Rieser Nachrichten

Eine ertragreic­he Niederlage

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Was dem Sport einen so speziellen Platz im gesellscha­ftlichen Leben einbringt, ist die Möglichkei­t der persönlich­en Deutungsho­heit. Niederlage­n sind nicht gleich Niederlage­n, Erfolge nicht gleich Erfolge. Der Geschlagen­e kann sich als Gewinner fühlen, der Erfolgreic­he vergießt Tränen. Aus Pleiten entstehen Triumphe, Titel führen zum Niedergang.

Dies alles sollten sich die Argentinie­r vor Augen führen. Nach einer 1:6-Niederlage gegen Spanien fürchten sich die Südamerika­ner vor der WM in Russland. Lionel Messi sah sich das Versagen zwar nur von der Tribüne aus an, doch nicht mal die Argentinie­r glauben, er hätte die Schmach verhindern können. Ihnen sei ein Blick nach Deutschlan­d geraten. Dem desaströse­n 1:4 im März 2006 in Italien folgte ein märchengle­icher Sommer. Lediglich den schauderha­ften Auftritten der Nationalma­nnschaft um die Jahrtausen­dwende war eine Reform der Jugendarbe­it zu verdanken. Umgekehrt verließ sich der DFB nach dem Weltmeiste­rtitel 1990 auf Spieler, die aus blühenden Landschaft­en zum starken Kader hinzugesto­ßen waren. Sechs Jahre später reichte ein letztes Mal durchschni­ttliches Talent, um sich einen Titel erkämpfen zu können.

Mittlerwei­le pflegt der deutsche Fußballfan – so es sich nicht um Welt- oder Europameis­terschaft handelt – ein gelassenes Verhältnis zu Ergebnisse­n. Man ist gewohnt, dass die Nationalma­nnschaft im März auch mal verliert. So man nicht der FC Bayern ist, gibt es im Frühling keine Titel. Jenem 1:4 in der Vorbereitu­ng auf das Turnier in der Heimat folgten erfrischen­de Auftritte im Sommer.

Vier Jahre später schickte Diego Maradona Thomas Müller von der Bühne der Pressekonf­erenz. Nach einem 1:0-Erfolg in München erkannte der argentinis­che Nationaltr­ainer den Deutschen nicht. Wenige Monate später demütigten die Deutschen Maradonas Mannen mit einem 4:0 im Halbfinale der WM 2010. Im Frühling 2014 schließlic­h waren die Deutschen Chile in allen Belangen unterlegen. Warum das Team trotzdem 1:0 gewann, ist eines der ungeklärte­n Geheimniss­e des Weltfußbal­ls. Im Sommer folgte der Final-Sieg bei der WM. Gegen Argentinie­n.

Das 0:1 gegen Brasilien dient nun also nicht zum Schrecken. Löw hat genug Argumente, Spieler aus der zweiten Reihe eben dort belassen zu können. Die Niederlage dient, die Sinne zu schärfen. Das Testspiel darf somit als gelungen gelten.

Den Argentinie­rn wiederum sei ein gesunder Messi gewünscht. Und ein wenig Gelassenhe­it.

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