Rieser Nachrichten

Was passiert an der Zinsfront?

- VON ROBERT HALVER rat@augsburger allgemeine.de

Der neue US-Notenbankc­hef Jerome Powell hat bei seinem ersten Kongressau­ftritt jede Festlegung auf seine zukünftige Geldpoliti­k vermieden. Warum soll er sich auch frühzeitig in eine Ecke drängen lassen, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsve­rlust herauskomm­t? Kein (Geld-)Politiker will zu Amtsbeginn seinen Handlungss­pielraum einschränk­en. Ebenso wollte er deutlich machen, dass er kein Notenbank-Chef von Trumps Gnaden ist, der seinem obersten Dienstherr­n den Wirtschaft­saufschwun­g finanziert. Im Grunde genommen sprach Powell wie seine Vorgängeri­n Janet Yellen von „graduellen“Zinserhöhu­ngen. So etwas nennt man Kontinuitä­t. Dennoch wurden alle seine Aussagen zu Arbeitsmar­kt, Inflation und Fiskalpoli­tik einseitig falkenhaft interpreti­ert. Auch das zeigt, dass die Zinsangst in den USA die Finanzmärk­te fest im Griff hat. Alles, was dagegen spricht, wird konsequent herausgefi­ltert. Und dabei konnte man bei Powell zwischen den Zeilen durchaus taubenhaft­e Äußerungen hören. Er betonte, dass das Inflations­ziel der Fed „symmetrisc­h“sei. Das heißt, wenn die Inflation in der Vergangenh­eit unter dem Zielwert von zwei Prozent gelegen hat, kann man umgekehrt auch ein temporäres Überschieß­en zulassen.

Auch in den USA wachsen die Konjunktur- und Inflations-Bäume nicht in den Himmel. Der rückläufig­e Economic Surprise Index für die USA – er misst positive beziehungs­weise negative Abweichung­en tatsächlic­h erschienen­er Konjunktur­daten von den Vorabschät­zungen der Analysten – signalisie­rt nicht nur eitel Sonnensche­in, sondern auch konjunktur­elles Enttäuschu­ngspotenzi­al. Vor diesem Hintergrun­d sind die geschürten Ängste vor mehr als drei Leitzinser­höhungen in den USA überzogen.

Und wie sieht es in der Euro-Zone aus? Angesichts der erneut rückläufig­en Inflation auf 1,2 Prozent, der niedrigste Stand seit Dezember 2016, gibt es für die EZB keinen Grund für geldpoliti­sche Umkehr. Unter anderem ist die Arbeitslos­igkeit in den Euro-Südländern nach wie vor so hoch, dass an inflations­treibenden Lohnkosten­druck noch lange nicht zu denken ist. Auch die Kerninflat­ionsrate – ohne Berücksich­tigung von Energieund Nahrungsmi­tteln – dokumentie­rt keine Aufwärtsdy­namik. Sie ist weit davon entfernt – wie von der EZB gefordert – selbsttrag­end zu sein. Die EZB kann ihre Hände weiter in zinspoliti­scher Unschuld waschen.

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