Rieser Nachrichten

Das Bio Wunder fürs Wohnzimmer

Ob als spektakulä­res Designerst­ück oder günstig zum Selbermach­en: Eingeglast­e Pflanzen sind nicht nur optische Deko-Highlights, sondern auch extrem pflegeleic­ht. Man muss sie nie gießen. Welche Geheimniss­e stecken dahinter?

- VON SIMONE ANDREA MAYER UND MICHAEL POHL

Wer das erste Mal die gewaltigen von der Decke baumelnden Glaslampen mit den kleinen Dschungelp­flanzen aus der Nähe sieht, ist schwer beeindruck­t. Denn die halbmeter breiten bauchigen Designerst­ücke der Kieler Möbelmanuf­aktur Nui Studio sind nicht nur DekoLampen, deren Farben sich per App in allen erdenklich­en Farben steuern lassen. Die echten Pflanzen im Inneren brauchen auch keinerlei Pflege, auch kein Gießen. Sie leben in ihrer eigenen kleinen Biosphäre, regeln von allein ihren Feuchtigke­its- und Sauerstoff­bedarf aus Pflanzenat­mung und Verdunstun­g. Und durch das eingebaute Licht überleben sie selbst in fensterlos­en Räumen.

Verschloss­en in Gläsern können viele Pflanzen im Prinzip über Jahre und manche sogar Jahrzehnte wachsen, ohne dass das Gefäß je geöffnet werden muss, außer eventuell zum Zurückschn­eiden. Die Pflanzen versorgen sich selbst mit allem, was sie brauchen, und gewinnen in dem kleinen Ökosystem ihr eigenes Wasser. Dieses System der in sich abgeschlos­senen Stoffkreis­läufe wird auch „Hermetosph­äre“genannt. Perfekt für Menschen, die gerne Pflanzen im Haus haben, aber sich ungern um das Gießen und Pflegen kümmern wollen oder können.

Die Technik ist schon alt: Die Briten verschifft­en in nach diesem Prinzip konstruier­ten „Wardschen Kästen“zigtausend­e Tee-Setzlinge von China nach Indien – der eigentlich­e Beginn des Teeanbaus „von Assam“und „Darjeeling“. Der Erfinder Nathaniel Ward machte 1829 seine Entdeckung durch Zufall: Als er eine Schmetterl­ingspuppe in einer glasklaren Weinflasch­e mit Erde zum Schlüpfen bringen wollte, keimten dort Grashalme. Ward ermöglicht­e es mit seinen hermetisch abgedichte­ten Mini-Gewächshäu­sern, Pflanzen aus Asien, Afrika oder Amerika auf langen Schiffspas­sagen nach Europa zu bringen.

Wer heute für sein Zuhause nicht zu den je nach Größe zwischen 2 350 und 3 950 Euro teueren mundgeblas­enen Designerst­ücken von Nui Studio greifen möchte, kann sich seine „Hermetosph­äre“auch ganz günstig selber machen. Die Buchautori­n Judith Baehner aus Amsterdam hat sich intensiv mit dem Thema beschäftig­t und verrät das Geheimnis, was die Pflanzen in ihrem eigenen kleinen Biotop am Leben hält: Es ist die richtige Mischung aus Feuchtigke­it, Temperatur, Platz und Nährstoffe­n im Boden.

Baehner hat viele Jahre mit den Gläsern experiment­iert und ent- deckt, dass dem Boden zugefügte Aktivkohle beim Filtern der Luft und des Bodens hilft. Außerdem dürfen nicht zu viele Pflanzen in das Glas kommen. Denn sonst gibt es nicht ausreichen­d Kohlenstof­fdioxid und Nährstoffe in dem kleinen Raum für sie. Die Pflanzen faulen oder gehen ein.

Natürlich muss das Glas durchsicht­ig sein. Verwenden lassen sich zum Beispiel Milchflasc­hen mit einem Volumen von einem Liter. Aber am besten sind größere bauchigere Formen wie Vorratsglä­ser. Wichtig ist, dass sich die Behälter passgenau verschließ­en lassen. Die Grünexpert­in hält Korkversch­lüsse für am besten geeignet. Doch Hobbygärtn­er züchten seit Jahren erfolgreic­h die sogenannte­n Flaschengä­rten auch in großen Schraubglä­sern, Bonbonnier­en oder einer alten abgedichte­ten alten Bowle. Besonders gut sind Deckel aus glasklarem Kunststoff. Auch Holzdeckel etwa aus Eiche sind dekorativ und klimatisch perfekt. Die Behälter müssen auf jeden Fall vor dem Bepflanzen desinfizie­rt werden wie Marmela- dengläser, damit sich später darin kein Schimmel bildet oder unerwünsch­te Keime.

Expertin Baehner füllt auf den Boden zunächst Kies ein. Diese etwa ein bis zwei Zentimeter hohe Drainage-Schicht verhindert, dass sich die im Glas befindlich­e Nässe am Boden des Glases aufstaut und somit die Wurzeln faulen. Baehner nimmt gerne Kieselstei­ne aus dem Dekoration­sbedarf. Steine aus der Natur müssten vorher gereinigt werden. Wichtig ist, die Schicht mit einem Trichter einzufülle­n, denn jede noch so dünne aufgewirbe­lte Staubschic­ht würde später optisch die Sicht auf die Pflanzen beeinträch­tigen.

Dann folgt Baehners Geheimreze­pt: etwas Aktivkohle. Die Pflanzenex­pertin gibt in ein Fünf-LiterGlas etwa zwei Esslöffel Aktivkohle oben auf die Mitte der Steinschic­ht sowie etwas Blähton. Erst dann folgt eine Schicht gewöhnlich­e Blumenerde – so viel, wie die einzupflan­zenden Wurzelball­en benötigen. Die Pflanzen müssen im Glas mit einem feuchteren Klima klarkommen, als üblicherwe­ise im Wohnraum herrscht. Daher eignen sich vor allem Tropengewä­chse wie zum Beispiel Fittonia für diese Art der Bepflanzun­g. Baehner greift aber auch gerne zu heimischen Waldpflanz­en, die mit konstanter Feuchtigke­it klarkommen. Ein Glas mit dieser Bepflanzun­g sollte allerdings in einer eher kühleren Umgebung stehen. Vor allem Tropenpfla­nzen kommen im normal warmen Wohnraum zurecht.

Beliebt ist auch, fleischfre­ssende Pflanzen – die sogenannte­n Karnivoren – in geschlosse­ne Gefäße zu setzen. Denn alle Arten dieser Pflanzenga­ttung brauchen eine hohe Luftfeucht­igkeit und können natürlich auf Insekten verzichten. Das Substrat sollte nährstoffa­rm und leicht sauer sein. Im Internet bloggen viele „Hermenaute­n“wie der Biologe Ulf Soltau oder der AgrarIngen­ieur Klaus Gutsche über die beste Technik, die geeignetst­en Pflanzen und geben ihren Lesern dabei viele wertvolle Tipps.

Wer Bonsai-Bäume einpflanze­n will, sollte sich zuvor genau informiere­n. Sie brauchen vor allem im Winter und wenn sie nicht nah am Fenster stehen künstliche­s Pflanzlich­t, das man mit moderner LEDTechnik einfach in den Deckel einbauen kann. Geschickte Bastler bauen

Pflanzen können im Glas jahrzehnte­lang überleben

dabei Solarleuch­ten zu Glasdeckel­n um, dann bleibt die „Hermetosph­äre“autark. Solch Kunstlicht ist auch für andere Pflanzen wichtig und vor allem ein besonderer dekorative­r Effekt in der Wohnung.

Expertin Baehner gibt in ein 20-Liter-Glas drei Pflanzen und etwas Moos. Gefäße mit 10 bis 15 Litern fassen zwei Pflanzen und Moos, in die Milchflasc­he kommt nur ein Stück Grün. Die Gartenexpe­rtin empfiehlt, die Wurzelball­en zehn Minuten in Wasser zu stellen, damit sich die Wurzeln vollsaugen. Dann eine Nacht abwarten, die Erde um die Ballen entfernen und die Pflanzen einsetzen. Zusätzlich folgt etwas Dekoration. Am besten eine den Pflanzen dienliche wie Rindenstüc­ke oder kleine Äste. Sie speichern Feuchtigke­it und helfen somit dem natürliche­n Kreislauf aus Bewässerun­g und Verdunsten im Glas. Ein wenig Gießwasser wird ebenfalls gegeben – aber nur gerade so viel, dass die Erde feucht ist.

Nun wird der Bepflanzun­g eine Woche lang Zeit gegeben, um sich zu akklimatis­ieren, dann wird das Glas verschloss­en – und abgewartet. Zeigt sich nach rund einer Woche, dass noch immer zu viel Feuchtigke­it im Glas ist, etwa durch beschlagen­e Scheiben, lässt sich das Gefäß für kurze Zeit öffnen und lüften. Auch ein Platz dichter am Fenster kann sinnvoll sein. Hier reguliert das Licht das Klima. Die selbst angelegten Gläser ermögliche­n einen tollen Blick auf das, was sonst verdeckt bleibt – die Wurzeln und ihr Wachstum in der Erde.

 ?? Foto: Erwin Block, Nui Studio ?? Die Designerla­mpen Mygdal der Kieler Manufaktur Nui Studio gibt es in den Breiten 32 und 48 Zentimeter mit Dschungelp­flanzen oder Bonsaibäum­chen. Man könnte sie öffnen, muss es aber nie.
Foto: Erwin Block, Nui Studio Die Designerla­mpen Mygdal der Kieler Manufaktur Nui Studio gibt es in den Breiten 32 und 48 Zentimeter mit Dschungelp­flanzen oder Bonsaibäum­chen. Man könnte sie öffnen, muss es aber nie.
 ?? Foto: Judith Baehner, hetgroenla­b.nl; dpa ?? Ein Flaschenga­rten lebt ohne weiteres Zu tun.
Foto: Judith Baehner, hetgroenla­b.nl; dpa Ein Flaschenga­rten lebt ohne weiteres Zu tun.

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