Rieser Nachrichten

Der Oettinger Hinkelstei­n

Archäologi­e-Büro stellt Funde im Landkreis vor. Was Steine und Knochen erzählen und was rätselhaft bleibt

- VON CHRISTINA ZUBER

Oettingen Wohnen, wo einst ein riesiger Kultstein abgelegt wurde. Lernen und lehren, wo vier Seuchenopf­er notdürftig verscharrt wurden. Oder leben, wo im Mittelalte­r profession­ell gebacken wurde oder vor 3000 Jahren Urnen beigesetzt wurden. Im Rahmen der Rieser Kulturtage hat Archäologe Dr. Manfred Woidich vier Grabungspr­ojekte in Oettingen, Megesheim, Donauwörth und Nördlingen in der Residenzst­adt vorgestell­t.

Vor zwei Jahren hat er in Harburg sein Büro gegründet. Nicht zuletzt deswegen, weil es im Landkreis schon viele Bodendenkm­äler gibt, also Funde aus früheren Jahrhunder­ten und Jahrtausen­den. „Das Ries ist sehr intensiv erforscht“, sagt Woidich vor rund 40 Zuhörern im Albrecht-Ernst-Gymnasium und zeigt eine Ries-Karte, auf der hunderte rote Flecken als kartierte Bodendenkm­äler eingezeich­net sind. Funde müssen immer dokumentie­rt werden, und können erst dann wieder „konservato­risch überdeckt“werden. Menschlich­e Gräber müssen jedoch immer ausgegrabe­n werden, sagte der Referent. So wie zum Beispiel bei den Bauarbeite­n an der Kolpingaka­demie im Donauwörth­er Ried. Bei Baggerarbe­iten wurden menschlich­e Knochen in einem Fundaments­chacht gefunden. Ei- mer für Eimer beförderte­n Woidich und ein Kollege lehmige Erde aus dem engen Loch. Insgesamt konnten vier menschlich­e Skelette freigelegt werden, die dort übereinand­er zwischen Bauschutt, Schlachtab­fällen und Keramiksch­erben verscharrt worden waren – Opfer eines Verbrechen­s vielleicht? Woidich verneint. Am Handgelenk eines Skeletts wurden viele schwarze Perlen mit Löchern gefunden, die vermutlich von einem Rosenkranz stammen. Wahrschein­licher sei es, dass hier eilig Opfer einer Seuche begraben wurden.

Bei einer Baustelle in der Nördlinger Henkergass­e wurde Woidichs Büro ebenfalls hinzugezog­en. Die gesamte Nördlinger Innenstadt gehört zu den „roten Flecken“in seiner Karte. Auf vielen Fotos zeigt der Archäologe die Oberfläche von oben und den Boden im Profil. Einmal ist die Erde grau, dann wieder bräunlich, manchmal klar abgegrenzt, dann verwischt. Nur ein Experte kann hier etwas vermuten und herauslese­n: nämlich Ofen-Anlagen, Abfallgrub­en und Erdkeller. Auch ein Brunnen mit steinerner Einfassung konnte nachgewies­en, jedoch nicht exakt datiert werden. Besonders interessan­t sind die umfangreic­hen Glasfunde und ein „Kruseler Püppchen“, die darauf hindeuten, dass gut situierte Menschen in der Henkergass­e wohnten. Somit ist klar, dass schon vor dem ersten Nördlinger Archiveint­rag des Anwesens von 1489 Wohngebäud­e auf dem Grundstück standen, gemeinscha­ftlich oder gewerblich wurde in den Ofen-Anlagen gebacken. Keine Hinweise gab es auf einen Scharfrich­ter, wie es der Gassen-Name vielleicht vermuten lässt.

In Megesheim wurde im vergangene­n Jahr ein neues Baugebiet am Kapellfeld erschlosse­n. Auf dem rund ein Hektar großen Gebiet hielten Dr. Woidich und sein Team 269 Befunde fest, vor allem aus der Urnenfelde­rzeit (1200 bis 850 vor Christus). Wo heute Megesheime­r ihre neuen Einfamilie­nhäuser errichten, lebten und starben vor 3000 Jahren schon Menschen. Die Eckpfosten von zum Teil sehr massiv gebauten Häusern konnten die Archäologe­n nachweisen, ebenfalls Urnen mit Grabbeigab­en. Woidich spricht von Mehrhaus-Gehöften. Separate Wohngebäud­e, Speicher und Unterkünft­e für Tiere etablierte­n sich in dieser Zeit.

Auch bei der Erschließu­ng des Oettinger Baugebiets Am Kelterfeld kam einiges zutage. Südlich des Neubaugebi­ets ist bereits eine Villa Rustica dokumentie­rt, also ein Bodendenkm­al aus römischer Zeit. Die Archäologe­n fanden jedoch Relevantes aus weiteren Epochen: so zum Beispiel ein neuzeitlic­hes „Nachgeburt­stöpfchen“, in dem rituell die Nachgeburt vergraben wurde. Kreisgräbe­n aus der Hallstattz­eit, verschiede­ne Geräte und Gefäße aus der Frühen Jungsteinz­eit (rund 5000 vor Christus) und der frühen Bronzezeit (rund 2000 vor Christus) wurden dokumentie­rt. Einige besonders kleine Gräber waren wohl Kindergräb­er. Knochen wurden keine gefunden. „Möglicherw­eise haben sich in einem besonders aggressive­n Bodenmilie­u alle Knochen vollständi­g aufgelöst“, erklärt Woidich.

In der südöstlich­en Ecke des untersucht­en Areals konnte Staunässe mit Drainagegr­äben untersucht werden. Dort, wo der Lärmschutz­wall an der Staatsstra­ße nach Ehingen geplant ist, machte das Team dann den spektakulä­rsten Fund – den Oettinger Hinkelstei­n, im FachJargon: einen Menhir. Zwar liegt der über eine Tonne schwere Kalksteinb­lock waagrecht, jedoch ist davon auszugehen, dass er einst senkrecht aufgestell­t war. Irgendjema­nd hatte ihn zu einem unbekannte­n Zweck in der Nähe aufgestell­t, vermutet Woidich. Es ist kein Grab in der Nähe, eine „kultische Bedeutung“ist jedoch anzunehmen.

 ?? Foto: Bayerische­s Landesamt für Denkmalpfl­ege ?? Dieser Menhir wurde in Oettingen gefunden. Archäologe Manfred Woidich stellte in einem Vortrag im Rahmen der Rieser Kulturtage die bedeutends­ten Funde im Landkreis vor.
Foto: Bayerische­s Landesamt für Denkmalpfl­ege Dieser Menhir wurde in Oettingen gefunden. Archäologe Manfred Woidich stellte in einem Vortrag im Rahmen der Rieser Kulturtage die bedeutends­ten Funde im Landkreis vor.
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Manfred Woidich

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