Rieser Nachrichten

Einst wurden hier glühende Eisen in Form geschlagen

In Oettingen betrieb die Familie Lutz einst eine Schmiede. Der Amboss steht noch

- VON ANNE SÖLLNER

Oettingen Mitten in Oettingen, am Königstor neben der Wirtschaft zur Goldenen Gans, steht ein Haus, das aus der Zeit gefallen scheint. Zwei Fenster im Dachgescho­ss fehlen bereits, der Putz ist grünstichi­g vom Moos und die Fensterläd­en an der Seite geschlosse­n. Wie ein trauriges Aschenputt­el bewahrt es die Reste seiner Geschichte auf. Ein zweiteilig­es Tor in der Giebelseit­e verweist auf einen Handwerksb­etrieb aus einer Zeit, in der Leben und Arbeiten unter einem Dach noch Normalität waren. Zum Wohnen blieben dadurch im Erdgeschos­s links der Haustür hintereina­nder nur Stube und Küche, während die Schlafzimm­er im ersten Stock lagen. Doch das ist schon lange her. Nachdem Fritz und Frieda Lutz 1957 gestorben waren, fanden Flüchtling­e hier Unterkunft, doch seit den 1970er Jahren schon steht das Wohnhaus leer.

Als Wilhelm Lutz am Ende des schmalen Hausflures die Tür zur Werkstatt öffnet, ist es zunächst stockdunke­l, überall sind Staub, Eisenteile und Asche verteilt, denn sein Vater Hans Lutz ging hier seiner Arbeit als Schmiedeme­ister nach. Als er Anfang der 1980er Jahre aufhörte, endete auch eine jahrhunder­telange Familientr­adition. „Bereits 1650 kam der erste Lutz aus dem hessischen Schaafheim nach Harburg“, weiß Willi Lutz zu erzählen. Mehrere Generation­en waren dort als Schmiede tätig, deren Nachkommen sich später in Alerheim und dann in Oettingen niederließ­en.

Inzwischen haben sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt und in der Werkstatt, die sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckt, werden die Umrisse einzelner Gerätschaf­ten sichtbar. An der Wand steht die Esse mit ihrem Rauchabzug. Dicht an dicht hängen an einem Gestänge links und rechts neben dem Abzug unzählige Eisenzange­n, die die feuchte Luft im Laufe der Jahre mit einer dichten Rostschich­t umhüllt hat. Neben der Esse ist der Blasebalg aufgebaut und mitten im Raum steht auch noch der Amboss, auf dem die glühenden Eisen in Form geschlagen wurden.

Georg Jakob Lutz, der Urgroßvate­r des heutigen Besitzers, war der erste Schmied aus der Familie, der sich in Oettingen niederließ. Sohn Fritz und Enkel Hans Lutz führten den Betrieb weiter. Willi Lutz erinnert sich, dass sein Vater Hans vor allem Pferde beschlagen hat. Ein hölzerner Anbau an der Rückseite der Schmiede, der auch heute noch vorhanden ist, diente als Unterstand für die Tiere. Etwa viermal im Jahr wurden die Pferde, die bis in die 1960er Jahre noch in der Landwirtsc­haft eingesetzt wurden, neu beschlagen. Zuvor musste jedoch der nachgewach­sene Huf ausgeschni­tten und glatt geraspelt werden.

In seiner Lehrzeit habe sein Vater die Eisen noch selber geschmiede­t, später gab es fertige Rohlinge, die nur noch angepasst werden mussten, erzählt Lutz und hebt ein rostiges Exemplar vom Boden auf. Mitgeholfe­n habe er nicht, denn das Pferd hielten beim Beschlagen die Kunden selber, die auch aus den umliegende­n Orten kamen und die Arbeit zu schätzen wussten. Lediglich die eigenen zwei Pferde habe er beim Beschlagen gehalten. Sie wurden nicht nur in der Landwirtsc­haft eingesetzt, sondern zogen bis in die 1960er Jahre auch den Leichenwag­en in Oettingen.

Auch Kühe, Schweine und eine große Schafherde gab es in der zugehörige­n Landwirtsc­haft, denn die Mutter von Willi Lutz stammte aus einer Schäferei. Heute hält der gelernte Landwirt, der in seinem Elternhaus ganz in der Nähe wohnt, noch vierzehn Kühe im Stall an der Königsstra­ße und es ist ein ungewöhnli­cher Anblick, wenn er diese von Mai bis Anfang November jeden morgen nach dem Melken am Entengrabe­n entlang auf die Weide treibt. Lange will er das im Hinblick auf sein Alter allerdings nicht mehr machen, und auch die Wirkungsst­ätte des letzten Schmieds von Oettingen wird wohl eines Tages von der Gegenwart eingeholt.

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Foto: Söllner Schon seit mehreren Jahrzehnte­n stehen Wohnhaus und Werkstatt der Schmiede Lutz in Oettingen leer.

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