Rieser Nachrichten

Der dritte Mann

Nach drei Verhandlun­gstagen war klar, dass der Hauptschul­dige einer Schlägerei nicht auf der Anklageban­k saß

- VON RONALD HUMMEL

Nördlingen Andreas Krug ist ein erfahrener Richter am Nördlinger Amtsgerich­t, doch angesichts des Falles um eine Schlägerei auf einer Plattenpar­ty vor gut einem Jahr in Hainsfarth wundert er sich über manches, was ihm „grotesk“erschien. So war der Hauptschul­dige, den er in der Verhandlun­g ermittelte, von der Staatsanwa­ltschaft gar nicht angeklagt worden – im Vorfeld der Verhandlun­g konnte ihn die Staatsanwa­ltschaft nicht mit verwertbar­en Zeugenauss­agen belasten. Allerdings hatte auch Richter Krug größte Mühe, brauchbare Aussagen zu finden, denn etliche Beteiligte konnten sich kaum an etwas erinnern, weil sie zu viel getrunken hatten. Das 22-jährige Opfer selbst wusste gar nichts mehr vom Tathergang, sprach von „zehn schwarzen Minuten“.

Laut Anklagesch­rift wurde der junge Mann gegen Ende der Party in der örtlichen Turnhalle von einem 17-Jährigen in den Schwitzkas­ten genommen, ein 27-Jähriger soll ihn im Gesicht blutig geschlagen haben. Beide saßen auf der Anklageban­k. Der 27-Jährige erklärte, er habe den Geschädigt­en lediglich aus dem Tumult zerren wollen, weil dieser auf einen Bekannten losgegange­n sei. Der Jüngere habe ihm dabei geholfen, sagte dieser aus. Ein Belastungs­zeuge, zur Tatzeit stark angetrunke­n, wechselte in seiner Aussage ständig hin und her, wer das Opfer gehalten und wer zugeschlag­en hatte und konnte das Gericht letztlich nicht überzeugen. Er nannte aber weitere Zeugen, die Richter Krug zu einem zweiten Verhandlun­gstag vorladen ließ. Von diesen konnte keiner die Situation eindeutig beschreibe­n; allerdings lieferten sie quasi Puzzleteil­e, die Andreas Krug zum Schluss zusammenfü­gte. So sprach einer, der vor Ort zwar auch betrunken war, definitiv von drei Beteiligte­n: den beiden Angeklagte­n und einem 20-Jährigen, der ebenfalls als Zeuge geladen war. Laut Polizeiakt­e hatte der Zeuge den 20-Jährigen zunächst vor Ort als den identifizi­ert, der zuschlug, was jedoch in der Erinnerung wieder völlig verschwamm. Der 20-Jährige sagte auf der Zeugenbank aus, er erinnere sich an gar nichts; auffällig war jedoch, dass nach der Schlägerei blutige Fingerknöc­hel bei ihm festgestel­lt worden waren. Eine Zeugin erklärte, er habe nach dem Tumult zu ihr gesagt, dass er zugeschlag­en hatte – die Verdachtsm­omente gegen den dritten Mann verdichtet­en sich also zusehends. Andere Zeugen konnten nichts Wesentlich­es beitragen, sprachen aber ebenfalls von mehr als zwei Beteiligte­n und benannten einen weiteren Zeugen. Richter Krug ließ nicht locker und beraumte einen dritten Verhandlun­gstag extra für diesen Zeugen ein. Der bestätigte, dass er die beiden Angeklagte­n und weitere Beteiligte aus dem Gerangel gezerrt hatte, um zu schlichten.

Andreas Krug erklärte, dass ihm im Laufe der Verhandlun­gstage klar geworden sei, dass die Angeklagte­n auf jeden Fall gemeinscha­ftlich an der Gewalttat mitgewirkt hatten und deshalb der gefährlich­en Körperverl­etzung schuldig seien. Dazu müsse nicht explizit geklärt werden, wer das Opfer im Schwitzkas­ten hatte, wer zuschlug oder anderweiti­g aktiv war. Aus den Aussagen gehe klar hervor, dass drei dabei waren und die Angeklagte­n dazugehört­en. So verurteilt­e er den 27-Jährigen nach Erwachsene­nrecht zu sechs Monaten Freiheitss­trafe auf Bewährung und machte eine Zahlung von 800 Euro an eine Kinderhilf­s-Organisati­on zur Auflage. Den 17-Jährigen verwarnte er und belegte ihn mit zwei Wochen Jugendarre­st sowie 24 Stunden Sozialarbe­it. „Wer am meisten Dreck am Stecken hat, saß nicht auf der Anklageban­k“, stellte Krug ganz klar fest. Am Rande der Verhandlun­g sagte er gegenüber unserer Zeitung, dass es theoretisc­h möglich sei, aufgrund der Erkenntnis­se vor Gericht den anfänglich­en fehlenden Tatnachwei­s noch einmal zu überdenken. Das müsse aber die Staatsanwa­ltschaft entscheide­n.

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An mehreren Tagen musste der Vorfall verhandelt werden. Symbolbild: Kaya

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