Kompromiss im Streit um Arbeitszeit?
Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger sträubt sich vehement gegen die Forderung der IG Metall nach einem Lohnausgleich für Teilzeitarbeit. Doch der Unternehmer zeigt einen möglichen Kompromiss in der Tarifrunde auf
Augsburg Im Tarifkonflikt der deutschen Metall- und Elektroindustrie zeichnet sich ein Kompromiss ab. Vor der heute in Nürnberg stattfindenden dritten Verhandlungsrunde in Bayern sagte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger im Interview mit unserer Zeitung: „Wir schließen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht aus, wenn es auch eine Flexibilisierung nach oben gibt.“Der Chef des mächtigen Arbeitgeberverbandes strebt an, dass viel mehr Beschäftigte eines Betriebes wöchentlich länger als die tariflich festgelegten 35 Stunden arbeiten dürfen. Im Gegenzug scheinen die Arbeitgeber bereit zu sein, auf die Forderung der IG Metall nach einer Ausweitung der Teilzeitarbeit in den Betrieben einzugehen. Das Interview finden Sie in der
Herr Dulger, die IG-Metall-Lenker haben die Warnstreik-Walze losgelassen und scheinen entschlossen, mehr Mitarbeiter zu Protesten aufzurufen. Könnte die Tarifrunde eskalieren? Schließlich fordert die Gewerkschaft, dass etwa Beschäftigte, die Angehörige pflegen, die Arbeitszeit von 35 auf 28 Stunden die Woche reduzieren können – und das bei teilweisem, vom Arbeitgeber finanzierten Lohnausgleich. Dulger: Leider hat die IG Metall das Instrument der Warnstreiks ritualisiert. Die Gewerkschaft spult Warnstreiks ab, um ihren Mitgliedern und sich zu beweisen, wie stark die Organisation ist. Zur Lösungsfindung trägt das gar nichts bei. Wir sprechen gerne über Flexibilisierung der Arbeitszeiten, aber wir wollen nicht nur über Flexibilisierung nach unten, sondern auch nach oben reden. Ein Teillohnausgleich bei der wöchentlichen Arbeitszeit geht nicht. Das können wir nicht machen.
Warum eigentlich? Die Konjunktur brummt. Die deutsche Wirtschaft ist 2017 wohl um 2,2 Prozent gewachsen nach 1,9 Prozent im Vorjahr. Da könnten Sie doch großzügiger sein. Dulger: Ein solcher Teillohnausgleich für Teilzeitarbeit wäre nicht nur ungerecht und diskriminierend, sondern auch rechtswidrig.
Das hat zumindest ein von Ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben. Dulger: Ja, aber wir wollen den Konflikt aktuell nicht im Gerichtssaal austragen. Unser Ziel ist es, am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden. Eine juristische Auseinandersetzung ist nur die Ultima Ratio.
IG-Metall-Verantwortliche reagierten eher genervt auf Ihr Gutachten. Das sei nur die Meinung eines Juristen, heißt es zum Beispiel. So werden die Warnstreiks ausgeweitet. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Dulger: Wenn der IG Metall die Rechtslage egal ist, macht mir das Sorgen. Wir werden uns aber auch nicht durch Druck von der Straße zu rechtswidrigen Verhaltensweisen zwingen lassen.
Warum wäre denn eine 28-StundenWoche mit teilweisem Lohnausgleich rechtswidrig?
Dulger: Weil wir unseren Mitarbeitern für die gleiche Arbeit dann unterschiedliche Stundenlöhne zahlen würden.
Können Sie ein Beispiel nennen? Dulger: Ein Beschäftigter arbeitet 28 Stunden und würde nach dem IGMetall-Plan dafür einen Lohnzuschlag von vielleicht 200 Euro pro Monat bekommen. Das wären im Jahr 2400 Euro plus anteilig Weihnachtsund Urlaubsgeld. Eine Kollegin, die ihm im Büro gegenübersitzt und vor vier Jahren auf 20 reduziert hat, weil sie ihre Mutter pflegt, bekommt keinen Zuschlag. Das ist nicht nur ungerecht, sondern diskriminierend und rechtswidrig.
Die IG Metall argumentiert, Sie könnten den Zuschlag ja auch an schon länger in Teilzeit arbeitende Frauen und Männer auszahlen.
Dulger: Dann hätte die IG Metall das auch in ihren Forderungskatalog schreiben sollen. Hat sie aber nicht. Selbst wenn wir allen, die in Teilzeit arbeiten, diesen Zuschlag geben, würden sich sicher Mitarbeiter, die 35 Stunden tätig sind, beschweren, dass ihr Stundenlohn ohne Zuschlag niedriger ausfällt.
Könnte das die Belegschaften in den Unternehmen spalten?
Dulger: Das würde die Belegschaften nicht nur spalten. Denn wenn Mitarbeiter, die 35 Stunden arbeiten, vor Gericht ziehen und klagen, dass sie finanziell benachteiligt werden, gibt ihnen jedes Gericht recht.
Beim Teillohnausgleich scheinen Sie nicht kompromissbereit zu sein. Wo wollen Sie sich dann bewegen, um eine weitere Eskalation zu verhindern? Dulger: Noch einmal: Wir schließen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht aus, wenn es auch eine Flexibilisierung nach oben gibt.
Was heißt das konkret?
Dulger: In Bayern etwa dürfen nur 13 Prozent der Beschäftigten eines Betriebes bis zu 40 Stunden wöchentlich über die in der Branche geltende 35-Stunden-Woche hinaus arbeiten. Wir brauchen eine deutliche Ausweitung dieses Anteils. Dann sind wir bereit, auch über Flexibilisierung der Arbeitszeit nach unten zu reden.
Hört die IG Metall Ihre KompromissSignale?
Dulger: An der Stelle hat es inzwischen etwas Bewegung gegeben – schließlich haben die Tarifpartner in Baden-Württemberg gerade beschlossen, dazu eine Expertengruppe zu bilden. Aber wir müssen abwarten, ob sich die IG Metall da bewegt. Ich hoffe es.
Aber was passiert, wenn sich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mit seiner Forderung nach einem Teillohnausgleich doch durchsetzt?
Dulger: Wir brauchen darüber nicht zu spekulieren. Aber alleine die Forderung der IG Metall hat der Akzeptanz des Tarifvertrages geschadet. Es würde eine einseitige VerStunden kürzung der tariflichen Arbeitszeit bedeuten. Das wäre der Anfang vom Ende des Flächentarifvertrages, der gleiche Bedingungen für möglichst viele Firmen einer Branche schafft. Einige Firmen – auch in Bayern – haben schon angekündigt, dass sie den Flächentarif verlassen.
Viele Metall-Firmen finden nur noch schwer ausreichend Fachkräfte, was gegen eine Ausweitung der Teilzeitarbeit spricht. Wie ernst ist die Lage? Dulger: Auf 100 Arbeitslose, die für Facharbeiterpositionen in der Metallund Elektroindustrie qualifiziert sind, kommen bundesweit 265 offene Stellen. Im Schnitt müssen unsere Firmen fünf Monate suchen, um eine Fachkraft zu finden.
Wie sieht es in Ihrer Firma aus? Dulger: Ich sehe das auch in meinem in Heidelberg sitzenden Unternehmen ProMinent. Wir sind ein Spezialist für Dosierpumpen und Wasseraufbereitung. Wenn bei mir Mitarbeiter dank der Rente mit 63 früher in den Ruhestand gehen, tun wir uns schwer, die Stellen nachzubesetzen. Nach den Zahlen des Ifo-Instituts geben 22 Prozent unserer Betriebe an, durch den Fachkräftemangel Probleme in der Produktion zu haben. Deswegen ist es das völlig falsche Signal in unserer Industrie, Anreize zu schaffen, in großem Stil flächendeckend in die 28-StundenWoche einzusteigen.
Spielt die IG Metall mit dem Feuer? Dulger: Ja. Und die Argumentation der IG Metall, dass trotz Facharbeitermangels kein Auftrag in den Betrieben liegen bleibe, stimmt nicht. Wie gesagt: über ein Fünftel aller Unternehmen hat heute schon Produktionsbehinderungen aufgrund fehlender Fachleute.
Die IG Metall demonstriert Stärke. Wie stark sind denn die Arbeitgeberverbände? Was halten Sie aus? Dulger: Wir sind stark. An unserer Widerstandsfähigkeit gegenüber Streiks besteht kein Zweifel. Denn die Geduld unserer Betriebe ist begrenzt, wenn die Arbeitszeit weiter abgesenkt würde. Manche würden es dann nicht bei Tarifflucht belassen. Sie müssten überlegen, die Produktion ins Ausland zu verlagern.
Am Ende sind die Chancen aber doch nicht so schlecht, dass Sie den Tarifkonflikt wie schon so oft mit einem Kompromiss beilegen.
Dulger: Dieses Jahr ist es schwieriger, einen Kompromiss zu finden. Am Ende dürfen wir als tarifgebundene Arbeitgeber nicht als die Dummen dastehen. Am Ende einer Auseinandersetzung wird immer ein Kompromiss stehen. Je länger die IG Metall auf der absoluten Erfüllung ihrer Forderung besteht, umso schwieriger wird es hinterher für sie, ihren Mitgliedern den Kompromiss zu erklären.
Doch trotz all dieser Sorgen läuft es in Deutschland wirtschaftlich besser denn je. Bleibt das so?
Dulger: Wir haben in Deutschland gut zehn Jahre die Früchte der Agenda-Reformpolitik von Gerhard Schröder geerntet. Jetzt ist es an der Zeit, wieder politisch so zu handeln, dass wir auch die nächsten zehn Jahre reife Früchte ernten können. Die Große Koalition hat das zuletzt nicht geschafft. Ich hoffe, dass dies Union und SPD jetzt besser gelingt. Also: Sozialabgaben per Gesetz auf 40 Prozent deckeln und Finger weg von Steuererhöhungen!
Interview: Stefan Stahl
● 53, ist Präsident des mächtigen Arbeitgeberverban des Gesamtmetall, einer Organisati on, die Tarifverhandlungen für die deutsche Schlüsselbranche führt. Der Heidelberger ist Vater von zwei Kindern, er leitet in seiner Heimat stadt mit seinem Bruder das welt weit tätige Dosiertechnik Unterneh men ProMinent mit rund 2500 Mitarbeitern. Zuletzt wurden Stellen in der Firma aufgebaut.