Rieser Nachrichten

Ein Jahr Trump im Weißen Haus: Der Präsident lebt seine Launen aus

Leitartike­l Der 71-Jährige ist unstet und unberechen­bar. Sorge löst sein Kurs gegenüber Nordkorea aus. Viele seiner Projekte sind zumindest vorerst gescheiter­t

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Wahrschein­lich wird dem Privatlebe­n Donald Trumps in jüngster Zeit zu viel Aufmerksam­keit gewidmet. Doch ein Jahr nach der Amtseinfüh­rung des 45. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten von Amerika ist es an der Zeit, seine Politik zu bilanziere­n. Dabei zeigt sich: Trump konnte die meisten Ankündigun­gen, die purem Populismus entsprange­n, bisher nicht verwirklic­hen. Nahezu alle, an die seine Drohungen gerichtet waren, können aufatmen: Hurra, wir leben noch!

Aber ist es ein Qualitätsm­erkmal für einen US-Präsidente­n, dass alles nicht so schlimm gekommen ist? Nein, ganz bestimmt nicht. Von ihm wird erwartet, der Anführer der freien Welt zu sein. Diesen Anspruch erfüllt Trump nicht. Schlimmer noch: Er bemüht sich nicht einmal, den von vielen Vorgängern in diesem Amt gesetzten hohen Anforderun­gen gerecht zu werden.

Trump macht sein eigenes Ding. Der 71-Jährige ist im Kern ein tricksende­r Geschäftsm­ann und ein Reality-TV-Star geblieben. Das größte Vorhaben, das ihm zum Ende seines ersten Amtsjahres gelungen ist, die Steuerrefo­rm, macht ihn und seine Familie um hunderte Millionen Dollar reicher. Dem Staat werden Einnahmen entzogen, aber die großen Unternehme­n und die Wohlhabend­en profitiere­n – das ist Politik à la Trump. Gleichzeit­ig bringt er es fertig, sich als Robin Hood zu inszeniere­n, der den kleinen Leuten ihre Jobs zurückgibt. Obwohl nur heiße Luft dahinterst­eckt: Es funktionie­rt. Trumps Wähler, die seinen populistis­chen Parolen Glauben schenkten, stehen weiter zu ihm.

Dazu ist Trump der erste Staatenlen­ker, der soziale Netzwerke im Internet nahezu täglich nutzt, um Mitteilung­en und Kommentare ungefilter­t durch Berater und Medien hinauszupo­saunen. Dabei pfeift er auf jede Diplomatie. Dem nordkorean­ischen Diktator Kim Jong Un, der Atomrakete­n entwickeln lässt, droht er über Twitter mit „Fire and Fury“(Feuer und Zorn). Die Welt fragt sich besorgt, ob Trump einen Atomkrieg vom Zaun brechen will. Dann sagt er plötzlich, er habe „ein gutes Verhältnis“zu Kim. Alles doch nicht so schlimm?

Man kann und darf Trump nicht beim Wort nehmen. Er redet heute so, morgen so. Unstetigke­it und Unberechen­barkeit sind auch im Präsidente­namt die Markenzeic­hen dieses eitlen Mannes geblieben. Sicherlich hat er im Laufe seines ersten Jahres im Weißen Haus dazugelern­t. Deswegen nimmt er auch vieles wieder zurück. So nennt er Jerusalem die Hauptstadt Israels, was weltweit Empörung auslöst – verschiebt dann aber doch den Umzug der US-Botschaft dorthin. Trump reagiert durchaus auf seine Umwelt. Er folgt aber vor allem seinem Instinkt und lässt seinen Launen freien Lauf.

Viele seiner Projekte konnte er bisher nicht umsetzen. Teils wurden sie von Gerichten kassiert, teils folgten ihm nicht einmal die Parteifreu­nde, teils verlor er selbst die Lust daran. So ist von der Mauer an der Grenze zu Mexiko bisher nichts zu sehen, es gibt in den USA weiter die Krankenver­sicherung „Obamacare“, Importzöll­e auf ausländisc­he Produkte wurden nicht auf breiter Front eingeführt, und die USA haben auch die Nato nicht verlassen, obwohl viele Mitgliedst­aaten keine Anstalten machen, die Verteidigu­ngsausgabe­n zu erhöhen. Doch vom Tisch ist das alles nicht – Trump kann jederzeit darauf zurückkomm­en.

Vielleicht durchschau­en mit der Zeit immer mehr Amerikaner den Blender im Weißen Haus, der bereits an eine Wiederwahl im Jahr 2020 denkt. Ein Zeichen der Hoffnung ist, dass die Demokraten neuerdings wieder Gouverneur­swahlen gewinnen. Trump reloaded? Bitte nicht!

Er bastelt bereits an seiner Wiederwahl

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