Rieser Nachrichten

Die zwei von der Doppelspit­ze

Seit ein paar Wochen teilen sie sich die Macht: Horst Seehofer als Parteichef in Berlin, Markus Söder als Ministerpr­äsident in München. Nur: Wie kann das Nebeneinan­der der beiden Alphatiere funktionie­ren? Und vor allem: Wie geht das mit dem Miteinande­r?

- VON ULI BACHMEIER UND MARTIN FERBER

München/Berlin In der CSU gibt es, seit Horst Seehofer und Markus Söder sich die Macht in Partei und Staat teilen, einen neuen, ziemlich kuriosen Gradmesser für die aktuelle Stimmungsl­age: Je weniger die beiden Herren miteinande­r reden, desto besser geht es der Partei. Kann das sein? Kann aus einer Not eine Tugend gemacht werden? Kann aus frostiger Funkstille zwischen zwei Männern frühlingsh­afte Harmonie für eine ganze Partei hervorgehe­n?

Dass gewachsene Feindschaf­ten in aller Regel verlässlic­her sind als alte Freundscha­ften, ist auf dem weiten Feld des Politische­n keine wirklich neue Erkenntnis. Man kennt sich. Man weiß, was man aneinander (nicht) hat. Das Risiko, enttäuscht zu werden, ist überschaub­ar. Und „Feinde“im strengen Sinne des Wortes sind Seehofer und Söder ohnehin nicht. Sie werden nur keine Freunde mehr. Sie haben, um es diplomatis­ch zu sagen, einiges durchgemac­ht miteinande­r, persönlich­e Verletzung­en eingeschlo­ssen. Der Ältere hat den Jüngeren lange Zeit klein gehalten. Der Jüngere hat den Älteren irgendwann weggebisse­n. Jetzt sollen sie sich in einer Doppelspit­ze bewähren – egal ob mit- oder nebeneinan­der, aber jeder an seinem Platz. Seehofer in Berlin. Söder in München. Auch zur Überraschu­ng einiger Parteifreu­nde sieht es nach den ersten Wochen so aus, als könnte es vielleicht sogar funktionie­ren.

Seehofers erster Aufschlag im Bundestag kommt mit einiger Wucht daher. Ohne jede Rücksicht auf seine Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU) und Wolfgang Schäuble (CDU) sagt der neue Bundesinne­nminister Mitte März im Bundestag: „Ein Weiter-so möchte ich nicht. Wir müssen Tempo machen und neue Wege gehen.“Kaum im Amt, fällt der CSU-Chef damit nicht nur ein geradezu vernichten­des Urteil über die Arbeit seiner Unionskoll­egen in den vergangene­n zwölf Jahren, sondern er legt auch die Messlatte für sich selbst sehr hoch.

Seehofers Botschaft: Mit ihm als Innenminis­ter soll es das nicht geben, was er einst als bayerische­r Ministerpr­äsident ebenso provoziere­nd wie plakativ auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise die „Herrschaft des Unrechts“genannt hat: die Kapitulati­on des Rechtsstaa­ts vor dem Ansturm der Migranten und den Verlust der Kontrolle über das, was an den Grenzen geschieht. Stattdesse­n kündigt er „die konsequent­e Durchsetzu­ng geltenden Rechts“an, und zwar „in allen Bereichen und gegenüber jedermann; denn ein starker Staat duldet keine rechtsfrei­en Räume.“

Es ist offenkundi­g: Hier holzt der CSU-Parteichef. Den „Landesvate­r“hat Seehofer schweren Herzens hinter sich gelassen. Es ist kein Geheimnis, dass er gerne weiter im Mittelpunk­t gestanden und Regierungs­chef in München geblieben wäre. Jetzt praktizier­t er in Berlin CSU pur, auch zum Ärger der Bundeskanz­lerin, die sich ihrerseits nicht zimperlich zeigt. Seehofers Interview-Satz, wonach der Islam nicht zu Deutschlan­d gehöre, kontert Angela Merkel nicht ebenfalls in einem Interview, sondern dort, wo es besonders wehtut. Auch sie nutzt den Bundestag als Bühne und weist ihren Innenminis­ter damit höchst offiziell zurecht. „Das wurmt ihn gewaltig“, sagt ein Vertrauter.

Söder hat es da vergleichs­weise einfacher. Er will „Landesvate­r“werden und als Spitzenkan­didat bei der Landtagswa­hl im Oktober möglichst gut abschneide­n. Dazu braucht er drei Dinge: ein besseres persönlich­es Image, überzeugen­de politische Inhalte und eine Strategie, die bis zum Herbst Wirkung zeigt.

Die Arbeit an seinem Image hat Söder bereits vor Jahren begonnen. Seine alte Rauflust ist schon in seiner Zeit als Finanzmini­ster einer neuen Ernsthafti­gkeit gewichen. Als Ministerpr­äsident gibt er sich, wie Mitglieder seines Kabinetts berichten, jetzt verbindlic­h im Umgang mit seinen Mitstreite­rn und höchst ziel- strebig in der Sache. Alle Tätigkeite­n der neuen Staatsregi­erung seien „absolut strukturie­rt und genau getaktet“. Nichts werde dem Zufall überlassen.

Auch die Vorbereitu­ng für die Regierungs­erklärung am 18. April laufe präzise wie ein Uhrwerk: Die Minister sollen Ideen formuliere­n und Vorschläge machen. Dann gebe es Einzelgesp­räche mit dem Regierungs­chef. Mögliche Meinungsve­rschiedenh­eiten sollen unter vier Augen und hinter verschloss­enen Türen geklärt werden. Erst wenn man sich verständig­t habe, werde Söder in der Regierungs­erklärung im Landtag sein lange angekündig­tes „Feuerwerk“zünden. Und bis zur Landtagswa­hl im Oktober soll die neue Staatsregi­erung dann zeigen, was sie kann und wie es danach weitergehe­n soll. Söder wolle „Landespoli­tik pur“. Das Regierungs­handeln solle „aus einem Guss“sein.

Diese Aufgabente­ilung in der Doppelspit­ze ist ein Kernelemen­t der neuen CSU-Strategie. Sie hat zum Ziel, im Herbst die absolute Mehrheit im Landtag zu verteidige­n und die Geschichte der CSU als vermutlich erfolgreic­hste regionale Volksparte­i in Europa fortzuschr­eiben. Seehofer soll sich in Berlin um das parteipoli­tische Profil der CSU kümmern und sich der Bekämpfung der AfD widmen – wenn’s sein muss auch auf Kosten der Schwesterp­artei CDU. Söder soll derweil in Bayern „Best-practice“-Beispiele in der Landespoli­tik liefern, ohne sich in die Berliner Scharmütze­l einzumisch­en. Da komme man sich nicht ins Gehege, müsse also auch nicht viel miteinande­r reden.

Gemeinsam ist beiden Herren, dass sie sich auf einem Spielfeld bewegen, das ihnen vertraut ist. Horst Seehofer ist mit seinen bald 69 Jahren nicht nur der älteste Politiker im Bundeskabi­nett, sondern auch der mit Abstand erfahrenst­e. Als er 1980 erstmals in den Bundestag gewählt wurde, war der neue Gesundheit­sminister Jens Spahn gerade geboren. Seehofer arbeitete als Staatssekr­etär bei Arbeitsmin­ister Norbert Blüm, als Gesundheit­sminister unter Helmut Kohl und als Landwirtsc­haftsminis­ter unter Angela Merkel. Und auch in den letzten zehn Jahren, in denen er an der Spitze der Bayerische­n Staatsregi­erung stand, war er in Berlin stets präsent. Als CSUChef gehörte er dem Koalitions­ausschuss an, der die Grundlagen der Regierungs­politik festlegte.

Das Gerede von Innenpolit­ikern in der CDU und vereinzelt auch in der CSU, nur ein Jurist könne das Bundesinne­nministeri­um führen, entlockt Seehofer nur ein müdes Lächeln. Seine Arbeitswei­se hat noch überall funktionie­rt: Er holt sich Experten, lässt sich vortragen und entscheide­t dann, wie er ein Thema politisch handhabt – manche sagen „aus dem Bauch heraus“, andere sagen „mit sicherem Gespür“. Eine Kamarilla, also einen verschwore­nen Kreis von Vertrauten, braucht er dafür nicht. So wie er vor zehn Jahren nach München in die Staatskanz­lei kam, so beginnt er jetzt auch im Bundesinne­nministeri­um. Seehofer kommt allein, macht sich mit den Themen und dem Apparat vertraut, lässt die Spezialist­en arbeiten und kümmert sich ums Politische. Will heißen: Er sagt öffentlich, was ihm passt oder nicht, was er denkt und was er fordert, was andere tun oder lassen sollen. Seine Stärke ist es, Pflöcke einzuramme­n, Debatten zu moderieren und in die gewünschte Richtung zu lenken. Seine Schwächen zeigen sich dann, wenn es gilt, sich festzulege­n und zu entscheide­n. Auch wenn er Berlin nicht sonderlich mag – in der CSU-Landesgrup­pe fühlt er sich besser aufgehoben als in der Landtags-CSU.

Auch der 51-jährige Söder kennt sein Terrain wie seine Westentasc­he. Er gehört dem Landtag seit 1994 an, war CSU-Generalsek­retär unter Edmund Stoiber, Europamini­ster unter Günther Beckstein, Umwelt-, Finanz- und Heimatmini­ster unter Seehofer. Anders als

Wird aus frostiger Funkstille frühlingsh­afte Harmonie?

Söder kriegt, was Seehofer nie bekam: Nestwärme

sein Vorgänger aber war Söder noch nie der „einsame Wolf“. Ein kleiner Kreis von Vertrauten – Büroleiter, Sprecherin, Sekretärin – begleitet ihn seit Jahren. Noch wichtiger freilich ist seine Machtbasis: die CSULandtag­sfraktion.

Söder hat sich bei den Abgeordnet­en eine Stellung erarbeitet, die ihm aktuell fast alle Freiheiten lässt. Sein weitreiche­nder Umbau des Kabinetts wurde trotz einiger persönlich­er Härten, die damit verbunden waren, auf breiter Front akzeptiert. Seine Regierungs­erklärung wird – dazu muss man kein Prophet sein – von den CSU-Abgeordnet­en als großer Wurf, als Aufbruch und Erneuerung für Bayern gefeiert werden. Söder gibt der Fraktion Zuversicht. Sie gibt ihm, was sie Seehofer nie gegeben hat: Nestwärme.

Das Nebeneinan­der der beiden Alphatiere also ist offenbar wohl organisier­t. Und das Miteinande­r? Dafür sind andere zuständig. Vor allem CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und Innenstaat­ssekretär Stephan Mayer in Berlin, Innenminis­ter Joachim Herrmann und CSU-Generalsek­retär Markus Blume in München sollen dafür sorgen, dass nicht nur alle an einem Strang, sondern möglichst auch in die gleiche Richtung ziehen. In den ersten Wochen soll das ganz ordentlich funktionie­rt haben, auch weil Söder und Seehofer damit aufgehört haben, ihre gegenseiti­ge Abneigung öffentlich zu zelebriere­n. Beide Herren übrigens bewerten die Funkstille durchaus positiv: Wenn sie nicht miteinande­r reden müssen, dann sei das der beste Beweis dafür, dass der Laden läuft.

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Foto: Sven Simon, imago Sie werden keine Freunde mehr, aber Feinde im strengen Sinn sind Horst Seehofer und Markus Söder auch nicht. Klar ist: Wenn der alte dem neuen Ministerpr­äsidenten zur Wahl gratuliert, dann ist das ein besonderer Moment. Einer, bei dem auch Minister und...

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