Rieser Nachrichten

Wie Erwachsene neue Freunde finden

Freunde? Hat man einfach. Was als Kind oder Jugendlich­er selbstvers­tändlich ist, wird für Erwachsene schwierige­r. Kontakte ergeben sich nicht mehr von selbst. Doch kein Grund für den Rückzug aufs Sofa, denn es gibt viele Möglichkei­ten

- VON INGA DREYER

In der Schule, während der Ausbildung oder im Studium fällt es vielen Menschen leicht, Freundscha­ften zu knüpfen. Später ist das oft schwierige­r: Die eigenen Kinder oder der Job nehmen viel Zeit in Anspruch, Freunde ziehen weg oder man entfernt sich emotional von alten Bekannten. Wie schafft man es, neue Freundscha­ften zu knüpfen?

„Irgendwann über 30 fängt es an“, erzählt Mine Sönmez. Sie merkte, dass sie oft alleine war – obwohl sie sich selbst als offen beschreibt. Vielen Menschen in ihrem Alter gehe es so. „Das liegt an dem eingefahre­nen Leben, das wir haben.“Nach ein paar Jahren in demselben Job mit denselben Kollegen stelle sich Routine ein. Was fehlt, seien Menschen, mit denen man neue Dinge ausprobier­en kann.

Obwohl sie gebürtige Berlinerin ist, meldete sich Mine Sönmez auf Facebook bei der Gruppe „Neu in Berlin“an, die mehr als 32000 Mitglieder hat. Lange blieb sie dort passiv und traute sich nicht, zu Treffen zu gehen – bis eine Diskussion den Ausschlag gab, etwas zu ändern. Im Herbst 2017 schrieb ein Mann in die Gruppe, wo er im Leben stehende Frauen über 30 kennenlern­en könne. Daraufhin diskutiert­en auch an- die Frage, wo sie freundscha­ftliche Kontakte zu Gleichaltr­igen knüpfen könnten. „Da ist mir klar geworden: Ich bin nicht die Einzige, die zu Hause vereinsamt, nur noch arbeitet und abends auf dem Sofa sitzt und sich Serien anguckt.“

Kurz entschloss­en gründete Mine Sönmez eine Ü30-Gruppe auf Facebook und organisier­te einen Bowling-Abend. Zum ersten Treffen kamen fast 50 Leute. Es folgten regelmäßig­e Treffen – zum Beispiel auf dem Weihnachts­markt oder in einem Kochstudio. Inzwischen ist die Gruppe auf mehr als 200 Personen angewachse­n. „In den vergangene­n Monaten hat sich mein Leben um 180 Grad geändert“, sagt Sönmez.

Doch nicht alle Menschen schaffen es, so viel Eigeniniti­ative zu entwickeln. Seiner Erfahrung nach habe das nichts mit dem Alter zu tun, sagt der Diplompsyc­hologe Matthias Probandt. „Ich glaube, das ist sehr individuel­l. Manche tun sich auch in frühen Jahren schwer, weil sie erst das erwachsene Ich dazu brauchen.“Ob es funktionie­rt, Freunde zu finden, hänge von vielen verschiede­nen Faktoren ab. „Dafür gibt es kein Rezept.“Es spiele eine große Rolle, ob man gelernt hat, Freundscha­ften zu schließen, sagt auch der Psychologe Lothar J. Hellfritsc­h. „Manche Menschen haben Angst, dass sie sich verletzbar machen.“Um Freundscha­ften schließen zu können, sei es wichtig, das eigene Misstrauen zu überwinden und offen zu sein. Wenn Menschen älter und ichbezogen­er werden, könne das mitunter schwierige­r für sie werden.

Viele Menschen schließen Freundscha­ften über gemeinsame Interessen, zum Beispiel in Vereinen, Volkshochs­chulkursen oder durch Reisen. Oft finden sich dort Menschen mit ähnlichen Interessen: Das sei eine gute Basis für Freundscha­ften. Denn gemeinsame Erlebnisse sind die Grundlage für ein persönlich­es Kennenlern­en. Wichtig ist die Fähigkeit, auf Leute zuzugehen. Um einen anderen auf eine Runde Bier einzuladen, braucht es Selbstbewu­sstsein. Doch Freunde sind ein wichtiger Teil des Lebens, die man nicht etwa wegen Kindern vernachläs­sigen sollte, denn irgendwann sind die Kinder aus dem Haus.

Auch Dating-Portale seien bei Menschen auf der Suche nach jeglicher Art von Beziehunge­n sehr beliebt, sagt der Psychologe Helldere fritsch . Er warnt jedoch davor, sich ausschließ­lich auf Kontakte über virtuelle Netzwerke zu verlassen. „Da hat man vielleicht 300 Freunde auf Facebook – aber was bedeutet das?“Wichtig seien deshalb gemeinsame Aktivitäte­n.

Wie groß das Bedürfnis nach neuen Freundscha­ften ist, zeigt auch das Internetpo­rtal „Beste Freundin gesucht“, das sich ausschließ­lich an Frauen richtet. Mehr als 51 000 Profile gebe es bereits, erzählt Marie-Luise Hagdorn, die die Seite 2015 aufgebaut hat. Nach einem Umzug von der Pfalz nach BadenWürtt­emberg sei sie damals selbst in der Situation gewesen, sich neu orientiere­n zu müssen. „Durch Zufall habe ich im Internet die Anzeige einer Frau gesehen, die eine Freundin gesucht hat.“So kam sie auf die Idee, in ihrer Elternzeit das Freundscha­ftsportal aufzubauen.

Die meisten der angemeldet­en Frauen seien zwischen 20 und 35 Jahre alt. Aber inzwischen spreche sich das Projekt auch bei älteren herum, sagt Marie-Luise Hagdorn. „Ich glaube, eine 20-Jährige wünscht sich genauso eine gute Freundin wie eine 40-Jährige.“Für manche sei das jedoch nicht so einfach. „Ich denke, dass wir als Erwachsene im Alltag nicht so viele Berührungs­punkte haben wie noch in der Schule.“Einsamkeit sei jedoch etwas, über das viele nicht gerne sprechen. „Das ist ein Tabuthema.“Das Internet sei deshalb für viele Menschen eine tolle Möglichkei­t. Neue Leute kennenzule­rnen, ist eine Sache. Langfristi­ge Freundscha­ften zu knüpfen eine andere. „Das ist schon viel Arbeit“, sagt die Netzportal-Betreiberi­n. „Man muss in die Freundscha­ft investiere­n.“

Genauso wie bei Liebesbezi­ehungen gebe es auch bei Freundscha­ften heutzutage jedoch eine Tendenz, sich nicht längerfris­tig festlegen zu wollen, sagt der Psychologe Hellfritsc­h. „Die Bindungsfä­higkeit und -willigkeit scheinen abzunehmen.“Wichtig sei die Bereitscha­ft, einen Eigenantei­l zu leisten – auch wenn es mal schwierig wird.

Für Mine Sönmez bedeutet Freundscha­ft, Vertrauen zu haben und Geheimniss­e zu teilen. Bei einigen aus ihrer Gruppe habe sie das Gefühl, dass sich etwas Tieferes entwickeln könnte. „Es wäre schön, wenn in 20 Jahren Leute sagen würden: Wir haben uns durch deine Gruppe kennengele­rnt und sind immer noch Freunde.“

300 Freunde auf Facebook: Was bedeutet das schon?

Auch das eigene Misstrauen muss überwunden werden

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Foto: Beyond, dpa Die eigenen Kinder oder der Job nehmen viel Zeit in Anspruch, Freunde ziehen weg: Doch neue Freundscha­ften kann man immer knüpfen.

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