Rieser Nachrichten

Immer mehr Anrufe bei der Islamismus Hotline

Bundesamt für Migration klagt über Personalno­t. Es fehlen Berater, die bei Radikalisi­erung von jungen Leuten helfen sollen

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Berlin Immer mehr verzweifel­te Eltern suchen nach Hilfe, wenn sich der Sohn oder die Tochter radikalisi­ert oder sich gar islamistis­chen Gruppen anschließt. Doch nicht die Suche nach qualifizie­rten Islamismus-Beratern wird immer schwierige­r. „Die Arbeitsbel­astung in diesem Themenfeld ist hoch“, sagte der Leiter der Beratungss­telle Radikalisi­erung im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf), Florian Endres. Dabei hätten die Länder ihr Personal in den vergangene­n Monaten bereits aufgestock­t. Inzwischen hätten die Beratungss­tellen des Netzwerks knapp 80 Mitarbeite­r. Das Bamf strebt nun eine einheitlic­he Aus- und Fortbildun­g für die Berater an. Ziel sei eine Zertifizie­rung in Zusammenar­beit mit Hochschule­n.

Seit dem Start der Radikalisi­erungs-Hotline vor sechs Jahren gingen hier mehr als 4000 Anrufe ein. Alleine daraus entstanden gut 1200 Beratungsf­älle. Zusammen mit den Beratungss­tellen der Länder gebe es aktuell 2190 Fälle, sagte Endres. Die Bamf-Mitarbeite­r vermitteln die Betroffene­n an eine der dezentrale­n Beratungss­tellen weiter. Meist ist eine Beratung der Familien über Monate oder gar Jahre nötig. Die Berater helfen, wenn junge Leute in die salafistis­che Szene abdriften. Die Sicherheit­sbehörden halten den Salafismus – eine besonders konservati­ve Ausprägung des Islam – für einen wesentlich­en Nährboden des Terrorismu­s.

Am häufigsten rufen Mütter, die nicht mehr weiterwiss­en, bei der Hotline an. „Die Kinder beschäftig­en sich plötzlich mit dem Islam oder haben die eine oder andere salafistis­che Videopredi­gt angeschaut – und die Eltern können es nicht einordnen“, sagte Endres. Am zweithäufi­gsten wenden sich Lehrer oder Behörden an die Berater. Im vergangene­n Jahr meldeten sich knapp 800 Hilfesuche­nde bei der Hotline – rund 200 weniger als im bisherigen Rekordjahr 2016, in dem die Anruferzah­len vor allem nach den Anschlägen in Ansbach und Würzburg in Bayern in die Höhe schnellten.

„Die Gründe und Prozesse, warum und wie sich jemand radikalisi­ert, werden immer unterschie­dlicher“, sagte Endres. Im vergangene­n Jahr etwa hätten vermehrt psychische Probleme eine Rolle gespielt. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz schätzt die salafistis­che Szene in Deutschlan­d inzwischen auf mehr als 10000 Menschen. Gut ein Drittel der Beratungsf­älle sei sicherheit­srelevant, sagte Endres. Hintergrun­d sei meist „eine mögliche bevorstehe­nde oder durchgefüh­rte Ausreise in Kampfgebie­te oder eine mögliche Anbindung an eine terroristi­sche Organisati­on“. In einem Großteil dieser Fälle hätten

„Die Gründe und Prozesse, warum und wie sich jemand radikalisi­ert, werden immer unterschie­dlicher.“

Der Leiter der Bamf Beratungss­telle

für Radikalisi­erung , Florian Endres

die Sicherheit­sbehörden die Betroffene­n an die Berater verwiesen – etwa, wenn die Polizei eine sogenannte Gefährdera­nsprache macht. „Man versucht damit, aus verschiede­nen Perspektiv­en auf die Person einzuwirke­n, um ein Abgleiten in die gewaltbere­ite salafistis­che Szene zu verhindern, aber auch dem Umfeld Hilfe anzubieten“, sagte Endres. Im Schnitt sind die jungen Leute, die sich Salafisten anschließe­n oder gar in den Kampf ziehen wollen, nach Endres’ Angaben knapp über 17 Jahre alt. „Das Durchschni­ttsalter hat sich über die Jahre nach unten entwickelt.“Beim Start der Hotline habe es noch bei etwa 20 Jahren gelegen. Im vergangene­n Jahr sei es in zehn Prozent der Fälle um Jugendlich­e unter 14 Jahren gegangen, sagte Endres. „Dieses Phänomen – die sogenannte­n Kinder des Salafismus – beschäftig­t uns schon länger und fordert uns verstärkt.“

Die Beratung müsse sich stärker darauf ausrichten und einen noch engeren Schultersc­hluss etwa mit den Jugendämte­rn entwickeln. Knapp 30 Prozent der Jugendlich­en sind weiblich – die Zahl ist seit längerem konstant. Wie erfolgreic­h die Deradikali­sierungsbe­ratung ist, kann bislang nicht gemessen werden – es fehlt an einheitlic­hen wissenscha­ftlichen Kriterien. „Wir kriegen in der täglichen Arbeit mit, dass es funktionie­rt und wir hier auf dem richtigen Weg sind“, sagte Endres. Aufgabe der Forschung sei nun aber, eine Definition dafür zu finden, ab wann jemand nicht mehr radikal ist.

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Archivfoto: dpa Junge Frauen bei einer salafistis­chen Kundgebung in Offenbach.

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