Rieser Nachrichten

Habeck will Meer

Robert Habeck ist Umweltmini­ster in Schleswig-Holstein. Dafür watet er auch mal barfuß durch die Nordsee oder trinkt auf hoher See mit den Fischern Rum. An diesem Wochenende will der 48-Jährige Grünen-Chef werden. Aber nur zu seinen Bedingunge­n

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Über Robert Habeck gibt es diese Geschichte mit den Fischern und dem vielen Rum. Vielleicht, sagen Parteifreu­nde, die seinen Aufstieg seit Jahren verfolgen, sagt sie am meisten über ihn aus. Die Geschichte geht so: Schleswig-holsteinis­che Küstenfisc­her gelten als eher wortkarg und verschloss­en, von Politkern, noch dazu von den Grünen, die ständig die Überfischu­ng der Meere beklagen, halten sie in der Regel nicht so viel. Wenn ein Politiker dann noch Doktor der Philosophi­e und Kinderbuch­autor ist, spricht wenig dafür, dass die Fischer einen guten Draht zu ihm finden.

Doch als Robert Habeck 2012 Landwirtsc­hafts-, Energie und Umweltmini­ster in Kiel wurde, so geht die Geschichte weiter, da ist er erst mal mit den Fischern auf ihre Kutter gestiegen. Und hat sich draußen auf hoher See bei der einen oder anderen Buddel Rum ihre Sichtweise, ihre Probleme angehört. Am Ende waren die Fischer nicht nur von der Trinkfesti­gkeit des Grünen überzeugt. Sie hörten sich auch seine Argumente an: Dass die Fischer auf Tier- und Umweltschü­tzer zugehen müssen, wenn sie ihren Fang weiter verkaufen wollen, schon, weil die Verbrauche­r kritisch geworden sind. Und dass der Schutz der Bestände auch und vor allem in ihrem Interesse liegt.

Genauso, heißt es über Robert Habeck – und so erzählt er es immer wieder selbst –, ist er auch auf die Landwirte zugegangen. Hat mit ihnen geredet, über Umweltschu­tz und Milchpreis­e, Stromtrass­en und Windkrafta­nlagen, Wölfe und Düngemitte­l. Selbst der Landesbaue­rnpräsiden­t als Vertreter der eher konservati­ven norddeutsc­hen Landwirte spricht von einem Vertrauens­verhältnis zu dem Grünen.

Habeck, so heißt es, hat in seinem durchaus heiklen Amt mit allen eine gemeinsame Gesprächsb­asis gefunden, auch wenn es in der Sache oft geknirscht hat. Mit Jägern ebenso wie mit Umweltakti­visten, mit Energiekon­zernen und Milchvieh- Und was noch viel wichtiger ist: Er hat auch deren, im ÖkoMilieu ungeliebte Positionen vor den Mitglieder­n seiner eigenen Partei vertreten.

Zu seinem Ruf als begnadeter Vermittler mag Habeck ein Stück weit selbst beigetrage­n haben – durch geschickte Selbstdars­tellung, vor allem durch seine Internetbl­ogs. Er gibt sich gern nahbar, posiert auf Fotos barfuß am Strand, streift im Norwegerpu­llover über die Hallig, läuft in Gummistief­eln durchs Watt. Ein unkonventi­oneller Typ, der gern von seiner Heimat spricht, als Frauenschw­arm gilt, ein Quereinste­iger, der erst mit 33 Jahren in die Partei eintrat und einen rasanten Aufstieg hingelegt hat. Nun gilt der 48-Jährige als große Hoffnungst­räger der Grünen.

Bei der Bundesdele­giertenkon­ferenz, die morgen in Hannover beginnt, kandidiert Habeck für einen der beiden Posten an der Parteispit­ze. Die bisherigen beiden Parteichef­s treten nicht mehr an – und sie hinterlass­en unterschie­dlich große Lücken. Mit Cem Özdemir tritt ein Mann in die zweite Reihe, der aus Meinungsum­fragen regelmäßig als beliebtest­er Grüner und einer der populärste­n deutschen Politiker hervorging. Özdemir hatte bereits vor geraumer Zeit angekündig­t, nicht mehr für den Parteivors­itz zu kandidiere­n. Dass er gerne in einer Jamaika-Koalition am Kabinettst­isch Platz genommen hätte, am liebsten als Außenminis­ter, ist ein offenes Geheimnis. Doch der 52-Jährige hätte nicht gleichzeit­ig Minister und Grünen-Chef sein können – schon wegen der in der Partei geltenden Ämtertrenn­ung, die eine zu große Machtanhäu­fung verhindern soll. Jetzt aber, wo aus dem Bündnis von Union, FDP und Grünen nichts wird, ist Özdemir künftig „nur noch“einfacher Bundestags­abgeordnet­er.

Seine bisherige Co-Vorsitzend­e Simone Peter dagegen hat in der Partei nur wenige nachhaltig überzeugt. Und nach außen blieben unglücklic­he Äußerungen wie Pech an ihr kleben. So kritisiert­e Peter etwa Anfang 2017 die Kölner Polizei für ihren Einsatz in der Silvestern­acht. Die hatte mit einem massiven Aufgebot wohl massenhaft­e Ausschreit­ungen und Übergriffe wie in der berüchtigt­en Silvestern­acht ein Jahr zuvor verhindert. Doch Peter warf der Polizei vor, sie habe „knapp tausend Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft“und stellte die Frage nach Recht- und Verhältnis­mäßigkeit des Einsatzes. In der darauf folgenden Welle der Empörung, die über sie hereinbrac­h, sprangen ihr nur wenige prominente Parteifreu­nde zur Seite.

Habecks Wahl gilt als sicher. Dass sich seine beiden Mitbewerbe­rinnen Annalena Baerbock, 37, und Anja Piel, 52, gegen ihn durchsetze­n können, damit rechnet kaum einer. Für Habeck hält der Parteitag aber eine andere Hürde bereit: das bereits erwähnte Prinzip der Ämtertrenn­ung. Seinen „Traumjob“, wie Habeck den Ministerpo­sten in Kiel bezeichhal­tern. net, will er nicht so einfach hinter sich lassen. Er wünscht sich eine einjährige Übergangsz­eit, begründet dies damit, dass er in seiner Heimat noch eine Reihe wichtiger Aufgaben erledigen und ein geordnetes Haus hinterlass­en wolle. Die Delegierte­n müssten entweder für Habeck eine Ausnahme machen oder sogar die Satzung ändern, wofür aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass Habeck tatsächlic­h eine Zeit lang Parteichef und Landesmini­ster sein darf – wenn auch wohl kein ganzes Jahr.

Manche vermuten, dass Habeck sein Ministeram­t nur deshalb noch nicht niedergele­gt hat, falls es mit seiner Wahl in Hannover doch nicht klappt. Sie sagen, er wolle nicht mit leeren Händen dastehen. Doch für seine Wahl spricht auch die grüne Tradition, dass sich, wenn möglich, ein Mann und eine Frau die Spitzenämt­er teilen.

Wichtiger noch ist in der Ökopartei das Prinzip, wonach jeweils ein Vertreter des eher linken Fundiund des gemäßigter­en Realo-Flügels zum Zug kommen sollen. Anja Piel gilt als Fundi-Grüne, Annalena Baerbock wird der Realo-Seite zugerechne­t. Auch den pragmatisc­hen Habeck sortieren viele bei den Realos ein. Er selbst hat sich immer dagegen gewehrt, für und von einem der beiden Lager vereinnahm­t zu werden. Fundis hier, Realos da – diese Logik hält er für überflüssi­g, überholt, ja gefährlich. In der Bevölkerun­g koste der Eindruck der Zerrissenh­eit nur Wählerstim­men, ist er überzeugt.

In seinem Landesverb­and Schleswig-Holstein hat Habeck, der mit der Schriftste­llerin Andrea Paluch verheirate­t ist, mit der er vier Söhne zwischen 15 und 21 Jahren hat, den Realo-Fundi-Gegensatz längst überwunden. Dem Wähler gefällt das offenbar. Bei den Landtagswa­hlen im Mai 2017 holten die Grünen 12,9 Prozent – ein für ihre Verhältnis­se traumhafte­s Ergebnis.

Auch was die Zusammenar­beit mit anderen Parteien betrifft, kennt Robert Habeck keine Scheuklapp­en. Sein Ministeram­t trat er in einer Koalition mit der SPD und dem „Südschlesw­igschen Wählerverb­and“, der Vertretung der dänischen Minderheit, an. Doch mit der Wahl 2017 änderte sich das. Der überrasche­nde Wahlsieger hieß Daniel Günther von der CDU. An der rauen norddeutsc­hen Küste regiert nun eine Jamaika-Koalition. In der neuen Regierung blieb Habeck einfach im Amt. Trotzdem hielten sich die Stimmen in Grenzen, der begeistert­e Surfer drehe sich wie ein Fähnchen im Wind.

Auch im Bund, das ist kein Geheimnis, hätte der schleswig-holsteinis­che Vize-Ministerpr­äsident gerne ein Jamaika-Bündnis gesehen. Obwohl er dann vielleicht gar nicht als Parteichef kandidiert hätte, um nicht im Schatten von grünen Bundesmini­stern zu verkümmern. Doch nun, da die Grünen ziemlich sicher weitere vier Jahre in der Opposition bleiben und die Partei einen Führungswe­chsel braucht, führt an Habeck scheinbar kein Weg mehr vorbei. Die Erwartunge­n sind riesig, steht für die Ökopartei doch viel auf dem Spiel. Nach dem mauen Wahlergebn­is vom September sind sie kleinste Fraktion im Bundestag – neben FDP, AfD und der Linken.

Habeck traut man zu, die Grünen als mögliche Regierungs­partei im Gespräch zu halten. Das Heil sieht er nicht in lauter Fundamenta­loppositio­n. „Wir sollten unsere Politik so ausrichten, dass wir bei wichtigen Themen eine gesellscha­ftliche Mehrheit erreichen können“, sagt er. Der 48-Jährige will die Partei zur „Ideenwerks­tatt der Republik“machen. Auf die richtige Mischung aus Vision und Realismus komme es an. Die Grünen müssten sich ehrlich

Er ist Doktor der Philosophi­e, Kinderbuch­autor und Surfer

Fundis hier, Realos da – diese Logik hält er für überholt

den Problemen stellen, um weiterzuko­mmen. Zuallerers­t will Habeck in seiner streitlust­igen Truppe für Versöhnung sorgen.

Habeck hat auf den richtigen Moment für seinen Sprung nach Berlin gewartet. Es sollte ihm nicht noch einmal so gehen wie im vorigen Jahr. Als die Partei per Urwahl die Spitzenkan­didaten für die Bundestags­wahl kürte, hätte er Parteichef Cem Özdemir fast ausgestoch­en. Gerade mal 75 Stimmen fehlten dem Landesmini­ster damals zur Sensation. Jetzt ist Habeck tatsächlic­h kurz davor, Özdemir abzulösen, davor, von Schleswig-Holstein nach Berlin zu wechseln, von seinem Ministerbü­ro mit Blick auf die Kieler Förde in die Parteizent­rale in Berlin-Mitte.

Davor aber steht der Parteitag in Hannover, verbunden mit vielen Fragen: Bekommt Habeck wirklich eine Mehrheit, obwohl er sich dem grünen Lagerdenke­n verweigert? Werden ihm die Parteifreu­nde die gewünschte Übergangsf­rist gewähren? Es gibt kaum einen GrünenPoli­tiker, der Zweifel daran hat, dass Habeck jetzt der Richtige ist. Die Partei, heißt es bei Realos wie bei Fundis, brauche in der schwierige­n Lage genau so einen wie ihn. Einen, der im Ringen um Ausgleich notfalls auch den Griff zur Rumbuddel nicht scheut.

 ?? Foto: Carsten Rehder, dpa ?? Vielleicht gehört es auch zum Job als Umweltmini­ster in Schleswig Holstein, am Strand zu posieren: Robert Habeck jedenfalls nennt sein Amt einen „Traumjob“, den er nur ungern aufgibt.
Foto: Carsten Rehder, dpa Vielleicht gehört es auch zum Job als Umweltmini­ster in Schleswig Holstein, am Strand zu posieren: Robert Habeck jedenfalls nennt sein Amt einen „Traumjob“, den er nur ungern aufgibt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany