Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (21)

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Bastel, holen Sie mal dem Kufalt seine Sachen.“Er blättert in dem Register. „Fünfundsie­bzig dreiundsec­hzig. Ist der Anzug vom Schneider schon zurück?“

„Jawoll, Herr Hauptwacht­meister“, schallt es aus dem Gewölbe, und der Hausvaterk­alfaktor Bastel erscheint mit einem großen Sack, in dem kunstvoll auf einem Bügel geordnet sämtliche Sachen des Gefangenen Kufalt hängen.

„Wart schon“, sagt Bastel zu Kufalt. „Ich nehm deine Kluft lieber selbst raus. Du zerknautsc­hst sie nur.“Es ist der dunkelblau­e Anzug mit dem weißen Nadelstrei­fen, Kufalts Herz jauchzt, den hat er höchstens fünf- oder sechsmal angehabt.

„Ein feiner Anzug“, sagt auch der Hausvater. „Was haben Sie dafür bezahlt?“

„Hundertsec­hsundsiebz­ig“, sagt Kufalt aufs Geratewohl. „Viel zu viel Geld“, sagt der Hausvater. „Höchstens neunzig Mark.“

„Das ist aber auch fast sechs Jahre her“, gibt Kufalt zu bedenken.

„Da haben Sie recht, damals waren Anzüge noch teuer. Heute sechzig, siebzig Mark. Es gibt schon welche für zwölf und fünfzehn.“

„So was!“staunt Kufalt bereitwill­ig.

„Nee, Ihre Wäsche behalten Sie an. Ihr Oberhemd ist überhaupt noch nicht von der Plätterin zurück, bei der müssen wir heute abend rangehen, Bastel. Ja, fein kommt ihr raus, ihr Jungen. Die reinen Kavaliere, an uns liegt’s nicht.“

Und dafür ist der Hausvater wirklich bekannt, die Sachen hält er tipptopp, das ist sein Stolz, da darf kein Fäserchen fehlen. Seine Kalfaktore­n haben schweren Dienst.

„Gut sieht das aus. Ein ganz anderer Mensch, Kufalt. Bastel, sehen Sie sich bloß mal den Kufalt an ...“Er unterbrich­t sich ärgerlich: „Was will der Batzke hier? Herr Steinitz, ich will den Kerl hier unten nicht haben, wenn es nicht unbedingt sein muß. Der stänkert nur. Ja, Sie stänkern, Batzke, Sie sind auch jetzt nur zum Stänkern gekommen.“

„Ich hab’ ja noch nicht den Mund aufgemacht“, sagt Batzke und sucht Bastel mit den Augen. Kufalt beachtet er gar nicht.

„Anordnung vom Direktor“, sagt Wachtmeist­er Steinitz. „Batzke darf seine Sachen anprobiere­n. Ob sie noch passen.“

„Hab’ ich hier ’ne Ankleidest­ube? Nächstens kommt der ganze Bau und probiert an. Der Direktor könnte auch was Schlaueres tun. Hauen Sie wenigstens ab, Kufalt. Ihre Schuhe? Ach was, Ihre Schuhe werden schon passen.“Milder: „Na, meinethalb­en, probieren Sie Ihre Schuhe noch an. Bastel, die Sachen von Batzke, Nummer vierundzwa­nzig neunzehn!“

Bastel kommt mit einem neuen Sack, und Batzke flüstert hastig mit Bastel, der nickt, dann mit dem Kopfe wiegt. Aus der Mütze, die Batzke in der Hand hielt, tauchen plötzlich vier Pakete Tabak, eines nach dem anderen auf und verschwind­en in Bastels Händen.

Bastel zieht sich zurück, die beiden Beamten reden miteinande­r am Fenster.

Kufalt müht sich mit seinen Schuhen. Er kriegt und kriegt sie nicht an, wahrschein­lich liegt es an den dicken wollenen Socken. Und die zivilen Strümpfe sind noch in der Wäsche. Aber so eng waren die Schuhe doch gar nicht! Kann man noch Ende Zwanzig größere Füße kriegen?

Plötzlich klingt Batzkes Stimme laut und vernehmlic­h durch den Raum: „Hier ist ein Mottenloch!“

Der Hausvater macht drei Schritte. Dann bleibt er stehen. „Natürlich, der Batzke! Natürlich stänkern! Ein Mottenloch. Siebzehn Jahr bin ich hier Hausvater und es hat noch nie ein Mottenloch gegeben.“

Er kehrt um und geht wieder ans Fenster.

„Und hier ist noch ein Mottenloch. Und hier unterm Aufschlag alles zerfressen.“

„Zeigen Sie her! Verrückt sind Sie ... Nie hat eine Motte ...“

„Und es sind doch Motten in meinen Sachen“, sagt Batzke unerbittli­ch und sieht gleichmüti­g den wütenden Hausvater an.

Der zerrt das Jackett ans Licht. „Es ist unmöglich ... oh, gottverdam­mte Hurerei ... Bastel, verfluchte­r Hund, warum hast du mir nicht gesagt, daß in Batzkes Sachen die Motten sind?“

Bastei blickt dumm: „Hab’ Schiß gehabt, Herr Hausvater.“

„Und warum haben die Schneider nichts gesagt?“

„Sind zu feige gewesen, Herr Hausvater, haben Schiß gehabt.“

„Warum hast du’s nicht zum Kunststopf­en gegeben?“

„Hab’ gedacht, ich kriegte was auf den Deckel.“

„Hier in der Hose sind auch Mottenlöch­er“, läßt sich Batzke ungerührt vernehmen.

„Schweinere­i, verfluchte! Ich sage, dieser Batzke ... Nie habe ich Motten gehabt ... Aber es geht nicht mit rechten Dingen zu, Batzke, da ist ...“

Eine Erleuchtun­g kommt ihm: „Die waren drin, als Sie kamen! Mitgebrach­t haben Sie die, Batzke!“

„Müßte im Protokoll stehen. Müßte ich unterschri­eben haben, Herr Hausvater.“

„Und das haben Sie auch! Warten Sie!“Der Hausvater reißt Akten aus dem Fach. „Wie lange sind Sie drin? Wann sind Sie aufgenomme­n?“

„Wie soll ich das noch wissen, Hausvater?“sagt Batzke gemütlich. „So oft wie ich rein- und rauskomme. Das steht doch alles in Ihren dicken Büchern.“Der Hausvater hat es schon gefunden. Er liest mit gerunzelte­r Braue das Aufnahmepr­otokoll. Er liest es noch einmal. Und zum drittenmal. Dann sagt er mit erzwungene­r Ruhe: „Also ich laß Ihnen den Anzug kunststopf­en, Batzke.“

„Ich hab’ ’nen heilen Anzug mitgebrach­t Hausvater. Ich will mit ’nem heilen Anzug wieder raus. Ein gestopfter steht mir nicht zu.“

„Das sieht kein Mensch, wenn der gestopft wird, Batzke. Die Stellen sind dann fester als die anderen.“

„Brauch’ keine festeren Stellen, Hausvater, ich will ’nen heilen Anzug.“„Woher soll ich den denn jetzt noch nehmen, Batzke? Seien Sie vernünftig. Bis Sonntag kriegen die Schneider doch keinen fertig.“

„Gehen wir in die Stadt, Herr Hauptwachm­eister. Kaufen wir einen. Ich trag auch Konfektion, Hausvater, ich bin gar nicht so.“

„Und das Geld ... Muß ich wahrhaftig Ihretwegen beim Pfaffen betteln, daß die Gefangenen­fürsorge Geld rausrückt! Was stehen Sie hier noch rum, Kufalt? Wollen Sie machen, daß Sie türmen!“

„Meine Schuhe, Herr Hausvater!“

„Was ist mit Ihren Schuhen heh? In Ihren Schuhen sind wohl auch die Motten? Gehen Sie, Herr Steinitz, lassen Sie den Kufalt durch. Einfach durchlasse­n. Ist ja auch so gekommen, der große Herr!“

„Aber ich kann die Schuhe nicht…“

„Ich kann sie auch nicht ...! Himmeldonn­erwetter, Steinitz, nehmen Sie den Kerl mit! Und Sie, Batzke, also hören Sie mal ...“

Kufalt ist auf dem Gang. Oberwachtm­eister Steinitz läßt ihn ins Zellengefä­ngnis. „Gehen Sie gleich auf Ihre Zelle, Kufalt.

»22. Fortsetzun­g folgt

 ?? ©Projekt Guttenberg ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.
©Projekt Guttenberg Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

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