Vom Heim-Nachteil im Biathlon
Daheim ist es am gemütlichsten. Raus aus dem Anzug, rein in die Lümmelhose und je nach Geschmack ausspannen. Ein – natürlich immer gutes – Buch lesen, Essen mit der Familie und dann einen Film schauen. Auch Vanessa Hinz freute sich auf ihr Wohnzimmer. Das fällt etwas größer als gewöhnlich aus und nennt sich Chiemgau Arena. Aber die Münchnerin blickte voller Zuversicht auf den Weltcup-Auftakt nahe des Chiemsees. „Ich kenne jeden Zentimeter auf der Strecke und hoffe, dass ich meinen Heimvorteil ausnutze“, sagte die Biathletin vor dem Rennen über 15 Kilometer der Frauen. Doch sie hatte die Rechnung ohne die Fans gemacht. Tausende Zuschauer fabrizieren mit Tröten, Fanfaren und Ratschen in der Größe halber Tischtennisplatten einen Höllenlärm, sobald die Lieblinge auf Skiern mit dem Gewehr auftauchen. Hinz ließ sich aus der Ruhe bringen und landete dahoam auf Rang 31.
Am Schießstand wird jeder Treffer mit einem lauten „Hej“bejubelt. Einen Fehlschuss quittieren die Anhänger mit einem enttäuschten „Ohhhh“. Alle außer vielleicht Lukas Podolski bekommen in diesem Hexenkessel ein Nervenflattern. Nix da mit Heimvorteil, und das ist mittlerweile wissenschaftlich belegt.
Zwei Forscher vom Schweizerischen Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Uni St. Gallen untersuchten die Schießresultate von über 200 Biathleten und Biathletinnen. Über 16 Jahre lang werteten die Wissenschaftler bei Weltcups, Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften die Trefferquoten aus. Die Ergebnisse sind verblüffend. Auswärts schossen die Männer 2050 Mal daneben, im eigenen Land immerhin 2120 Mal. Bei den Frauen lautet das FehlschussVerhältnis zwischen auswärts und zuhause 2031 zu 2136.
Der Erfolgsdruck und die Angst vor dem Versagen lässt die Nerven flattern. Zu beobachten war das Phänomen im ersten WeltcupRennen der Frauen von Ruhpolding. Die siebenfache Weltmeisterin Laura Dahlmeier lieferte mit vier Schießfehlern und Platz 48 ihr schlechtestes Karriere-Ergebnis ab. Im Biathlon sprechen die Experten jetzt nur noch vom Heim-Nachteil.
Wie praktisch, dass Olympia in Asien stattfindet. Zudem interessieren sich Südkoreaner nicht die Bohne für Biathlon. Bei Weltcups in Pyeongchang karrten die Veranstalter Schulklassen ins Stadion, damit die Sportler nicht vollkommen alleine durch die Gegend laufen und schießen. Die Deutschen genießen bei Olympia den Auswärts-Vorteil und die Koreaner haben nicht mal einen Heim-Nachteil.