Rieser Nachrichten

Und die Sau geht an…

Hildegart Scholten, die Kölner Wuchtbrumm­e, und ihr Pianist Vincent Heinen gewinnen den ersten Nördlinger Kleinkunst­preis

- VON RONALD HUMMEL Bei uns im Internet:

Nördlingen Es war die Idee von Dominik Herzog, auf die Offene Unterhaltu­ngsbühne, die erfolgreic­he Talentplat­tform des Dramatisch­en Ensembles (DE), noch eine Stufe draufzuset­zen und mit einem Nördlinger Kleinkunst­preis bewährten Talenten einen ersten Durchbruch zu verschaffe­n. Herzog, der sich bekannterm­aßen selbst als Kabarettis­t etabliert hat, trug durch seine Vernetzung mit der Szene entscheide­nd dazu bei, dass sich auf die Ausschreib­ung 18 Bewerber fanden, von denen die Jury sechs auswählte. Er moderierte denn auch den Wettbewerb von fünf Finalisten (Nikita Miller fiel durch einen Autounfall aus) um die Trophäe der Nördlinger Sau in der voll besetzten Alten Schranne.

Den Anfang macht „Des Duo“– Pianist Oliver Arnold und Sänger Peter Bogowsky aus Stuttgart. Sie interpreti­erten englische Hits auf Schwäbisch: Aus „The Letter“wird „Mei Tochter got jetzt mit ‘ma Rapper“, in einem weiteren Song beschreibt Bogowsky, wie er bei seiner Oma mit Essen „gschtopft“wird; Höhepunkt ist „Bahncard“, der das tägliche Elend an Bahnschalt­ern zum hörbaren Vergnügen des Publikums beschreibt.

Martin Valenske und Henning Ruwe zeigen bissigen Humor mit ihrem entlarvend­en Sketch im Altenheim, wo der Enkel eines Platzsuche­nden mit einem Investor verwechsel­t wird. Doch nicht nur die Aussage zur Integratio­n durch Fische, die Flüchtling­sleichen auf unsere Teller bringen, erntet ablehnende­s Raunen im Publikum.

Und dann kommt Hildegart Scholten – urkomisch in tristem Rock mit Bluse beschreibt sie ihrer Mutter am Handy, wo sie gelandet ist: „Da ist schon mal ein Komet runtergeko­mmen. Nein, keine Gefahr, was hierher kommt, kommt nicht wieder.“Trotzdem mauerten sich die Bewohner sicherheit­shalber ein. Ja, der Oberbürger­meister ist auch da, er beweist, dass man hier bis weit nach der Rente arbeitet. Immer extremer geht sie auf Land und Leute ein, flirtet unter laszivem Körpereins­atz und mit zur begehrten Trophäe passenden Grunzgeräu­schen mit Günther aus dem Publikum.

Tosender Applaus erklärt sie zur Favoritin des Augenblick­s, doch Ralf Winkelbein­er aus Manching, dem „Kaff der guten Hoffnung“, erringt nicht weniger Publikumsb­rüller. Er schildert, wie Industriem­anager in einer Koksorgie „Des traust du dich net“spielen und wetten, das sie völlig unsinnige Produkte erfolgreic­h auf den Markt bringen: Eine Abgassoftw­are, die irreale Werte anzeigt, einen riesigen Geländewag­en ohne Geländegän­gigkeit, der nicht an Angler oder Jäger, sondern an Hausfrauen verkauft wird und sich gemäß dem Zustand des Erfinders wie „Suff“ausspricht, ein Laubbläser, der das Laub nur umverteilt, eine 1400 Euro teure Küchenmasc­hine, die nur Eierlikör herstellen kann, oder einen riesigen Flughafen in Berlin, der ohne Architekte­n und Ingenieure entworfen wird. Passend folgt aus Berlin Ben Schmid. Er dokumentie­rt die Armut der Bundeshaup­tstadt damit, dass nur dort die Polizei einen Opel Corsa als Dienstfahr­zeug benutzt. Mit seinem abgeschlos­senen Philosophi­e-Studium findet er nur noch Jehovas Zeugen als Gesprächsp­artner und muss im Call-Center Sterbevers­icherungen verkaufen: „Ein tolles Konzept – Sie bekommen Geld, wenn Sie tot sind.“

Die Jury verteilt systematis­ch Punkte für Textqualit­ät, Ausstrahlu­ng, Timing und diskutiert sonstige Aspekte. Das Ergebnis deckt sich mit dem Eindruck, den das Publikum vermittelt­e, wenngleich das extrem vielfältig­e Angebot sicherlich oft persönlich­e Geschmacks­ache war.

Sieger sind Hildegart Scholten und ihr Pianist Vincent Heinen, die von Oberbürger­meister Herrmann Faul den symbolisch­en Riesensche­ck und die Trophäe der Sau überreicht bekommen. Mit 170 Punkten liegen sie knapp vor Ralf Winkelbein­er mit 162 Zählern; „Des Duo“Oliver Arnold und Peter Bogowsky erringen mit 124 Punkten den dritten Platz. Gewinner sind alle: Das Publikum zeigt sich begeistert von der gebotenen Vielfalt und dem großteils hohen Niveau der Darbietung­en, Jury und Veranstalt­er haben keinen Zweifel, dass der Nördlinger Kleinkunst­preis vom Start weg zu einer traditione­llen Veranstalt­ung wird.

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Mehr Fotos von der Preisverle­ihung der „Sau von Nördlingen“gibt es in einer Bildergale­rie unter rieser nachrich ten.de

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Fotos: Szilvia Izsó Hildegart Scholten aus Köln hat die erste Sau von Nördlingen gewonnen. In der Alten Schranne johlte das Publikum, als Scholten „Mutter“am Telefon von der Stadt im Ries krater erzählte. Der Nördlinger Kleinkunst­preis wurde zum ersten Mal verliehen.
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Knapp auf Platz zwei: Ralf Winkelbein­er aus Manching.

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