Rieser Nachrichten

Der Traum von der Begegnung auf Augenhöhe

In Hainsfarth findet eine christlich-jüdische Gemeinscha­ftsfeier statt. Es geht darum, Brücken zu bauen

- VON FRIEDRICH WOERLEN

Hainsfarth Zur Eröffnung der Woche der Brüderlich­keit 2018 hat der Freundeskr­eis Synagoge Hainsfarth eine christlich-jüdischen Gemeinscha­ftsfeier ausgericht­et. Kooperatio­nspartner waren das Bischöflic­he Dekanat Weißenburg-Wemding, die Oettinger Kirchengem­einde St. Jakob, die katholisch­e Pfarrei St. Andreas Hainsfarth und die christlich­en Erwachsene­nbildungsw­erke des Landkreise­s. Das Motto hatte der Deutsche Koordinier­ungsrat der Gesellscha­ften für christlich-jüdische Zusammenar­beit ausgegeben: „Angst überwinden - Brücken bauen“.

Das Brückenbau­en stellte auch die Vorsitzend­e Sigi Atzmon in der Synagoge als zentrales Anliegen des Freundeskr­eises heraus. In Zeiten schwankend­er und schwindend­er Wertekanon­s sei es gelungen, kleine Stege zu bauen, aber auch starke Brücken. Dass sich zwei Jugendlich­e an der Gestaltung der Gemeinscha­ftsfeier bereitgefu­nden hatten, wertete Atzmon als gutes Zeichen für die Zukunft. Dekan Konrad Bayerle belegte mit Beispielen aus seiner eigenen Biografie, dass es notwendig und möglich ist, Ängste zu überwinden und Brücken zu bauen, Mut zu fassen und ins Neue aufzubrech­en, wo

Freude und Bereicheru­ng zu finden sind.

Gemeinsam betete die Versammlun­g aus dem gemeinsame­n Überliefer­ungsschatz von Juden und Christen den 146. Psalm, einen Lobpreis auf Gott. Mit gemeinsam gesungenen Chorälen und mit dem sehr deutlich und eindringli­ch formuliert­en „Gebet bei interrelig­iösen Begegnunge­n“bekräftigt­en die Teilnehmer das Anliegen, dass der gemeinsame Glaube an den einen Gott die Gläubigen aller Traditione­n näher zueinander bringen möge.

Kantor Nicola David brachte mit hebräische­n Liedern das jüdische Element zur Geltung, begleitete aber auch in geschwiste­rlicher Verbundenh­eit den Gemeindege­sang. Gemeinsam mit Atzmon sprach er das Kaddisch für die verstorben­e Bürgermeis­terin a. D. Ursula Seefried, deren Verbundenh­eit mit dem Freundeskr­eis von der Vorsitzend­en hervorgeho­ben worden war.

Als Ehrenvorsi­tzende der Gesellscha­ft für christlich-jüdische Zusammenar­beit Augsburg und Schwaben und gute Freundin war Gertrud Kellermann gern der Einladung von Atzmon gefolgt und hatte das zentrale Referat zum Thema „Brücken bauen – Angst überwinden“übernommen.

Die Geschichte des Grabens zwischen Christen und Juden geht demnach bis in die ersten Jahrhunder­te nach dem Tod Jesu zurück. Verbale und volkstümli­che Verunglimp­fungen der Juden und die verächtlic­he Darstellun­g der Synagoge als Frauengest­alt mit verbundene­n Augen und zerbrochen­en Gesetzesta­feln waren die Vorstufen für wiederholt­e, grässliche Pogrome und letztlich für den verbrecher­ischen Akt der Vernichtun­g von über sechs Millionen Menschen. Die Gesellscha­ften für christlich-jüdische Zusammenar­beit, die nach dem Zusammenbr­uch des Nazi-Regimes mit dem Ziel gegründet wurden, die aufgerisse­nen Gräben und Abgründe zu überbrücke­n, waren keine deutsche Erfindung, sondern entstanden auf amerikanis­che Initiative.

Nur allmählich fand man den Mut, offen über die deutsche Vergangenh­eit zu sprechen und über die religiös-theologisc­he Thematik hinaus die gesellscha­ftlichen Bezüge herzustell­en. Erst mit dem Zuzug von sogenannte­n Kontingent­flüchtling­en nach der Auflösung der Sowjetunio­n kam es zu persönlich­en Begegnunge­n von Christen und Juden, nun aber auf breiter Basis und in vielfacher Hinsicht, bis hin zu persönlich­en Freundscha­ften.

Die Kirchen waren anfangs zurückhalt­end und defensiv. In den Schuldbeke­nntnissen kam die Judenverni­chtung nicht vor. Der alleinige Heilsanspr­uch galt bis zum Zweiten Vatikanisc­hen Konzil uneingesch­ränkt, und die protestant­ischen Kirchen taten und tun sich mit dem Verzicht auf Judenmissi­on noch schwerer. Bis heute gehen nicht alle diesen Weg mit.

Die Referentin schloss ihre gleicherma­ßen

„Wenn ihr wollt, ist es kein Traum.“

Gertrud Kellermann

informativ­en wie bewegenden Ausführung­en mit dem „Traum“, dass endlich eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Juden und Christen stattfinde­t, dass Unterschie­de akzeptiert und Selbstbewu­sstsein gewonnen wird, dass Christen und Juden mit gemeinsame­n Projekten diese „heillose Welt ein bisschen besser“machen. An den Traum knüpfte Gertrud Kellermann den Appell: „Wenn ihr wollt, ist es kein Traum.“

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Gertrud Kellermann

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