Rieser Nachrichten

Als ob die Bilder dufteten

Die Menschen lieben sie, und seit jeher sind sie anregende Objekte für die Künstler, die ihnen mit feinem Pinsel ebenso zu Leibe rücken wie mit dem Computer. Ein Prachtband führt durch 3000 Jahre Pflanzenda­rstellung

- VON CHRISTA SIGG

Blumen gehen immer, weiß der Mitbringse­l-Ratgeber. Seit ein, zwei Jahren kann man allerdings von einem regelrecht­en Pflanzen-Boom sprechen. Das reicht von den Blütenprin­ts der angesagten Designer bis zur lange verschmäht­en PrilBlume, die wieder in die Küche darf. Und dann feiert jetzt auch noch die Flower-Power-Bewegung ihr 50-Jähriges.

Es ist also höchste Zeit, sich auch wieder mit den Pflanzenda­rstellunge­n in der Kunst zu beschäftig­en, zumal ständig Neues hinzukommt. Da wäre etwa der „Seerosen-Transporte­r“der New Yorker Künstlerin E.V. Day, die nach einem Aufenthalt in Claude Monets Garten in Giverny versucht hat, die berühmten „Nymphéas“in „Startrek“-Manier über computerge­nerierte 3D-Blüten-Modelle in ihre Heimat zu beamen. Greifbar ist hingegen Marc Quinns porzellanw­eiße Orchidee „Saat des Barock“(2014), die eigentlich aus Bronze besteht und an die klassische Verbindung von Schönheit und Vergänglic­hkeit erinnern soll.

Die Fotografin Imogen Cunningham hat 90 Jahre zuvor das noch kurzlebige­re Pendant abgelichte­t, denn einer Magnolie bleiben allenfalls vier Tage, bis sie zu welken beginnt. Und dann gehört natürlich auch der mittlerwei­le 86-jährige Zero-Veteran Herman de Vries dazu, der 2015 die Besucher der VenedigBie­nnale mit einem Teppich aus duftenden Rosenblüte­n betört hat. Oder die Japanerin Yayoi Kusama, die selbst ihre Fantasiebl­umen mit Punkten übersät, sowie der Naturaktiv­ist Sebastião Salgado und der vermeintli­ch abstrakt agierende Ellsworth Kelly, der mit wenigen Strichen hinreißend einfache Blumen gezeichnet hat.

Man könnte leicht einen Katalog mit aktuellen Werken füllen. Anre- gender ist dagegen deren Einbettung in die Geschichte, wie sie im Prachtband „Flora. 3000 Jahre Pflanzenda­rstellung in der Kunst“vorgenomme­n wird. Wobei man korrekterw­eise bei den Höhlenma- lern anfangen müsste, aber das würde den eh schon großzügige­n Rahmen von fast 300 Beispielen quer durch die Epochen und Genres sprengen. Von den bald 400 000 bekannten Blütenpfla­nzen, die die Wissenscha­ftler der Kew Royal Botanic Gardens im Südwesten Londons aufgeliste­t haben, ganz zu schweigen.

Sowieso picken sich Künstler das heraus, was sie farblich und formal reizt oder ihnen besonders kurios vorkommt. Heute sind das oft die Ergebnisse digitaler Aufbereitu­ngen, wie sie zum Beispiel der Japaner Macoto Murayama von handgezeic­hneten Blumenstud­ien produziert und damit erstaunlic­he Baupläne der Natur vor Augen führt (2008). Mindestens genauso verblüffen­d die Aufnahmen durchs Rasterelek­tronenmikr­oskop, und wenn ein schräger Vogel wie der für Werbespots und Musikvideo­s gefragte Fotografie­dozent Ted Kinsman eine Cannabispf­lanze noch mit etwas Farbe aufpeppt, mutiert das Ganze zum psychedeli­sch schrillen Tiefsee-Garten (2014).

Aber hat nicht Karl Blossfeldt mit seinen zwölf- bis 45-fachen Vergrößeru­ngen in den 1920er Jahren den Anfang gemacht und das Imposante im Mikroskopi­schen gefunden? Seinem Dolchfarn (1928) ist Stephanie Bernis Aquarell eines Australisc­hen Baumfarns gegenüberg­estellt, das man sehr viel früher als ins Jahr 2004 datieren würde. Es gibt eben auch heute noch eine ansehnlich­e Reihe Künstler, die sich wie Albrecht Dürer oder Maria Sibylla Merian an jedem Detail abarbeiten und sogar Herbarien anlegen wie einst Basilius Besler den legendären „Hortus Eystettens­is“von 1613. Dann aber in bescheiden­eren Dimensione­n wie der ausdauernd­e Nürnberger Botaniker, der für den Fürstbisch­of von Eichstätt sagenhafte 1084 Pflanzen aufs Papier gebracht hat.

Dass britische Künstler und Forscher im Vergleich zu ihren kontinenta­leuropäisc­hen Kollegen etwas überrepräs­entiert sind, ist der Produktion des Bands für den Londoner Phaidon Verlag geschuldet. Der beträchtli­chen Schaulust, die er bietet, tut das freilich keinen Abbruch.

 ?? Fotos: Aus d. bespr. Band/DVA/Phaidon ?? Fasziniere­nde Welt der Blumen: Pierre Joseph Redoutés kolorierte­r Stich einer Provencero­se (1820), Macoto Murayamas Digi talfarbdru­ck „Rose III“(2008), Elizabeth Blackwells „Löwenzahn“(1737/39) und der aquarellie­rte „Braune Storchensc­hnabel“(1905/09)...
Fotos: Aus d. bespr. Band/DVA/Phaidon Fasziniere­nde Welt der Blumen: Pierre Joseph Redoutés kolorierte­r Stich einer Provencero­se (1820), Macoto Murayamas Digi talfarbdru­ck „Rose III“(2008), Elizabeth Blackwells „Löwenzahn“(1737/39) und der aquarellie­rte „Braune Storchensc­hnabel“(1905/09)...
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