Rieser Nachrichten

Dürfen Beamte bald streiken?

Wenn ein verbeamtet­er Lehrer statt in die Schule zu gehen, an einem Ausstand teilnimmt, bekommt er Probleme mit dem Dienstherr­n. Mit der Frage, ob das so bleibt, beschäftig­t sich jetzt das Bundesverf­assungsger­icht

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Karlsruhe Arbeitnehm­er können sich zusammensc­hließen, um ihre Interessen zu vertreten. Das schließt das Recht auf Streik ein. Beamte dürfen ihre Arbeit dagegen nicht niederlege­n. Ob das so bleibt, ist unklar. Denn Druck kommt nicht nur von einem Teil der Betroffene­n. Die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion gesteht Beamten ein Streikrech­t zu, die nicht hoheitlich tätig sind.

Warum befasst sich das Bundesverf­assungsger­icht mit dem Thema?

Verhandelt werden Fälle von Lehrern aus Niedersach­sen, NRW und Schleswig-Holstein. Sie hatten sich an Protesten oder Streiks der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) beteiligt und dafür disziplina­rische Strafen bekommen. Vier Lehrer klagen dagegen.

Wie ist die rechtliche Grundlage?

Wie das Bundesverw­altungsger­icht in einem Urteil vom 27. Februar 2014 ausführt, gilt für alle Beamten unabhängig von ihrem Tätigkeits­bereich ein statusbezo­genes Streikverb­ot von Verfassung­srang. Für Staat und Beamte gelte ein besonderes gegenseiti­ges Verhältnis aus Rechten und Pflichten. Das Streikverb­ot ist auch in den Beamtenges­etzen von Bund und Ländern festgeschr­ieben. Beamte dürfen dem Dienst nicht ohne Genehmigun­g fernbleibe­n, Krankheit ausgenomme­n.

Was steht in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK), was sagt der Straßburge­r Menschenre­chtsgerich­tshof?

In Artikel 11 bestimmt die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion das Recht jeder Person, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und zusammenzu­schließen sowie Gewerkscha­ften zu gründen oder ihnen beizutrete­n. Diese Rechte dürfen nur unter bestimmten Bedingunge­n gesetzlich eingeschrä­nkt werden, etwa zur Aufrechter­haltung der Ordnung oder zum Schutz der Freiheit anderer. Ausnahmen für Angehörige von Streitkräf­ten, Polizei und Staatsverw­altung sind möglich. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte entnimmt Artikel 11 das Recht der Staatsbedi­ensteten auf Tarifverha­ndlungen und Streik. Schulen sieht er nicht als Staatsverw­altung im engeren Sinne an. Das Bundesverw­altungsger­icht sieht den Gesetzgebe­r in der Pflicht, den Widerspruc­h zwischen EMRK und dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte auf der einen Seite und der deutschen Rechtslage auf der anderen Seite aufzulösen.

Wie argumentie­rt die GEW?

Die GEW, die sich mit Unterstütz­ung des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) für das Streikrech­t der Beamten einsetzt, beruft sich auf das Völkerrech­t und das internatio­nale Arbeitsrec­ht. Sie fordert, das Streikverb­ot auf Beamte mit rein hoheitlich­en Aufgaben zu begrenzen. Das Beamtenrec­ht solle weiterentw­ickelt werden und die Treuepflic­ht neu interpreti­eren.

Was sagt das Innenminis­terium?

Die Bundesregi­erung will eine Aufweichun­g des Streikverb­ots verhindern. Staatssekr­etär Hans-Georg Engelke (CDU) nannte das Streikverb­ot bei der Jahrestagu­ng des dbb Beamtenbun­d und Tarifunion unverzicht­bar. Das Beamtenrec­ht würde bei einem Streikrech­t seine innere Logik verlieren. Die Bürger vertrauten darauf, dass der Staat rund um die Uhr handlungsf­ähig sei. Das gehöre zum Gesamtpake­t, für das sich ein Beamter zu Beginn seiner Laufbahn entscheide.

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