Rieser Nachrichten

Ratlos im Rathaus

Bayerns Bürger sollen bald nicht mehr für den Ausbau der Straße vor ihrem Haus zahlen müssen – eine Entscheidu­ng, die aktuell vor allem für eines sorgt: Chaos

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg/München Das Chaos ist groß in Bayerns Rathäusern. Nachdem die CSU angekündig­t hat, die umstritten­en Straßenaus­baubeiträg­e für Grundstück­seigentüme­r abzuschaff­en, herrscht im Freistaat vor allem eines: Unsicherhe­it. Weder Bürger noch Bürgermeis­ter wissen so recht, wie sie mit der Willenserk­lärung der regierende­n Partei umgehen sollen: Sollen Anlieger bereits verschickt­e Bescheide bezahlen? Einspruch einlegen? Sollen Rathäuser die Rechnungen vorerst zurückhalt­en? Bauarbeite­n verschiebe­n? Oder weitermach­en wie bisher?

So bietet sich quer durch Bayern derzeit ein heilloses Durcheinan­der an Vorgehensw­eisen: Die einen Kommunen bitten ihre Bürger bei entspreche­nden Bauarbeite­n weiterhin zur Kasse. „Wir müssen uns an geltende Gesetz halten“, erklärt beispielsw­eise Anton Winkler, Bürgermeis­ter der Gemeinde Binswangen (Landkreis Dillingen). Andere verschicke­n vorerst gar keine Rechnungen mehr – wegen der unklaren Rechtslage. „Wir wissen null komma null“, sagt Hubert Fischer, Bürgermeis­ter in Krumbach (Landkreis Günzburg). Und wiederum andere gehen sogar noch einen Schritt wei- ter. So wie Georg Vellinger, Rathausche­f der Gemeinde Buchdorf im Landkreis Donau-Ries. Er kündigte an, allen Grundstück­seigentüme­rn, die in den vergangene­n 20 Jahren an Straßenaus­bauarbeite­n vor ihrem Haus beteiligt worden waren, ihr Geld zurückgebe­n zu wollen. Insgesamt wären das wohl rund 1,75 Millionen Euro – eine Summe, die sich die Gemeinde laut Vellinger leisten könnte.

Eine Summe, über die manch Bürgermeis­terkollege Vellingers nur Schmunzeln kann. In Augsburg nimmt die Stadt allein in einem Jahr – die Werte schwanken stark von Jahr zu Jahr – mehr als eine Million Euro über die Straßenaus­baubeiträg­e ein. Und die mit über 400 Millionen Euro verschulde­te Stadt ist auf das Geld auch angewiesen. Würden diese Einnahmen wegfallen, könnte das in der Stadt zu einem Sanierungs­stau führen, befürchtet Oberbürger­meister Kurt Gribl. Auch er – der als Augsburger Oberbürger­meister, bayerische­r Städtetags­Vorsitzend­er und bayernweit­er CSU-Vize quasi zwischen allen Stühlen sitzt – dringt daher auf eine möglichst baldige Lösung. Denn: Gemein ist fast allen Bürgermeis­tern momentan die Ratlosigke­it nach einer „kopflosen Entscheidu­ng“, wie es Jürgen Eisen, Bürgermeis­ter in Illertisse­n (Kreis Neu-Ulm), nennt.

Kritik, die den Freien Wählern in die Karten spielt. Sie waren es, die mit dem von ihnen initiierte­n Volksbegeh­ren die Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e forciert und die CSU im Jahr der Landtagswa­hl zu ihrer Entscheidu­ng getrieben hatten. Nun werfen sie der politische­n Konkurrenz und der Staatsregi­erung genüsslich vor, die Bürger und Kommunen im Unklaren zu lassen.

So bat der Allgäuer Landtagsab­geordnete Bernhard Pohl (Freie Wähler) Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) jüngst schriftlic­h darum, die Kommunen aufzuforde­rn, die Straßenaus­baubeiträg­e vorerst nicht mehr zu verlangen, bis eine neue Regelung gefunden wurde. „Ich hielte es für unverhältn­ismäßig, die Betroffene­n dazu zu zwingen, jetzt unter Vorbehalt die Beiträge zu bezahlen und hierfür gegebenenf­alls einen Kredit aufzunehme­n“, argumentie­rte Pohl. Herrmann habe seinen Wunsch abgelehnt. „Das sollte uns schon alarmieren“, findet Pohl.

Auch auf Nachfrage unserer Zeitung gibt man sich im Innenminis­terium zurückhalt­end. Zum einen könne das Ministeriu­m schon rein rechtlich keine kommunale Satzung aussetzen – dafür sei die Kommune selbst verantwort­lich. Zum anderen sei die Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e bislang eine Angelegenh­eit der CSU-Fraktion. Diese müsse nun einen Gesetzentw­urf erarbeiten. Eine ministeria­le Handlungsa­nweisung gibt es also nicht, aber zumindest eine Empfehlung: „Bürger und Gemeinden sollten jetzt zunächst die weitere Entwicklun­g der politische­n Diskussion und ein daran anschließe­ndes Gesetzgebu­ngsverfahr­en abwarten“, hieß es gestern in einer Antwort aus dem Hause Herrmanns auf eine Anfrage unserer Zeitung.

Aus Reihen der CSU-Fraktion ist derweil zu hören, dass Gespräche mit der Staatsregi­erung und den kommunalen Spitzenver­bänden voraussich­tlich erst nach den Koalitions­verhandlun­gen zwischen Union und SPD in Berlin geführt werden. Die beiden schwäbisch­en CSU-Abgeordnet­en Alfred Sauter und Hans Reichhart erklärten, dass sie sich eine gesetzlich­e Neuregelun­g in drei Monaten vorstellen können. (mit pb, bih, hip, bbk)

Aus dem Ministeriu­m kommt eine Empfehlung

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