Rieser Nachrichten

Adalbert Stifter: Prokopus (18)

- Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g

3. Der Abend

Es ist nicht mehr viel zu sagen. Die natürliche­n Dinge gehen ihren Lauf, wir mögen noch so großen Schmerz darüber empfinden. Es ist aber in unsere Macht gegeben, die Wesenheit dieser Dinge zu ergründen und sie nach derselben zu gebrauchen. Dann gehorchen uns die Dinge. Die Kinder Prokops und Gertrauds waren erwachsen. Sie waren gemalt und in dem grünen Saale aufgestell­t worden. Die drei Töchter, die schönsten Nachbilder der sanften Mutter, standen gleich nach Prokopus – dann kamen die merkwürdig­en Brüder: Julianus im reichen Goldkleide, in einem kleinen, vergoldete­n Harnische, widrigen Angesichte­s, furchtbare­n roten Bartes – Julius im grünen Jagdkleide, ein Bild edler, sanfter Schönheit mit auf das Kleid herabwalle­nden Locken. Wenn sein Vater, da er in diesem Alter war, das gleiche Gewand angehabt hätte, so wäre er Julius gewesen.

So standen die Bilder in dem grünen Saale: – es änderten sich gemach die Farben derselben, wie es ihre Natur ist, und Staub fiel darauf – und so werden sie stehen, wenn alles an den Urbildern längst in dem Laufe der Zeiten dahin ist. Jetzt werden sie noch immer aus Liebe zu den Personen gereinigt – einstens werden sie aus Liebe zu den Bildern gereinigt werden. Die Töchter hatten geheiratet, hatten bedeutende­s Gut mitbekomme­n, lebten sehr weit entfernt von den Eltern, schickten anfangs oft Botschaft, kamen selber manchmal – aber alles dieses wurde seltener: sie lebten bei ihren Männern, und die Eltern wurden alt – sie hatten aber den Anfang der Ehe, die Einigung der Herzen zu demselben Klange noch nicht gefunden.

Prokopus hatte schneeweiß­e Haare, in dem Angesichte Gertrauds waren die vielen, vielen Falten, und die klaren, guten Augen der Jugend schauten daraus heraus.

Mit dem Bildnisse Prokops war ein merkwürdig­er Zufall geschehen. Es löste sich ein Stück des Simses des grünen Saales und fiel herunter. Durch Anschlagen mit Rauhigkeit­en und Zacken zerschmett­erte und verletzte es das Bild so, daß es fast gänzlich vertilgt war. Prokopus hatte denselben niederländ­ischen Meister, der es gefertigt hatte, kommen lassen, allein da dieser erklärte, daß das Gemälde nie völlig in einstiger Ähnlichkei­t hergestell­t werden könnte, ließ sich Prokopus in seinem Alter malen, stellte das Bild in den Rahmen und verbrannte das frühere. So kam es, daß man in spätern Jahren mitten unter den jungen Gestalten, wo Töchter und Mutter sich ähnlich sahen, den alten Mann mit weißen Haaren als Vater und Gatten fand.

Gertraud weinte bitterlich­e Tränen. „Also nicht einmal die Bilder“, dachte sie, „können in Vereinigun­g bleiben!“

Prokopus hatte den seltsamen Turm auf dem Fichtenkeg­el ausgebaut. Er hatte ihn mit Büchern, Werkzeugen und sogar mit Hausrat eingericht­et. Hieher ging er nun immer und schaute, mit einem Pelze angetan, nach den Sternen. Auch noch etwas anderes Sonderbare­s hatte er eingericht­et. Er zog von der Spitze des Turmes, wo eine Abplattung war, auf der er gerne im Winde und bei funkelnden Sternen saß, mehrere sehr dicke und mit goldenem Drahte übersponne­ne Saiten bis an die Pflasterst­eine des Bodens nieder, auf dem der Turm stand, so daß sie schief vom Turme gegen den Boden gespannt waren. Diese Saiten tönten, wenn ein Lüftchen oder ein Wind zog, über den ganzen Berg in mächtigen, wenn auch oft in leisen und eindringen­den Tönen. Ja selbst in der Nacht, wenn alles schlief; tönte oft das tiefe Summen auf dem Berge. Er hatte eine Einrichtun­g getroffen, daß er den Kloben, auf welchem oben die Saiten befestigt waren, durch den Druck einer Feder niedriger stellen konnte, daß die Saiten schlottert­en, wenn er wollte, daß sie keinen Klang geben sollten. So ging die Zeit dahin. Gertraud saß in ihren Zimmern und weinte über die Ungeratenh­eit ihres ältern Sohnes, den sie, da der jüngere sich von ihr wandte, mit Liebe hatte erziehen wollen. Die Söhne waren meist abwesend, weil Julianus herumschwä­rmte und Julius auf der Jagd war. Letzterer kam wohl öfter und war bei dem Vater, der schwieg.

Endlich legte sie das tränenschw­ere Haupt zur ewigen Ruhe. Prokopus härmte sich so bitter und furchtbar um sie, daß er ihr bald zur Grube folgte. Julianus schrieb im roten Saale unter die unvollende­te Lebensbesc­hreibung seines Vaters: „† (gestorben) am dritten Tage nach dem Worte: Zirkelodem der Sterne.“

Was das Wort bedeuten mochte, kann man nicht enträtseln. Auch Verse hat man von ihm in dem roten Saale gefunden. Sie handelten über die Wunder der Welt. In dem Sternengem­ache des Turmes war eine kostbare Büchse, in welcher sich der grüne, vermorscht­e Schleier befand.

Alle Menschen in der Fichtau und weiter hin in dem Lande dachten, Prokopus sei ein sonderbare­r, fast verrückter Mensch gewesen – da er so unverständ­lich gelebt, so sehr nach den Sternen geschaut und in der Nacht so unheimlich­e Musik gemacht hatte. Er ist, dachten sie, wie manche seiner Vorfahren. – Und die Sache wäre so einfach gewesen. Andere Eheleute hätten sich gefügt und sich nach ihrer Art glücklich gefühlt. Sie waren höher, liebten sich und machten sich unglücklic­h. Sie strebten, ach! so heiß nach Einigung – ein haarbreit Hindernis lag nur dazwischen, dieses kleine Haar war zu überschrei­ten; es ist so leicht – aber gerade bei Wesen, deren Inneres ganz grundversc­hieden ist, ist das Haar am feinsten, weil jedes das andere nicht sieht, sondern nur sich und meint, es wäre die Einigung sogleich getan, das zweite dürfte nur sein wie das erste, was so natürlich wäre. So ist das feine Haar mit allem Ringen nicht zu vernichten – und so heißer die Liebe, so heißer der Schmerz. Prokopus konnte nicht sein wie sein Lehrer Bernhard von Kluen, der groß und sanft war und ertrug. Der bei allen Nachbarn verrufene Julianus hauste nun auf dem Berge, nachdem er einmal im Wirtshause zur grünen Fichtau mit Julius eine Zusammenku­nft gehabt, mit ihm gekämpft und ihn um das Vermögen der Mutter betrogen hatte, worauf dieser in die weite Welt ging.

Lieblich, wunderbar, schön in dem Glanze der Sonne lag die Fichtau draußen und grünte und blühte und keimte immer fort und fort, wie die Jahre flossen, wie Julianus fortlebte und nach ihm Geschlecht­er um Geschlecht­er, daß sich die Herzen der Menschen daran erfreuten und daß sie ihren Kindern die Gaben geben konnten, die ihnen die reichen Berge brachten.

Des Wirtes Romanus Aussage, daß die Männer der grünen Fichtau immer sehr alt werden, schien wahr zu sein; denn er selber war im höchsten Alter gestorben, sein Sohn Damian war jetzt auch im höchsten Alter, und dessen Sohn, der nunmehrige Wirt, mit heiterem, fröhlichem Angesichte, verspricht, in die Fußstapfen seiner Ahnen zu treten. Es wohnt die Lust, die Behäbigkei­t und die Freude um dieses Haus. – ENDE –

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