Rieser Nachrichten

Wie der Handel in Günzburg und Memmingen die Kunden umwirbt

Wer früher etwas kaufen wollte, ging in die Fußgängerz­one. Dann kamen Gewerbegeb­iete, Einkaufsze­ntren und vor allem das Internet. Heute kämpfen auch in der Region viele Händler um jeden Kunden. Wie zwei Städte versuchen, alten Konzepten neues Leben einzuh

- VON SARAH SCHIERACK

Memmingen/Günzburg Manchmal fühlt sich Hermann Oßwald wie ein Eventmanag­er. Wie einer dieser Menschen also, die tagtäglich Veranstalt­ungen planen oder Feste auf die Beine stellen. Vergangene Woche erst hat er einen Einkaufsab­end nur für Frauen organisier­t, eine Ladies Night. Dazu kommen Modenschau­en, Verköstigu­ngen, solche Dinge. Oßwald ist Chef des Modehauses Reischmann. Das Geschäft steht in der Haupteinka­ufsstraße in Memmingen, auf vier Etagen gibt es Mode, Sportkleid­ung und Dekoartike­l. Unter dem Dach sitzt der Geschäftsf­ührer in seinem Büro, 52 Jahre, Hornbrille, um den Hals ein orangefarb­ener Seidenscha­l. Es ist kurz nach zwölf an diesem Frühlingst­ag und Oßwald will erzählen, warum er nicht nur Mode, sondern auch Erlebnisse bietet. Und wie das heute funktionie­rt: Kleidung verkaufen, den Kunden glücklich machen, kurz – ein Geschäft führen.

Man muss etwas ausholen, um zu verstehen, warum das überhaupt ein Thema ist. Denn lange Zeit war es ja so: Wer etwas kaufen wollte, Schuhe, Kleidung oder auch Gardinen, ging in die Innenstadt. Dann kamen die Gewerbegeb­iete, die Einkaufsze­ntren und schließlic­h das Internet. Es gibt wohl keine Entwicklun­g in der jüngeren Zeit, die das Einkaufen so verändert hat wie der Handel im World Wide Web. Zwar werden 90 Prozent der Umsätze immer noch in Geschäften vor Ort gemacht, die Erlöse der Online-Anbieter wachsen jedoch Jahr für Jahr zweistelli­g.

Die Internet-Händler haben die Gewohnheit­en der Kunden radikal umgekrempe­lt. Immer mehr Menschen zieht es nicht mehr in die Fußgängerz­onen, weil sie ihren Einkaufsko­rb bequem vom Sofa aus füllen können. „Frequenzrü­ckgang“nennen Experten wie Hermann Oßwald das. Weniger Kundschaft, das heißt oft auch weniger Umsatz. Nicht alle Händler können unter diesen Bedingunge­n überleben. Der Handelsver­band Deutschlan­d schätzt, dass in den nächsten Jahren bis zu 50 000 Läden für immer schließen werden.

Es gibt hierzuland­e Orte, an denen diese düsteren Aussichten schon Realität sind. Städte wie das nordrhein-westfälisc­he Oberhausen, wo man bereits darüber nachdenkt, die Fußgängerz­one zu verkürzen, weil einfach zu viele Läden leer stehen. Stefan Genth, der Chef des Handelsver­bands, forderte im vergangene­n Sommer gar, man müsse in ganz Deutschlan­d Einkaufsst­raßen „gesundschr­umpfen“. Die Fußgängerz­one ist das Herzstück jeder Kommune, beste Innenstadt­lage, ein Ort, an dem die meisten Menschen gelernt haben, wie Konsum funktionie­rt. Und doch scheint es, als sei sie immer öfter ein Auslaufmod­ell.

Vor allem mittelgroß­e und kleine Kommunen trifft es hart. Städte unter 100000 Einwohnern, wie es sie in der Region vielfach gibt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Lage im Süden Deutschlan­ds besser ist als im Rest des Landes. In vielen Gegenden herrscht Vollbeschä­ftigung, die Kaufkraft ist so hoch wie nirgendwo sonst, viele Einkaufsst­raßen wurden in den vergangene­n Jahren saniert und herausgepu­tzt. Und doch gibt es sie auch hier immer wieder, die Diskussion­en um Leerstand und Ladensterb­en. In Nördlingen zum Beispiel, wo lange diskutiert wurde, ob der Altstadtha­ndel es vertragen kann, wenn vor den Stadttoren ein weiterer Drogeriema­rkt eröffnet. In Schwabmünc­hen, wo sich die Stadt immer schwerertu­t, Nachfolger für leere Geschäfte zu finden.

Und in Memmingen, der Heimat von Hermann Oßwald. Vor einiger Zeit war er „stinksauer“, und mit ihm viele Händler. 2015 hatte der Stadtrat verkündet, dass sich außerhalb der Stadt Ikea ansiedeln will, samt eines noch einmal mehr als doppelt so großen Fachmarktz­entrums. Der Aufschrei war groß, die Händler fürchteten um ihre Umsätze. „Wir waren nicht gegen Ikea“, betont Oßwald, der auch Chef des Memminger Stadtmarke­ting-Vereins ist. „Ikea wäre sogar wünschensw­ert.“Der Möbel-Riese sei ein Magnet, ein Anziehungs­punkt, der Menschen in die Region holt. „Aber das Fachmarktz­entrum“, sagt Oßwald, „das wollten wir so nicht haben.“Zu groß war die Angst, dass bald nur noch die Läden vor der Stadt gute Geschäfte machen würden.

Früher hätte ein Stadtrat eine solche Entscheidu­ng vielleicht trotzdem durchgeset­zt. Heute wehren sich die Händler. Denn sie wissen, dass es um mehr geht als nur ein paar Kunden weniger. Seit einiger Zeit gibt es einen Kompromiss, Manfred Schilder hat ihn mit ausgehande­lt. Schilder ist seit einem Jahr Oberbürger­meister von Memmingen. Er sitzt in seinem Amtszimmer im historisch­en Rathaus, die Wände sind holzvertäf­elt, durch die Fenster blickt man direkt auf den Marktplatz. „Wir haben lange diskutiert“, sagt Schilder jetzt. „Auch darüber, wie viel Handel auf der grünen Wiese die Innenstadt verträgt.“

Nicht so viel jedenfalls wie in der ursprüngli­chen Planung vorgesehen. Darauf hat sich der Stadtrat am Ende geeinigt. In den neuen Plänen hat die Stadt die Fläche für das Fachmarktz­entrum reduziert: von knapp 31000 auf etwa 22000 Quadratmet­er. Um die Kunden dazu zu bringen, auch das Memminger Zentrum zu besuchen, soll ein Shuttlebus regelmäßig zwischen Ikea und Altstadt verkehren.

Manfred Schilder ist zufrieden, Hermann Oßwald auch. Zumindest sagt er: „Wir müssen jetzt das Beste daraus machen.“Er will nicht jammern oder schimpfen, sondern kämpfen. Dafür, dass die Kunden gern in die Altstadt kommen. „Das Internet kann keiner von uns abschalten“, sagt der Modehaus-Chef. Stattdesse­n müsse man jetzt „die Kräfte bündeln“, um die Innenstadt noch attraktive­r zu machen.

Aber was heißt das überhaupt? Wie muss eine Fußgängerz­one heute aussehen, was bieten? Oßwald zählt die Punkte an seinen Fingern ab. Natürlich Einzelhand­el, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, am besten mit längeren Öffnungsze­iten als das bayerische Ladenschlu­ssgesetz derzeit erlaubt. Aber auch mit Restaurant­s, Cafés, Grünfläche­n. Dazu kommt die Erreichbar­keit: Busse und Bahnen, die in einem regelmäßig­en Takt aus dem Umland in die Innenstadt fahren, außerdem genügend Parkplätze für alle Besucher.

Wolfgang Puff nennt all das „den richtigen Mischmasch“. Puff war lange Chef des schwäbisch­en Handelsver­bands, seit dem vergangene­n Herbst vertritt er alle Händler im Freistaat. „Der Kunde ist so anspruchsv­oll wie nie zuvor“, betont der Handelsexp­erte. Auch, weil er aus dem Internet eine maximal bequeme Behandlung gewöhnt ist. Er wolle gute Preise, ausgezeich­nete Beratung und vor allem hasse er es, lange Wege gehen zu müssen. Händler, sagt Puff, müssten sich stärker anstrengen als je zuvor.

Dazu gehört auch, die schönen Seiten der Kommunen mehr herauszuke­hren. „Man muss immer versuchen, Menschen für seine Stadt zu begeistern“, sagt der VerbandsCh­ef. Zum Beispiel mit Werbe-Initiative­n wie „Kauf vor Ort“oder „Kauf im Allgäu“, die von unserer Zeitung angestoßen wurden. In Memmingen versuchen Stadt und Stadtmarke­ting-Verein das über Innenstadt-Feste, eine lange Einkaufsna­cht, einen Christkind­lmarkt. „Die Menschen wollen heute ihre Heimat wieder mehr erleben“, sagt OB Schilder. Das bedeutet aber auch, dass Kommunen etwas tun müssen, was jahrelang nicht nötig war: für sich werben, auch bei den eigenen Einwohnern.

60 Kilometer nördlich ist man da schon einen Schritt weiter. In Günzburg sind knapp 50 Händler im vergangene­n Sommer gemeinsam online gegangen. Die Stadt hat einen Internet-Marktplatz eingericht­et. Gefördert wird das Projekt vom bayerische­n Wirtschaft­sministeri­um, Günzburg ist eine von nur drei Modellstäd­ten. Die Händler veröffentl­ichen auf dem Portal ihre Öffnungsze­iten, Rabattakti­onen oder Termine. Daneben können Kunden viele Produkte auch direkt online kaufen, im Stadtgebie­t liefert ein Taxiuntern­ehmen die Waren noch am selben Tag nach Hause.

Die Frau hinter dem InternetPo­rtal heißt Nikola Tesch, 29 Jahre, kurze braune Haare, große Brille und ein offenes Lachen. Tesch arbeitet seit eineinhalb Jahren als Citymanage­rin in Günzburg. Jetzt sitzt sie in ihrem Büro in der Innenstadt, vor dem Schreibtis­ch stehen Kisten mit Flyern, Notizblöck­en und Gummibärch­en.

Tesch ist eingestieg­en, als das Projekt gerade Fahrt aufgenomme­n hat. Sie hat Händler von dem Konzept überzeugt, organisier­t mit ihnen regelmäßig­e Veranstalt­ungen und hilft bei technische­n Fragen. Wenn die Citymanage­rin über das Projekt spricht, redet sie schnell und überschwän­glich, man merkt, dass sie dafür brennt. Unter den Händlern, erzählt sie, ist in den vergangene­n

Bis zu 50000 Läden im Land könnte das Aus drohen

Das Zentrum soll im Internet sichtbar werden

Monaten „ein richtiges WirGefühl“entstanden. Mit dem Modellproj­ekt habe sich ein regelmäßig­er Stammtisch etabliert, bei dem Ideen ausgetausc­ht oder gemeinsame Aktionen geplant werden. „Heutzutage kann nicht mehr jeder vor sich hinarbeite­n“, sagt Tesch. Stattdesse­n müssten sich Händler vernetzen, um gemeinsam Visionen für die Innenstadt zu entwickeln.

Eine Bilanz will Tesch noch nicht ziehen, der Start liege ja noch nicht einmal ein Jahr zurück. Die Citymanage­rin ist realistisc­h. Kein Händler und auch keine Kleinstadt, sagt sie, könne es mit der Marktmacht eines Amazon-Konzerns aufnehmen. „Aber uns geht es nicht ausschließ­lich um Umsätze und Zahlen.“Stattdesse­n sei es wichtig, die Innenstadt im Internet sichtbar zu machen.

Das Online-Portal soll den Besuch in der Fußgängerz­one nicht ersetzen, sondern den Menschen zeigen, was ihre Heimatstad­t bietet. Im besten Fall, betont Tesch, ist das mehr als eine Ansammlung von Läden. „Wir wollen, dass Einkaufen ein Erlebnis ist“, sagt sie. Nur so werde die Innenstadt auch für die bequem gewordenen Kunden wieder interessan­t. Es sind zwei Sätze, die wohl auch Hermann Oßwald, der Modehaus-Chef aus Memmingen, sofort unterschre­iben würde.

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r, Ralf Lienert, Matthias Becker Die Günzburger Citymanage­rin Nikola Tesch zeigt Händlerin Ulrike Krause das Portal „Wir in Günzburg“(links). Hermann Oßwald (rechts) führt das Modehaus Reischmann in Memmingen. Veranstalt­ungen wie „Memmingen blüht“(Mitte) locken dort viele Menschen in...
 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r (2), Brigitte Hefele Beitlich ?? In Memmingen haben sich die Händler klar gegen ein geplantes Fachmarktz­entrum positionie­rt (links). Die Fläche soll nun reduziert werden. Auch Günzburg kämpft immer mal wieder mit Leerstand (rechts). Der Marktplatz ist das Herzstück der historisch­en...
Fotos: Bernhard Weizenegge­r (2), Brigitte Hefele Beitlich In Memmingen haben sich die Händler klar gegen ein geplantes Fachmarktz­entrum positionie­rt (links). Die Fläche soll nun reduziert werden. Auch Günzburg kämpft immer mal wieder mit Leerstand (rechts). Der Marktplatz ist das Herzstück der historisch­en...
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