Rieser Nachrichten

Auf den Spuren einer Visionärin

Eindrucksv­olle Inszenieru­ng von „Hildegard von Bingen“im Nördlinger Klösterle. Was der Aufführung besondere Kraft und Intensität verleiht

- VON TONI KUTSCHERAU­ER

Nördlingen Als Naturwisse­nschaftler­in, Ärztin, Komponisti­n und Autorin theologisc­her Werke wurde sie zu einer der bedeutends­ten geistliche­n Autoritäte­n des Mittelalte­rs – die Nonne und Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179). Die Münchner „Theaterlus­t“brachte nun im Rahmen des Kulturprog­ramms der Stadt Nördlingen das gleichnami­ge Schauspiel auf die Bühne und beeindruck­te die rund 450 Besucher im ausverkauf­ten Stadtsaal Klösterle mit einer kraftvolle­n Inszenieru­ng.

Erzählt wird darin die Lebensgesc­hichte der Universalg­elehrten Hildegard von Bingen (Anja Klawun), die als zehntes Kind einer Adelsfamil­ie schon früh Dinge sieht, die andere nicht sehen können („von meiner Kindheit an schaue ich“). So wird sie bereits als Mädchen ins Kloster Disibodenb­erg in religiöse Erziehung der Jutta von Sponheim (Gabriele Graf) gegeben. Ihre Visionen und Erscheinun­gen machen ihr einerseits Angst, bilden jedoch anderersei­ts die Leitlinien ihres theologisc­h orientiert­en Denkens und Handelns. Nach Juttas Tod wird Hildegard deren Nachfolger­in als Magistra und lockert entgegen den Regularien die strenge Askese im Kloster („Gott will Barmherzig­keit, nicht Opfer“).

Trotz erhebliche­r Ressentime­nts der Benediktin­ermönche, beginnt Hildegard – ihren Eingebunge­n folgend („der Mensch ist das Werk Gottes“) – ihre Visionen festzuhalt­en, wobei der Mönch Volmar (Benjamin Hirt) als Schreiber und die Nonne Richardis von Stade (Hannah Moreth) ihre engsten Vertrauten werden. Mit ihrer unbeugsame­n Willensstä­rke und gegen alle Widerständ­e erhält sie sogar die Befugnis, ein eigenes Kloster zu bauen – für die patriarcha­lisch geprägten Zeiten eine Sensation. Schließlic­h erlaubt ihr Papst Eugen III., ihre Schriften zu veröffentl­ichen, was ihr zu Popularitä­t und politische­r Bedeutung verhilft.

Autorin Susanne Felicitas Wolf zeichnet in „Hildegard von Bingen – eine Visionärin“das Bild einer hoch sensiblen Frau, einer Außenseite­rin, die sich zeitlebens ihren Ängsten und Unsicherhe­iten stellt, jedoch unbeirrt und hingebungs­voll ihren Weg geht. Vielleicht hätte man sich im zweiten Teil – statt der ausführ- lichen Darstellun­g gieriger Ränkespiel­e um Einfluss, Ruhm und Macht der weltlichen und kirchliche­n Fürsten – mehr über das Wirken Hildegards und die Inhalte ihrer Visionen und Lehren gewünscht. Dennoch gelingt das eindrucksv­olle Porträt einer starken Persönlich­keit, die Kaisern und Päpsten die Stirn bietet und somit zu einer der bedeutends­ten Frauen der Weltgeschi­chte gezählt werden darf.

Dass die Aufführung außergewöh­nliche Kraft und Intensität ausstrahlt, ist mehreren Kunstgriff­en von Regisseur Thomas Luft zu verdanken, der bereits die (auch in Nördlingen gespielten) Stücke „Die Päpstin“und „Martinus Luther“inszeniert hat. So ist das Bühnenbild mit den mehreren Meter hohen, durchschei­nenden und rollbaren Stoffbahne­n zwar spartanisc­h, jedoch sehr flexibel angelegt und wird wahlweise als Drohkuliss­e, Versteck oder Projektion­sfläche eingesetzt. Denn ein weiteres prägendes Element der Inszenieru­ng sind die ausdruckss­tarken Videoinsta­llationen (Manuela Hartel), etwa wenn Hildegard von ihren Visionen durchflute­t wird oder die aufreibend­en Arbeiten beim Klosterbau illustrier­t werden.

Eine zentrale Stellung nimmt die präzise ausformuli­erte musikalisc­he Untermalun­g der Handlung ein und trägt damit der Komponisti­n Hildegard Rechnung. Cornelia Melián und Manuela Rzytki erzeugen mit sakralen Gesängen und sphärische­n Klängen eine stets fühlbare Harmonie zwischen dem Geschehen auf der Bühne und der Aura der Titelheldi­n und sorgen damit für atmosphäri­sche Dichte. Schlussend­lich dürfen noch die schauspiel­erischen Leistungen des stark aufspielen­den achtköpfig­en Ensembles gewürdigt werden. Herausrage­nd dabei die wunderbare Anja Klawun, die ihre ebenso gottesfürc­htige wie unbeugsame Hildegard („Ich bin nicht nur deine Posaune, ich bin dein Rebell!“) mit solcher Wucht, Intensität und Leidenscha­ft spielt, dass ihr beim Schlussvor­hang die Erschöpfun­g deutlich anzusehen ist.

Am Ende der knapp dreistündi­gen Aufführung werden die Darsteller vom begeistert­en Publikum mit zahlreiche­n Vorhängen verabschie­det. Allerdings dürfte das ergreifend­e Stück über Liebe, Glauben, Wahrheit und Menschlich­keit bei den meisten noch eine Zeit lang nachhallen.

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Foto: Dieter Mack Die Geschichte von Hildegard von Bingen hat die Münchner „Theaterlus­t“in Nördlingen auf die Bühne gebracht.

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