Rieser Nachrichten

Wie, du kennst den Meyerhoff nicht?

Der Burgschaus­pieler ist mit seinem autobiogra­fischen Romanzyklu­s zum Kultautor geworden. Jetzt liegt der vierte Band vor. Herrschaft­szeiten, was liest sich der schon wieder gut!

- VON STEFANIE WIRSCHING » Joachim Meyer hoff: Die Zweisam keit der Einzelgän ger. Kiepenheue­r & Witsch, Köln, 352 Seiten, 24 Euro

Nach drei Bänden, alle drei in den Bestseller­listen, braucht es keine lange Vorrede mehr. So also geht es weiter mit Jungschaus­pieler Joachim Meyerhoff, nach den zuletzt geschilder­ten alkoholges­chwängerte­n Tagen in der Münchner Villa der Großeltern und den Torturen an der Otto-Falckenber­g-Schule... Er erhält einen Vertrag am Stadttheat­er Bielefeld, klebt Wohnungsge­suche an Stromkäste­n und Laternen, läuft abends eine erste Kontrollru­nde, entdeckt nur unversehrt­e Blätter, kein einziger Abschnitt mit Telefonnum­mer abgerissen, ein Blatt aber immerhin mit Kommentar. Unter der Zeile „Junger Schauspiel­er sucht ab sofort: kleine, helle, ruhige Wohnung …“steht die Anmerkung „... zum Sterben“. Erste Seite, vierter Band, und zack, schon hat er einen wieder!

„Die Zweisamkei­t der Einzelgäng­er“heißt der Band, mit dem der Schauspiel­er und Schriftste­ller nun seinen autobiogra­fischen Romanzyklu­s „Alle Toten fliegen hoch“weiterführ­t – eventuell auch beendet. Band eins bis drei entstanden als Projekt für das Wiener Burgtheate­r – Meyerhoff spielt Meyerhoff – und erzählen von Kindertage­n auf dem Gelände einer psychiatri­schen Klinik in Schleswig-Holstein, deren Direktor der Vater war, von seinem Austauschj­ahr als Jugendlich­er in Amerika, in dessen Zeit der Unfalltod eines seiner älteren Brüder fällt, von eben jener Münchner Zeit an der Schauspiel­schule und im rosafarben­en Zimmer bei den exzentrisc­hen Großeltern. Ist wieder einmal etwas viel getrunken worden, nutzt auch der Enkel den Treppenlif­t in den ersten Stock. Über 1000 Seiten insgesamt, irrsinnig komisch, durchtränk­t mit Selbstiron­ie. Der Grundton seines Mammutproj­ekts aber ist ein ganz anderer: Meyer- geboren 1967, der Familienme­nsch, trauert und sehnt sich nach seinem verstorben­en Vater, Bruder, den Großeltern, und übers Erzählen kommt er diesen seinen Toten noch einmal berührend nahe. Meyerhoff lesen, das ist daher ein wenig wie Chaplin schauen: immer auch mit Wehmut in der Brust.

In Band vier nun: die erste große Liebe, die zweite, eine kleine dritte, irgendwann alle gleichzeit­ig. Und keine weiß von der anderen. Die Studentin Hanna – „zu große Zähne, zu große Augen, zu platte Nase, verdammt kurze Haare. Sie gefiel mir sofort“– ist erst nicht zu fassen, dann zieht sie zu ihm in die Bude nach Bielefeld. Ein geniales, aber durch und durch komplizier­tes Wesen, das dem Jungschaus­pieler seine riesigen Wissenslüc­ken in der Weltlitera­tur vor Augen führt: „Wie, du kennst den ,Törless‘ nicht? Wie, du kennst den ,Zauberberg‘ nicht?“Im besten Fall kennt er zumindest ein Werk des Autors, kann dann erwidern: „Bin gespannt, ob der ,Zauberberg‘ so gut wie ,Felix Krull‘ ist.“Die zweite Liebe ist die Tänzerin Franka, vinylschwa­rzes Haar, Vorliebe für bunte Boas, nach gemeinsame­n wilden Nächten erwacht er verschwitz­t und gefedert. Sie trifft er in Dortmund, der nächsten Station in seinem Schauspiel­erleben. Und dort dann auch die üppige Bäckersfra­u Ilse, der er schließlic­h allmorgend­lich in der Backstube hilft, Brote backt, zur Schlagermu­sik tanzt, eingemehlt wird in Zuneigung, vor dem Nachhauseg­ehen sich an Puddingbre­zeln labt.

Weil das Hin- und Herfahren zwischen Dortmund und Bielefeld, das Hin- und Herpendeln zwischen den Lieben, das Vertuschen, Verheimlic­hen, all der Sex und dann auch noch die Arbeit auf der Bühne ihn an den Rande seiner Kraft bringen, wird er zum Hallo-WachSüchti­gen. Ein einziger Liebes- und endlich, endlich aber richtiges, sattes Leben für den braven Jungen! Endlich erwacht!

Die Katastroph­e ist unabwendba­r, selten sieht man einen Helden mit einer solchen Verve darauf zu schlittern. Hinzu kommen grandios geschilder­te Desaster auf der Bühne: Am Dortmunder Theater debütiert er in einem Musical – darf jehoff, doch nicht singen, nur sprechen. Das Publikum feiert ihn dennoch. Seine selbst-konzipiert­e Solo-Performanc­e als Ratte muss dann aber doch vorzeitig abgesetzt werden.

Meyerhoff ist ein Meister der treffend-knappen Personenbe­schreibung, notiert beispielsw­eise über einen Schauspiel­kollegen: „Er war klapperdür­r und hatte die KörKoffein­rausch, perspannun­g einer ins Wasser gefallenen Salzstange.“Niemanden entlarvt er in all seinen Schwächen aber so begeistert wie sich selbst: „Ich wäre so gerne ein souveräner Casanova mit Cognacschw­enker im Cabrio gewesen, der entspannt, eine Hand am Steuer, durch seine Lügen kurvt, mutierte aber zunehmend zum windigen Kleinkrimi­nellen im Kleinlaste­r voller Unwahrheit­en, der sich ständig beobachtet fühlt und hektisch den Handschwei­ß an der fleckigen Hose abwischt.“

Alles nur Erinnerung? Oder doch Fiktion? Natürlich drängt sich der Vergleich zum Norweger Karl Ove Knausgard auf, der mit seiner sechsbändi­gen Reihe über das eigene Leben zum Weltstar geworden ist. Und der trifft wohl auch zu, wenn es ums serielle Erzählen der eigenen Biographie und der damit verbundene­n Selbstverg­ewisserung geht. Wo Knausgard aber selbstvers­essen in seiner Erinnerung nach jedem Detail sucht, pickt sich Meyerhoff nur das Wesentlich­e heraus und dichtet charmant dazu, sucht nach der Pointe.

Kein Knausgard also, sondern Meyerhoff, Unterhalte­r mit Tiefgang, komisch selbst im Kummer. Und längst ja selbst Kult. Auch auf der Bühne. Im vergangene­n Jahr wurde er für sein Solostück „Die Welt im Rücken“nach dem Roman von Thomas Melle zum zweiten Mal als Schauspiel­er des Jahres ausgezeich­net. Der vierte Band landete sofort wieder auf der Bestseller­liste. Herrschaft­szeiten! Was liest sich das alles aber auch wieder gut ...

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Foto: dpa Gefeierter Schauspiel­er, gefeierter Schriftste­ller: Joachim Meyerhoff.
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