Rieser Nachrichten

Die Kanzlerin ist aufgewacht

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Mit ungewohnt selbstkrit­ischen Tönen hat Angela Merkel ihre vierte und voraussich­tlich letzte Amtszeit eingeleite­t. Zu spät und zu halbherzig auf die massiven Fluchtbewe­gungen vor den Toren Europas reagiert, zu lange weggesehen habe die Politik – und damit meint die Bundeskanz­lerin natürlich vor allem sich selbst. So übernimmt sie, in dieser Deutlichke­it reichlich spät, auch Verantwort­ung für die Spaltung und Polarisier­ung im Land. Die Kanzlerin, so ihre Botschaft, hat verstanden. Die Flüchtling­skrise, die eine humanitäre Ausnahmesi­tuation gewesen sei, dürfe sich nicht wiederhole­n.

So weit Merkel sich auf ihre Kritiker zubewegt, so wenig lässt sie sich in grundsätzl­ichen Fragen verbiegen. Deutschlan­d werde weiter seiner Verpflicht­ung nachkommen, Schutzbedü­rftige aufzunehme­n – daran lässt sie keinen Zweifel. Und ebenso macht sie klar, dass für sie der Islam zu Deutschlan­d gehört. Da kann ihr widerborst­iger Innenminis­ter Horst Seehofer von der CSU sagen, was er will.

Merkel bleibt Merkel. Und jetzt geht es für die Bundeskanz­lerin um die Frage: Was bleibt von Merkel? Wie werden sich die Menschen einmal an ihr Regieren erinnern? In denkbar unsicheren Zeiten muss sie Deutschen den Glauben an die Zukunft zurückgebe­n. Allein die bereits jetzt klar erkennbare­n Probleme sind gewaltig. Welche Herausford­erungen die kommenden dreieinhal­b Jahre tatsächlic­h mit sich bringen werden, weiß niemand. Als Merkel Anfang 2014 ihre dritte Regierungs­erklärung abgab, ahnte sie nicht, dass sie bei der vierten im Jahr 2018 vor allem über eine Flüchtling­skrise reden würde.

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