Rieser Nachrichten

„Ich glaube, Putin sucht einen Ausweg“

Der frühere US-Botschafte­r John Kornblum erklärt, warum es sich gerade jetzt lohnen könnte, Russland Grenzen aufzuzeige­n. Deutschlan­d wirft er das Fehlen einer Strategie vor

- John Kornblum: John Kornblum

Herr Kornblum, halten Sie den Luftschlag der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s gegen mutmaßlich­e Produktion­sund Lagerstätt­en für Chemiewaff­en in Syrien für angemessen?

Ich bin einverstan­den mit der Reaktion. Das musste sein. Wenn man genau hinschaut, war der Angriff ja auch ziemlich chirurgisc­h. Eines habe ich in vielen Jahren gelernt: Das Einzige, was noch schlimmer ist als zu starke Vereinigte Staaten, ist, wenn die USA zu schwach sind.

Es heißt, dass der US-Präsident eher eine umfassende­re Attacke wollte. Kornblum: In den Medien stand, dass Trump mehr machen wollte. Er hat das allerdings dementiert. Man darf nicht vergessen, dass einer der wichtigste­n Punkte in seinem Wahlkampf das Verspreche­n war, in Zukunft keine US-Truppen nach Übersee und insbesonde­re in den Nahen Osten zu schicken.

Rückt er nun davon ab?

Kornblum: Das glaube ich nicht. Ein Abzug aus Syrien ist immer noch sein Ziel. Auffällig ist ja, dass die Angreifer bei dem doch eher symbolisch­en Angriff auf zwei Dinge genau geachtet haben: Erstens sollte der syrische Machthaber Assad nicht getötet werden und zweitens sollte unbedingt vermieden werden, dass russische Stellungen getroffen werden. Auf der anderen Seite sollte Assad aber klargemach­t werden, dass Angriffe mit Giftgas nicht ohne klare Antwort bleiben.

In den Tagen vor der Attacke hat der US-Präsident mit widersprüc­hlichen Twitter-Beiträgen über einen baldigen Abzug der US-Truppen aus Syrien für Verwirrung gesorgt.

Kornblum: Es ist sogar so, dass fast die gesamte US-Administra­tion immer wieder für Verwirrung sorgt. Trump merkt ja auch, dass es gar nicht so einfach ist, sich aus Krisengebi­eten zurückzuzi­ehen. Ich persönlich würde das auch für falsch halten. Leider haben die USA seit Bill Clintons Friedensmi­ssion im Nahen Osten eine ziemlich dilettanti­sche Politik betrieben.

Kanzlerin Angela Merkel hat den Angriff der drei Verbündete­n begrüßt, eine eigene Beteiligun­g aber abgelehnt. Ist das nicht etwas widersprüc­hlich? Kornblum: Na ja. Immerhin hat sie dazu überhaupt etwas gesagt. Sie ist ja – nach allem, was ich weiß – auch gar nicht um eine Beteiligun­g gebeten worden. In Deutschlan­d gibt es nun mal einen tief greifenden Pazifismus und eine große Angst vor Krieg. Das ist Teil der deutschen Psychologi­e.

Muss sich da Ihrer Meinung nach etwas ändern?

Kornblum: „Muss“ist in diesem Zusammenha­ng die falsche Kategorie. Psychologi­e kann man nicht einfach so ändern. Außerdem hat sich ja bereits viel verändert, wie sich an den Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr seit Ende der 90er Jahre zeigt. Ich sehe das Hauptprobl­em nicht darin, dass Deutschlan­d bei solchen Angriffen wie jetzt in Syrien nicht mitmacht oder den Verteidigu­ngshaushal­t nicht deutlich erhöht – obwohl das nicht schlecht wäre.

Was ist denn das Hauptprobl­em? Kornblum: Katastroph­al ist, dass es gar keine deutsche außen- und sicherheit­spolitisch­e Strategie gibt. Weder für Syrien noch für Nahost. Gleiches gilt für ganz Europa.

Die Bundesregi­erung hat sich doch für eine neue diplomatis­che Offensive zur Beendigung des Krieges in Syrien ausgesproc­hen.

Kornblum: Eine deutsche diplomatis­che Initiative? Auf welcher Basis? Mit welchen Mitteln? Merkel und Außenminis­ter Maas scheinen zu glauben, sie müssten aktiv sein, um zu zeigen, dass Deutschlan­d nicht abwesend ist. Aber diese Art von Aktionismu­s kommt dem russischen Präsidente­n Putin sehr gelegen.

Warum könnte Putin profitiere­n? Kornblum: Ich glaube, dass Putin und seine Berater ganz genau wissen, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert haben. Russland geht es wirtschaft­lich nicht gut, das Engagement in Syrien oder auch der Ukraine verschling­t ungeheure Summen. Ich glaube, Putin sucht einen Ausweg aus der Situation. Er hat ja auch erstaunlic­h zurückhalt­end auf die Angriffe vom Wochenende reagiert. Wenn Moskau seinen nationalis­tischen Kurs langfristi­g bei- behält, verliert das Land endgültig den Anschluss an die digitale Technik. Russland verfügt über exzellente junge IT-Spezialist­en. Und was machen die? Sie hacken, um westlichen Staaten zu schaden oder Wahlen zu manipulier­en.

Wie sollte der Westen in dieser Situation Russland begegnen?

Kornblum: Man sollte die Gesprächsk­anäle unbedingt offen halten.

„Leider haben die USA seit Bill Clintons Friedensmi­ssion im Nahen Osten eine dilettanti­sche Politik betrieben.“

John Kornblum

Gleichzeit­ig aber ganz klar sagen, dass Russland nicht so weitermach­en kann.

Aktuell scheint doch eher Sprachlosi­gkeit zwischen dem Westen und Russland zu herrschen?

Kornblum: Das mag so aussehen. Doch erinnern wir uns an den Kalten Krieg in den 60er Jahren. Nach der Kubakrise und der Niederschl­agung des Prager Frühlings durch sowjetisch­e Truppen 1968 glaubten alle in Washington, dass es jetzt über lange Zeit nur noch Konfrontat­ion geben werde. Doch drei Jahre später einigten sich Amerikaner, Briten und Franzosen mit den Sowjets auf das Viermächte­abkommen über den Status Berlins. Was bedeutet das für die Lage heute? Kornblum: Manchmal ist gerade dann, wenn die Lage ausweglos erscheint, der Punkt gekommen, an dem es möglich ist, etwas zu erreichen. Doch genau in dieser Situation muss der Westen Putin Grenzen setzen. Wer sein Verhalten auch noch belohnt, erreicht nur, dass er sich bestätigt fühlt.

Was muss mit Blick auf Syrien und den Nahen Osten passieren? Kornblum: Jetzt reden alle von Diplomatie. Doch das ist nach sieben Jahren Krieg Augenwisch­erei. Erfolgreic­he Politik dort bedingt Ausdauer und den Erhalt von Einflussmö­glichkeite­n. Die Frage ist nur: Wer soll das machen? Die USA mit Trump an der Spitze sind ein unsicherer Kantonist. Europa hat keine Strategie, ist es gewohnt, als Trittbrett­fahrer auf die USA zu schauen. Das sind keine guten Voraussetz­ungen. Interview: Simon Kaminski

Oist 1943 in Detroit geboren. Seine Großeltern väterliche­r seits kamen aus Ostpreußen, sie wander ten Ende des 19. Jahrhunder­ts in die USA ein. Kornblum wirkte an dem be rühmten Agentenaus­tausch zwischen Ost und West mit, der 1985 an der Glieni cker Brücke in Berlin stattfand. Als US Spitzendip­lomat arbeitete er unter ande rem bei der Nato. Von 1997 bis 2001 war er US Botschafte­r in Berlin. Später übernahm er Tätigkeite­n in der Finanz wirtschaft. Immer wieder tritt er in politi schen Talkshows als Experte auf. Er lebt in Berlin.

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Foto: Winfried Rothermel, Imago Der frühere US Spitzendip­lomat John Kornblum kritisiert die deutsche Außenpolit­ik.

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