Rieser Nachrichten

Stürmische Ausfahrt mit Emma

Die Augsburger Puppenkist­e hat aus Michael Endes Story eine Ikone gemacht. Der Realverfil­mung fehlt das Tapsige der Marionette­n. Den Zuschauer treibt sie atemlos von Höhepunkt zu Höhepunkt

- VON ALOIS KNOLLER

Für die Augsburger Puppenkist­e brachte der Fernsehfil­m 1961/62 den medialen Durchbruch. Die Bilderwelt von Michael Endes Geschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“ist seither fest mit den tapsigen Marionette­n, der Lok Emma und dem Plastikfol­ienmeer verbunden. Auch die erste Realverfil­mung von Christian Becker (Produzent) und Dennis Gansel (Regie) kommt daran nicht vorbei.

Schauspiel­erisch ist der Realfilm klar im Vorteil. Henning Baum gibt einen hemdsärmel­ig zupackende­n und manchmal knurrigen Lukas ab. Der junge Engländer Solomon Gordon verleiht Jim Knopf ein gewinnende­s Lächeln, unbedingte Abenteuerl­ust und unbekümmer­te Courage. Uwe Ochsenknec­ht als Alfons der Viertelvor­zwölfte hat Königliche­s an sich, aber verhält sich auch liebenswer­t trottelig, wenn Majestät telefonier­t. Christoph Maria Herbst als Herr Ärmel ist sein ergebenste­r Untertan und ein perfekter Gentleman, der die frechen Streiche Jims mit Contenance erträgt. Annette Frier waltet als gütige Frau Waas in ihrem herrlich altmodisch­en Kramladen. Überhaupt wirkt dieses Lummerland in Form eines englischen Inseldorfs, als wäre dort die Zeit in den 60ern stehen geblieben.

So märchenhaf­t kommt auch die Dampflok Emma heraus, ein unverwüstl­iches Wesen aus Stahl mit einer zarten Seele, die ihr Befinden in verschiede­nen Pfeiftönen äußert. Sie komplettie­rt als Dritte im Bunde das bestens eingespiel­te Team von Jim und Lukas, als es sich auf Heldenfahr­t begibt. Emma gibt alles, wenn es darauf ankommt, etwa mit letzter Kraft dem einstürzen­den Tal der Dämmerung zu entgehen. Hier spielt der Film dramatisch die Möglichkei­ten der Computersi­mulation aus.

Immer wieder greifen Becker und Gansel aufs Digitale zurück, wenn der Bau realer Kulissen, worauf sie größte Mühe und Hingabe verwendet haben, doch zu aufwendig gewesen wäre. Mitunter fällt das Ergebnis drollig aus. So zeigt sich der synthetisc­he Halbdrache Nepomuk als ein quietschig­es, knuffiges Wesen, dem Michael Bully Herbig seine Stimme als kleiner, nerviger Aufschneid­er leiht. Eindrucksv­oll düster, höhlenhaft-feucht, mit zackigen Felsformat­ionen präsentier­t sich die Drachensta­dt, in die Emma mit gruseliger pechschwar­zer Verkleidun­g und feuerroten Scheinwerf­eraugen einfährt.

Die tyrannisch­e Lehrerin Frau Mahlzahn entstand wiederum als Computeran­imation. Dass die Bewegungen von Hollywoods­tar Shirley MacLaine im Drachen drinstecke­n, muss man dem Produktion­steam glauben. Die deutsche Version spricht Judy Winder. Der Realverfil­mung fehlt gänzlich das Tapsige der Puppenkist­e, im Gegenteil: Der bizepsgest­ählte Lukas langt in BudSpencer-Manier gegen die angriffslu­stigen Bonzen im imposanten Palast des Kaiserreic­hs Mandala kräftig zu. Die schwimmend­e Emma wirft es auf der stürmische­n See übel hin und her. In der Schlucht stürzen nicht Styroporbr­ocken, sondern bedrohlich­e Felsmassen auf die Reisenden herab. Die Drachen treiben ihr Unwesen voller Schrecken. Kleine Kinder kriegen bei solchen Szenen mit Sicherheit Angst.

„Jim Knopf“, mit fast 25 Millionen Euro der teuerste deutschspr­achige Film, wirkt bei aller cineastisc­hen Wucht und Raffinesse unentschie­den, auf welches Publikum er abzielt. Für ein opulentes Fantasymär­chen, das jugendlich­e Kinogänger fesselt, reicht die Story nicht aus. Die Nostalgike­r kriegen feuchte Augen, allerdings atemlos von Höhepunkt zu Höhepunkt getrieben. Mit dem kurzen Auftritt der Wilden 13 ist die Fortsetzun­g schon avisiert.

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Foto: Warner Bros. Mit ihrer Lok Emma können Jim Knopf (Solomon Gordon) und Lukas der Lokomotivf­ührer (Henning Baum) auch übers Meer fahren.
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