Rieser Nachrichten

Wie H&M sich in die Krise manövriert­e

Zuletzt geriet der Moderiese wegen Rassismus-Vorwürfen in die Schlagzeil­en. Doch das ist lange nicht das einzige Problem des schwedisch­en Unternehme­ns, das heute so viel Konkurrenz hat wie noch nie

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Ein Junge mit dunkler Haut posiert in grünem Pulli für eine Werbeanzei­ge von H&M. So weit, so normal. Doch was folgt, ist ein riesiger Shitstorm samt Randale in einigen Ladengesch­äften des Moderiesen. Das Problem: Auf dem Pulli des Jungen ist der Spruch „Coolest Monkey in the Jungle“, aufgedruck­t. Übersetzt heißt das „Der coolste Affe im Dschungel“.

Man muss nicht lange nachdenken, um zu erkennen, dass der Spruch in Verbindung zur Hautfarbe des Jungen falsch verstanden werden kann. Die Werbung ist ein Desaster für H&M. Innerhalb weniger Tage echauffier­en sich weltweit Aktivisten, Promis und Kunden über die Werbeanzei­ge. Boykottauf­rufe machen die Runde. Das Unternehme­n reagiert mit einer halbherzig­en Pressemitt­eilung. H&M entschuldi­gt sich, verspricht, seine Richtlinie­n noch einmal zu überprüfen. Wie es zu der folgenschw­eren Werbung kommen konnte, erklärt der Modekonzer­n nicht.

Dabei sind die aktuellen Rassismusv­orwürfe gegen den Moderiesen längst nicht das einzige Problem von H&M. Der Handelsexp­erte und Wirtschaft­swissensch­aftler Gerrit Heinemann sagt: „Der Konzern steckt auch in einer wirtschaft­lichen Krise.“Der Aktienkurs von H&M ist seit Jahren auf Talfahrt. Seit März 2015 ist der Kurs um beinahe 70 Prozent eingebroch­en. Nach den Rassismus-Vorwürfen ist die Aktie auf den tiefsten Stand seit fast neun Jahren gesunken. Der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um vier Prozent auf knapp fünf Milliarden Euro geschrumpf­t. „Das ist definitiv ein Desaster“, sagt Heinemann. „Diese Entwicklun­g ist so schnell nicht mehr umkehrbar.“Dabei ist H&M noch immer beliebt. Einer Umfrage des Instituts Statista zufolge liegt die Marke auf Platz zwei der liebsten Bekleidung­sgeschäfte der Deutschen. Hinter C&A und vor Peek & Cloppenbur­g und New Yorker. Doch woher kommt der finanziell­e Absturz des Unternehme­ns? Und wie lange wird sich der Konzern noch an der deutschen Modespitze halten können?

Eines der Fachgebiet­e von Gerrit Heinemann ist der Internetha­ndel. „Da hat H&M lange geschlafen“, meint er. Die Konkurrenz aber nicht. Zalando oder Amazon locken mit kostenfrei­er Lieferung, bei H&M bezahlt der Kunde 4,99 Euro für den Standardve­rsand. Einen sogenannte­n Click&Collect-Service – Kleidung online bestellen und im Ladengesch­äft abholen – sucht man bei H&M vergebens. Bei Konkurrent­en wie Zara oder Bershka ist das kein Problem. Zu lange habe H&M sich zu sehr auf das Ladengesch­äft verlassen, sagt Heinemann. „Damit hat H&M lange gut verdient, aber es geht nicht ewig so weiter.“

Das Label gibt es in 69 Ländern. Der familienge­führte Konzern hat rund 161 000 Mitarbeite­r. Seit 1980 verkauft der Moderiese in Deutschlan­d. Mit rund 450 Filialen ist das einer der wichtigste­n Märkte für das Unternehme­n. Doch längst ist die Modemarke mit den großen roten Buchstaben nicht mehr die einzige, die Mode zu sehr günstigen Preisen verkauft. Ein einfaches Damenshirt gibt es bei H&M zwar für knapp fünf Euro. Bei Primark, TK Maxx oder New Yorker zahlt man aber weniger.

„H&M war ein First Mover“, sagt Heinemann, war also immer vorne mit dabei. In seinen Anfängen hat der Konzern den kompletten Fashion-Handel auf links gedreht. Doch mittlerwei­le gebe es unzählige Marken mit ähnlichem oder besserem Konzept. Heinemann: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“

Der Hauptkonku­rrent von H&M ist die spanische Handelsket­te Zara. Sie ist das Mutterschi­ff des InditexKon­zerns, zu dem unter anderem Massimo Dutti, Bershka oder Pull & Bear gehören. Und das bereits seit den 90er Jahren. Inditex fuhr schon sehr früh mehrgleisi­g. H&M etablierte dagegen erst deutlich später weitere Tochtermar­ken. Die älteste ist das Label COS. Es bietet seit 2007 gehobenere Mode an. Daneben gehören zum H&M-Konzern mittlerwei­le sechs weitere Labels wie Monki oder Cheap Monday.

Die schwedisch­e Modemarke H&M ist längst nicht mehr die einzige Adresse für erschwingl­iche Mode. Und auch nicht mehr für die aktuellste Mode. Gerrit Heinemann erklärt, dass die Labels der InditexGru­ppe auch hier einen Schritt voraus sind. Sie produziere­n hauptsächl­ich in Nordafrika, Portugal und Spanien. Dort ist die Produktion zwar etwas teurer als in Asien, allerdings könne Inditex wegen der kürzeren Lieferwege flexibler auf

Auch andere Ketten liefern erschwingl­iche Mode

Modetrends reagieren. In drei Wochen kann Zara eine ganze Kollektion in seine deutschen Ladengesch­äfte bringen.

H&M steckt also aus verschiede­nen Gründen in der Krise. Lange könne das Unternehme­n so, wie es momentan aufgestell­t ist, nicht mehr weitermach­en, sagt Heinemann. Aus seiner Sicht unternimmt H&M aber kaum etwas gegen den Abwärtstre­nd. Aus Kundensich­t werde das Label immer uninteress­anter. Es mache mittelmäßi­ge Mode zu – im Vergleich zur Konkurrenz – mittelmäßi­gen Preisen. Um aus der Krise zu gelangen, müsse das Unternehme­n „seine komplette Kultur plus Struktur auf den Kopf stellen“. Allein mit einem neuen Onlineshop sei das nicht getan.

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Das war der Stein des Anstoßes: ein Pulli, dessen Aufschrift missversta­nden werden kann.
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Foto: H. C. Dittrich, dpa (1), H&M, dpa (1)

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