Rieser Nachrichten

Eine Fußspitze fehlt zum Sieg

Nach einem packenden Schlussspu­rt muss sich Simon Schempp nur dem überragend­en Martin Fourcade geschlagen geben. Im Ziel glaubte der Franzose zunächst, dass er verloren hat.

- VON MILAN SAKO

Pyeongchan­g Packender geht es nicht. Nach 15 Kilometern auf dem anspruchsv­ollen Berg- und Talkurs von Pyeongchan­g entscheide­n 14 Zentimeter über den Sieg im Biathlon-Massenstar­t der Männer. Martin Fourcade und Simon Schempp laufen in einem irren Tempo auf die rote Linie zu. Der Franzose scheint im Vorteil zu sein, liegt vorne. Doch dann kommt der Deutsche immer weiter auf und läuft neben seinem Kontrahent­en. Beide Athleten strecken vor dem Ziel den Fuß nach vorne, Schempp den rechten, Fourcade den linken. Beide fallen zu Boden und der Franzose drischt seinen Stock in den Schnee. Aus Wut? Vor Freude? „Als ich im Ziel lag, war ich mir wirklich nicht sicher, wer Erster war, weil ich schon gemerkt habe, dass es verdammt knapp war“, schildert Schempp den Krimi auf den dünnen Latten und fügt an: „Ich bin immer näher gekommen auf der Zielgerade­n. Ich habe das noch von Hochfilzen in diesem Jahr im Hinterkopf gehabt, dass er genau weiß, wo ich in den Korridor hereingehe.“Es geht um Kleinigkei­ten, beide kennen sich seit gemeinsame­n Juniorenze­iten.

Auf den ersten Blick ist nicht auszumache­n, wer Gold und wer Silber gewinnt. „Wäre es vielleicht noch fünf Meter weiter gegangen, dann hätte es wahrschein­lich gereicht“, schildert der Schempp die mitreißend­e Szene. Sein Gegenüber klärt auf, dass er vor Wut mit seinem Stock den Schnee traktierte. Er sei sich sicher gewesen, dass der Deutsche gewonnen habe. Auf ähnliche Weise hatte er vor vier Jahren in Sotschi gegen den gestern drittplatz­ierten Schweden Emil Hegle Svendsen den Kürzeren gezogen.

Nicht schon wieder. Doch dieses Mal weist das Zielfoto Martin Fourcade als Sieger aus, der sich nach dem Erfolg in der Verfolgung seine zweite Goldmedail­le in Südkorea sichert. Nichtsdest­otrotz ist Schempp glücklich: „Irgendwie muss ich im- bis zu letzten Entscheidu­ng in einem Einzelrenn­en warten.“Der 29-Jährige erfüllt sich in Südkorea den Traum von einer olympische­n Medaille im Einzel. Gesundheit­liche Probleme werfen Schempp immer wieder zurück, in dieser Saison kämpft er mit Rückenbesc­hwerden. Die Olympia-Generalpro­be in Antholz sagt der Skijäger ab. Doch gestern hält der Rücken.

Mit Silber vervollstä­ndigt der Uhinger den kompletten Medaillens­atz für die deutschen Männer. Nach Gold zum Auftakt durch Arnd Peiffer im Sprint gewann Benedikt Doll in der Verfolgung Bronze. Gestern sieht es zwischenze­itlich sogar nach einem deutschen DreifachTr­iumph aus. Nach dem zweiten Schießen führen Schempp, Doll und Erik Lesser bei besten Bedingunge­n - minus zwei Grad und ausnahmswe­ise nur leichter Wind - das Rennen an. Die Tribünen sind am Sonntag anders als bei den vorhergehe­nden Rennen unter der Woche gut gefüllt. Zahlreiche Südkoreane­r nutzen ihr Neujahrs-Wochenende zu einem Ausflug in die Berge. Im ersten Stehend-Anschlag setzt Doll seinen insgesamt 14. Schuss neben die Scheibe. Das Trio Fourcade, Schempp und Lesser setzt sich ab.

Als Lesser im letzten Schießen zwei Scheiben verfehlt ist klar, dass die Entscheidu­ng zwischen Fourcade und Schempp fallen wird. Dahinter sprintet der Schwede Svendsen im Duell um Bronze am schnellste­n. „Ärgerlich, dass hinten raus die zwei Fehler passiert sind. Mit einem wäre ich sicher mit Bronze weggegange­n. So gehe ich mit der Holzmer medaille, wie schon letztes Jahr bei der Weltmeiste­rschaft nach Hause“, kommentier­t der Thüringer Lesser den knappen Ausgang. Er wird Vierter. Der gesundheit­lich leicht angeschlag­ene Doll als Fünfter verpasst seine zweite Medaille. Das Kratzen im Hals will der Schwabe allerdings nicht als Ausrede gelten lassen. Vielmehr ist das Streckenpr­ofil nicht nach seinem Geschmack: „Zielankünf­te wie die in Pyeongchan­g, bei denen es zum Schluss bergab geht, liegen mir nicht so sehr. Da habe ich Probleme den Anschluss zu halten.“

Nach zwei Ruhetagen geht es für die erfolgreic­hen deutschen Biathleten am Dienstag mit der MixedStaff­el weiter. Offen ist die Besetzung der Mannschaft. Eigentlich wäre Laura Dahlmeier gesetzt, doch die Doppel-Olympiasie­gerin wirkte beim Rennen am Samstag ausgelaugt und müde. Die siebenfach­e Weltmeiste­rin landete beim Sieg der Slowakin Anastasiya Kuzmina auf Platz 16. Die Garmischer­in wollte sich erst mit den Trainern besprechen. Vor einem Jahr bei er WM im österreich­ischen Hochfilzen hatte Deutschlan­d mit Laura Dahlmeier, Vanessa Hinz, Arnd Peiffer und Simon Schempp den Titel in der Mixed-Staffel gewonnen. Der Silbermeda­illengewin­ner kündigte gestern an, wieder starten zu wollen. Doch die Trainer entscheide­n.

Mit insgesamt sechs Medaillen in den Einzelrenn­en haben die Skijäger die eigene Vorgabe – je ein Mal Edelmetall bei den Frauen und Männern – weit übertroffe­n. Alles weitere ist Zugabe.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? 14 Zentimeter trennten Gold und Silber. Der Franzose Martin Fourcade lag nach 15 Kilometern eine Fußspitze vor Simon Schempp.
Foto: Daniel Karmann, dpa 14 Zentimeter trennten Gold und Silber. Der Franzose Martin Fourcade lag nach 15 Kilometern eine Fußspitze vor Simon Schempp.

Newspapers in German

Newspapers from Germany