morgenstern und Gregor Schlierenzauer vertreiben sich die Deutschen ihre Freizeit mit Kartenspielen. Und beim Schafkopf, behaupten die Mannschaftskollegen unisono, sei Andreas Wellinger unzweifelhaft der Beste. Dass die Stimmung ausgerechnet jetzt so gut ist, da der langjährige Teamleader Severin Freund wegen eines Kreuzbandrisses nicht dabei ist, misst Wellinger keine Bedeutung zu. „Wir können das ja nicht ändern und machen das Beste daraus.“Freund, vor zwei Jahren Sieger des Auftaktspringens, war gestern live dabei und leistete moralischen Beistand – auf dass es mit dem langersehnten ersten deutschen Gesamtsieg 16 Jahre nach Sven Hannawald endlich klappt.
Wellingers Tournee-Bilanz liest sich eher dürftig. Als Debütant wurde er 2013 Neunter, ein Jahr später Zehnter. Auch nach seiner Verletzungspause flog er mit den Rängen zwölf und 22 der Weltspitze weit hinterher. Da klang es schon zuversichtlich, dass der Weltcup-Zweite Wellinger vor seinen ersten Sprüngen in Oberstdorf sagte: „Die Vorbereitung war besser als in den letzten Jahren. Jetzt müssen wir sehen, was auf der Ergebnisliste steht.“Hatte Wellinger, der sich hinter Freitag in Lauerstellung gebracht hatte, da etwa schon eine Vorahnung? Zwar genoss der MixedWeltmeister von Lahti auch gestern die Qualifikation („Die Stimmung ist einmalig“), er gehörte allerdings zu den drei Topspringern, denen der plötzlich auffrischende Rückenwind einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machte. „Plus 16 Punkte für den Wind zu bekommen, macht weniger Spaß“, sagte Wellinger geknickt und musste sich mit 120,5 Metern und Rang 14 begnügen. Auch der letztjährige Tournee-Sieger Kamil Stoch (Polen/118 Meter) und Daniel Andre Tande (Norwegen/119,5) erwischten katastrophale Verhältnisse und müssen sich heute in den K.-o.-Duellen gegen starke Gegner durchsetzen. Ganz am Ende der gestrigen Qualifikation stand Topfavorit Richard Freitag oben auf dem Balken. Trainer Schuster schüttelte den Kopf, die Jury debattierte lange und entschied sich dann für einen längeren Anlauf. Freitag blieb cool, bewies trotz großer mentaler Belastung, dass er seine Form während der Weihnachtspause nicht verloren hat und sprang trotz immer noch schlechter Windverhältnisse gewohnt. Mit 130,5 Metern gewann der 26-jährige Sachse, der seit Sommer in Oberstdorf trainiert, die Qualifikation und untermauerte seine Favoritenrolle. „Der Sprung war ganz fein. Damit wäre ich im Wettbewerb zufrieden“, sagte Freitag, „aber ich will die Quali auch nicht überbewerten.“
Die Organisatoren in Oberstdorf strahlten gestern um die Wette – auch wenn sie wegen starker Schneefälle morgens um halb sechs mit dem Schneeräumen beginnen mussten. Die Qualifikations-Rekordkulisse von 14400 Zuschauern und die Top-Sprünge von Freitag und Lokalmatador Karl Geiger auf 133,5 Meter (Rang vier) ließen auch den Oberstdorfer Bürgermeister Laurent Mies jubeln: „Wir müssen uns alle kneifen, um zu verstehen, dass heute nur Quali ist und wir am Samstag noch einen drauflegen können.“Der Rucksack von Geiger wird dadurch nicht leichter.