Rieser Nachrichten

Vom Knastbrude­r Willi Kufalt

„Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“von Hans Fallada

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Wer konnte mit der kleinen Frau, mit dem kleinen Mann, mit dem Kind auf der Straße besser mitfühlen als Hans Fallada? Wer konnte mehr Sympathie für solche Figuren wie Johannes Pinneberg, sein „Lämmchen“Emma und den kleinen Murkel aufbringen („Kleiner Mann – was nun?“) als dieser 1893 in Greifswald geborene, 1947 in Berlin gestorbene Schriftste­ller? Und wer hätte besser als der tragisch umwölkte Hans Fallada die Situation jenes Willi Kufalt nachempfin­den können, um den sich alles dreht in unserem morgen beginnende­n neuen Tagesroman?

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er sitzt ein und wird wieder einsitzen. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seiner Schicht einfach nicht heraus. Bis er wieder einsitzt, bis er wieder „zu Hause“ist. Darum geht’s in „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“, diesem tragikomis­chen Roman Falladas.

Auch Hans Fallada, ein Suchtmensc­h seit der Jugendzeit, war immer wieder „weggeschlo­ssen“. Teils in Kliniken, teils in Privatsana­torien, teils in Entzugsans­talten, teils in Gefängniss­en – unter anderem wegen Unterschla­gung und Betrug zur Finanzieru­ng seiner Alkoholund Morphinsuc­ht. Aus all seinem Erleben konnte er ein Buch formen – so auch den „Blechnapf“-Roman, den die Nazis gelten ließen, weil er den Umgang mit Strafgefan­genen in der von ihnen gehassten Weimarer Republik beschrieb. Hier war Falladas Sozialkrit­ik genehm, später, ab 1935 erst einmal nicht mehr – bis er 1937 das von Propaganda­minister Joseph Goebbels gepriesene „Wolf unter Wölfen“veröffentl­ichte.

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs verfasste Fallada in wenigen Wochen seinen Roman „Der Trinker“– und nach der deutschen Kapitulati­on, als er auch wieder morphinabh­ängig wurde, sein berühmtes Buch „Jeder stirbt für sich allein“über den Widerstand und die Denunziati­on im NS-Staat. Es entstand in der Nervenabte­ilung der Berliner Charité.

Lassen wir Hans Fallada, diesen tragischen, straffälli­gen und doch liebenswer­ten Schriftste­ller selbst zu Wort kommen zur Vorstellun­g seines Romans „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“(1934): „Nicht aus Freude am Abenteuerl­ichen, nicht als echte Milieuschi­lderung wirklicher ,Unterwelt‘ wird der Roman geschriebe­n, sondern um zu zeigen, wie der heutige Strafvollz­ug und die heutige Gesellscha­ft den einmal Gestrauche­lten zu immer neuen Verbrechen zwingt. Die Strafe macht ihn untüchtig zum tätigen Leben des Bürgers; die Gesellscha­ft will ihn nicht in diesem tätigen Leben. Der kleine Lump Kufalt strampelt sich ab, noch in seinen schlimmste­n Viechereie­n schimmert eine Goldader Menschentu­m … aber doch, aber doch, unentrinnb­ar, gegen seinen Willen, ohne seinen Willen, wird er das, was die Umwelt will, dass er es wird: ein bisschen Kot, eine Mikrobe, bösartig, die man vernichten muß.“

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Foto: dpa Der Schriftste­ller Hans Fallada (1893– 1947).

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